Over the rainbow…

Paul McVeigh – „Guter Junge“

von Frank Becker

Over the rainbow…
 
Bis heute ist der mühselig ausgehandelte Frieden zwischen Katholiken und Protestanten im nordirischen Belfast fragil. In der Zeit der offenen Konflikte in einer von Barrikaden durchzogenen Stadt und der kompromißlos gewalttätigen IRA ist Paul McVeighs Roman „Guter Junge“ angesiedelt, der die Geschichte des etwa 10jährigen Mickey Donnelly erzählt, eines Jungen, der so ganz anders ist als seine Altersgenossen in der Schule und auf der Straße, der verzweifelt auf den Stimmbruch wartet, dessen bester Freund seine kleine Schwester Maggie ist und der Tag für Tag mit der allgegenwärtigen Gewalt konfrontiert wird.
 
McVeigh läßt den Leser die Geschichte eines in Armut aufwachsenden Underdogs eintauchen, eines Träumers, der sich da in Phantasiewelten flüchtet, wo die Realität ihn überfordert. Und das ist nicht selten der Fall. Nicht ohne Grund ist „The Wizard of Oz“ sein Lieblingsfilm. Aber er ist auch einer, der trotz aller Pflichtvergessenheit ein goldenes Herz hat. Seine Angeberei und seine Tagträume trägt er wie einen Schutzschild vor sich her. Erzählt werden die neun Wochen der heißen Sommerferien zwischen dem Ende der Grundschule und dem Eintritt in die Secondary School, von der er sich den großen Umbruch erhofft – oder die er fürchtet, falls er in die falsche Schule zu den Harten Kerlen kommt. Mickey liebt seine Mutter, die mit rauher Herzenswärme ihre vier Kinder durchbringt, er haßt seinen Vater, einen brutalen Trinker, der die Mutter verprügelt und ihren Verdienst versäuft. Er verachtet seinen großen dummen Bruder Paddy, der sich der IRA und ihrer sinnlosen Gewalt zuwendet und er respektiert widerwillig seine ältere Schwester Mary.
Am liebsten von allen aber sind ihm sein Maggielein, mit der er alle Geheimnisse teilt und sein Hund Killer. Hier findet er Zuspruch, Wärme und Zärtlichkeit, hier wird er respektiert. McVeigh schlüpft packend in die Figur Mickeys, wird ganz er, der kleine Junge mit den großen Träumen von Amerika und davon, ein Schauspieler zu werden, es einmal allen zu zeigen. Der mit Lügen und Gemeinheit, mit Verliebtheit (wir erleiden mit ihm das Zerplatzen der Seifenblase erster großer Liebe zu Teresa) und falscher Erotik, mit Dummheit, Haß und Vertrauensbruch, mit Angst und Tod, aber auch mit unerwarteter Freundlichkeit starker Solidarität konfrontierte Mickey durchlebt in den erzählten neun Wochen mehr, als ein Junge dieses Alters eigentlich verkraften kann.
 
Paul McVeigh vermittelt als brillanter Beobachter mit diesem rückhaltlosen Roman exemplarisch, was Kinder in Belfast über Jahrzehnte haben erleben und ertragen müssen, etwas, das die erwachsenen gewordenen Menschen sicher nie vergessen können und sie bis heute formt. Das ist neben der in oft harten schwarz/weißen Bildern gezeichneten Geschichte eines liebenswerten Außenseiters ein nicht zu unterschätzender Verdienst dieses fesselnd erzählten Buches.
 
Paul McVeigh – „Guter Junge“
Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser und Nina Frey
Quartbuch. 2016
© 2016 Wagenbach, 252 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag - ISBN 978-3-8031-3279-6
22,- € / eBook 19,99 €
 
Weitere Informationen:  https://www.wagenbach.de