Das nötige Mitgefühl bringt man nicht auf.

„The Lyons“ von Nicky Silver

von Renate Wagner

  v.l.: Martina Dähne, Clemens Aap Lindenberg, Sylvia Eisenberger, Randolf Destaller - Foto © Bettina Frenzel / Scala Wien
 

Wien / Scala:

The Lyons
von Nicky Silver

Premiere: 29. November 2016
 
Der amerikanische Autor Nicky Silver, Jahrgang 1960, macht es seinem Publikum nicht leicht. Das war schon bei seinem Erstlingswerk, „Fette Männer im Rock“ (1989) so, worin das Publikum mit einer dominierenden Mutter, einem zum Monster mutierenden Sohn und Kannibalismus konfrontiert wurde. Damals war das auch für Europa so aufregend, daß man das Stück überall nachspielte – 1997 sahen wir es mit Cornelia Froboess und Nicholas Ofczarek im Akademietheater, 2003 spielte es die „Scala“ mit Gabriele Schuchter und Bernie Feit nochmals.

Silver hat seither fleißig produziert, aber kaum etwas hat uns in Wien erreicht – liest man die Inhaltsangaben und Kritiken der folgenden Stücke, sondern wandeln sie sein Repertoire überzogener Figuren in gruseligen Konstellationen weiter ab. Immerhin erhielt er für „The Lyons“, das 2011 Off-Broadway und 2012 am Broadway heraus kam, jede Menge Nominierungen und Preise. In der Scala kann man nun sehen, wie Silver es nun einem europäischen Publikum wieder extrem schwer macht. Denn, und das sei einfach des Anstandes wegen gesagt, wenn man das Stück in der Broadway-Originalfassung sieht (YouTube macht es möglich, ein paar brillante Szenen mitzubekommen), erkennt man auch, wie es gespielt werden müßte, damit es wirklich funktioniert – aber das ist einfach eine Mentalitätsfrage. So geradeaus, ja geradezu unverschämt jüdisch-amerikanisch, wie das sein müßte, können wir es – allein durch die Barriere der anderen Sprache – nie hinbekommen.
Aber unsere Schwierigkeiten mit der Familie Lyons liegen auch darin, daß wir sie alle so sehr nicht mögen, daß wir uns schwer tun, uns wirklich für sie zu interessieren – wobei die „Echtheit“ der Figuren in ihrem Milieu nicht bestritten werden mag. Aber wie sich da eine zynisch-rücksichtslose Ehefrau, eine völlig verdrehte Alkoholiker-Tochter und ein total verkrampfter, zu echten Beziehungen unfähiger Homosexuellen-Sohn am Sterbebett des Vaters, der seinerseits nur flucht und tobt, versammeln, das ballt negative Menschen und Emotionen bis zur schieren Unerträglichkeit zusammen, auch wenn der Humor immer wieder versucht, die Schwärze wenigstens witzig schillern zu lassen. Allerdings gehen einem diese Lyons mehr auf die Nerven, als daß man das Bedürfnis verspürte, über sie zu lachen.
Das Stück wendet sich nach dem ersten Akt (der dann verstorbene Vater meldet sich noch einmal aus dem Jenseits mit der Versicherung, es sei gar nicht sooo schlimm hier) dem schwulen Sohn zu, der sich ein Rendezvous mit seinem Traummann erschleicht und dabei so blutig geschlagen wird, daß im dritten Akt er dann im Krankenbett liegt.
 
Hat es die Familie im ersten Akt schon nicht daran fehlen lassen, einander alle Unfreundlichkeiten und Herzlosigkeiten, die man auf Lager haben mag, ins Gesicht zu schreien, so geht das am Ende weiter, wenn Mutter (endlich frei!) mit ihrem Gigolo abpascht und nicht mehr bereit ist, Geld, Sorge und was immer in den mißglückten Nachwuchs zu investieren. Die seltsame Tochter und der seltsame Sohn bleiben zurück, und wenn der Autor auch andeuten möchte, daß diese drei Unglücksraben der lieben Lyon-Familie vielleicht doch zu einer Kommunikation mit anderen Menschen finden können… das nötige Mitgefühl bringt man nicht auf. So laut er seine Leute auch herumschreien läßt, es ist schwer, von Nicky Silver gefesselt zu sein.
Vielleicht geht die Inszenierung von Hermann Molzer in den glatten Räumen von Marcus Ganser auch nicht weit genug, so sehr sich Sylvia Eisenberger die Rolle der Mutter auch auf ihre schmale Spitzigkeit zurecht biegt, so sehr Martina Dähne die völlig aus der Spur agierende Tochter auch wankt, so sichtlich Randolf Destaller als Sohn auch leidet. Für einen Sterbenden hat Clemens Aap Lindenberg noch viel Kraft, aus seinem Sterbebett zu brüllen, Eric Lingens läßt sich im 2. Akt an die Grenze seiner Nerven und bis zur körperlichen Brutalität treiben, und Angelika Auer ist eine coole Krankenschwester. Und so gut sie alle auf ihre Art sind, mit konventioneller Schauspielkunst kann man den Kampf mit diesem unguten Stück nicht gewinnen. Bei der Wiener Premiere plätscherte ein wenig Beifall für die Darsteller kurz und unüberzeugt dahin.
 
Renate Wagner

Eine Übernahme aus dem Online-Merker, Wien mit freundlicher Erlaubnis der Autorin