Edgar Degas und Auguste Rodin

Eine Führung durch die Wuppertaler Ausstellung - Kapitel 9

von Gerhard Finckh

Edgar Degas, Sitzender Rückemakt, 1897 - Foto © Frank Becker

Edgar Degas und Auguste Rodin
Wettlauf der Giganten zur Moderne

25. Oktober 2016 – 26. Februar 2017
im Von der Heydt-Museum Wuppertal

B
is zum 26. Februar 2017 zeigt das Von der Heydt-Museum in Wuppertal mit der Gegenüberstellung von Werken des Malers Edgar Degas und des Bildhauers Auguste Rodin die erste Ausstellung dieser Art überhaupt. Der Museumsdirektor und Kurator Dr. Gerhard Finkh führt mit kurzen Kapiteln, die wir in den kommenden Wochen vorstellen, in die Chronologie der Ausstellung ein.

Kapitel 9 / Raum 9
Edgar Degas und Auguste Rodin
Nähe und Distanz – Nacktheit, Voyeurismus und blockierende Bildsysteme
 
In den kleinformatigen Tänzerinnen-Figuren von Degas und Rodin spielte deren Nacktheit und – damit verbunden, der erotische Aspekt – keine große Rolle. Anders verhält es sich in den Arbeiten auf Papier, den Tänzerinnen-Aquarellen Rodins und den Pastellen von Degas. Hier stehen neben ungewöhnlichen Bewegungsmotiven die Nacktheit und der voyeuristische Blick im Zentrum des Interesses. Sofern es sich nicht um Göttinnen oder andere mythologische Figuren handelte, galt die weibliche Nacktheit im späten 19. und beginnenden 20. Jahrhundert als obszön und war auch in der Bildenden Kunst mit einem Tabu belegt, gegen das sowohl „Salon-Künstler“ als auch die Avantgarde und die Impressionisten vehement anrannten. Skandale um Darstellungen nackter Frauen wie z. B. Manets „Frühstück im Freien“ hatten 1863 bzw. seine „Olympia“ 1865 nicht nur die französische Kunstwelt erschüttert, sondern sorgten weit darüber hinaus für Gesprächsstoff.


Auguste Rodin, Weiblicher Akt mit gespreizten Beinen, o.J.- Foto © Frank Becker

Rodin und Degas verstießen mit ihren Darstellungen „gewöhnlicher“ Frauen beim Bad, im Bordell oder einfach in erotischen Posen dezidiert und explizit gegen diese Tabuisierung von Nacktheit, ohne dabei jedoch in die Niederungen der Pornographie abzugleiten. Sie erreichten dies in unterschiedlicher Weise: Degas plazierte seine sich waschenden, kämmenden, pflegenden Frauen meist so im Bild, daß sich zwischen dem zudringlichen Blick des Betrachters und der nackten Person Gegenstände oder Möbel befinden, die den Blick, bzw. den Weg versperren, sodaß sich für die Beobachteten eine Art Schutzzone ergibt, Rodin dagegen stellte seine Nackten meist als von einem oder mehreren Bildrändern überschritten dar, so daß sie nur ausschnitthaft erscheinen und in ihrer Körperlichkeit an die Fläche des Blattes rückgebunden sind. Sie wirken dadurch weniger plastisch, damit auch weniger „greifbar“ und auch in ihrer erotischen Ausstrahlung begrenzt.

 
Auguste Rodin Toilette der Venus, 1890 - Foto © Frank Becker
 
Komplexer ist die Frage der Haptik und der Erotik in den Steinskulpturen Rodins behandelt. Rodin setzte für Skulpturen wie „La Pensée“ oder „La Douleur“ oder auch bei seiner „Danaïde“ auf den Gegensatz zwischen der rohbelassenen Steinbosse und der fein ausgearbeiteten, glatt polierten Figur. Dadurch wirkt der rohe, umgebende Stein hier – ähnlich wie die Gegenstände und Möbel in Degas‘ Zeichnungen – als ein Schutzraum, der die sensible, sensitive Darstellung umfängt und behütet, - die spezifische Anordnung von Figur und Umraum läßt die dargestellten Personen durchaus erotisch erscheinen, ohne sie der Pornographie verdächtig zu machen.