Keine adäquate Umsetzung eines Stücks großer deutscher Literatur

„Jeder stirbt für sich allein“ von Vincent Perez

von Renate Wagner

Jeder stirbt für sich allein
(Alone in Berlin - 2016 Deutschland, Frankreich, UK)

Regie: Vincent Perez
Mit: Emma Thompson, Brendan Gleeson, Daniel Brühl, Imogen Kogge, Katharina Schüttler, Lars Rudolph u.a.
 
Hans Fallada (1893-1947) schrieb seinen Roman „Jeder stirbt für sich allein“ bald nach dem Zweiten Weltkrieg und kurz vor seinem Tod. Seine Schilderung vom möglichen (wenn auch letal endenden) Widerstand des „kleinen Mannes“ gegen das Nazi-Regime machte das Buch nicht nur in der unmittelbaren Nachkriegszeit zu einem der wichtigsten Romane – als Rückschau wie als Erkenntnis (und es stimmt einfach nicht, daß die Deutschen nicht ziemlich prompt auf die Nazi-Zeit reagiert hätten, von „Draußen vor der Tür“ bis „Die Mörder sind unter uns“. Erst später hat man Rückschau zugunsten des Wirtschaftswunders verweigert).
1976 gab es eine deutsche Verfilmung, damals spielten Hildegard Knef und Carl Raddatz mit ihren ältlichen, müden, deutschen Gesichtern in der Regie von Alfred Vohrer das Ehepaar Quangel. Nun, bei der Neuverfilmung, scheint das Werk nicht in die richtigen Hände geraten zu sein. Denn „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß“ funktioniert im allgemeinen nicht.
 
Man kennt Vincent Perez, den französischen Schweizer mit dem Spanisch klingenden Namen als Schauspieler. Höhepunkt seiner Leinwandkarriere war es wohl, als er 2003 „Fanfan der Husar“ sein durfte (auch wenn es in den Augen von Filmfanatikern wenig Sinn machte, Gerard Philippe eine Rolle nachzuspielen). Nun stellt er sich nach längerer Pause wieder einmal als Regisseur vor, verfilmte Hans Falladas „Jeder stirbt für sich allein“ – auf Englisch, mit britischen Hauptdarstellern, Emma Thompson und Brendan Gleeson, immerhin. Hierzulande sieht man den Film auf Deutsch, was natürlich richtig ist.
Schon das Drehbuch ist auf Vereinfachung ausgerichtet, die vermutlich auf das englischsprachige Publikum abzielt, wenngleich außerhalb Europas wohl kaum Interesse an dieser kleinen, dichten, tragischen Geschichte aus dem Alltag des Nationalsozialismus herrschen dürfte. Was Perez mit Hilfe von Achim und Bettine von Borries von der Geschichte beläßt, ist nicht das breite Gesellschaftsbild der „einfachen Leute“ einerseits, bei Gestapo und SS andererseits. Die Verhältnisse im Berliner Mietshaus, wo damals, um 1940, auch noch eine versteckte Jüdin wohnt (die sich dann ihrer Deportation durch Selbstmord entzieht), sind höchst vage nachgezeichnet (wobei man eine Menge erstrangiger deutscher Schauspieler für Kleinrollen geholt hat – von Imogen Kogge bis Katharina Schüttler u.a.) Sicher ist für den Film die Konzentration auf die Quangels richtig, aber es geht doch sehr um die Welt, in der sie leben, und diese wirkt so konturlos wie das Berlin, durch das sie gehen, das „Babelsberg!“ zu rufen scheint und keinesfalls den Eindruck bedrückender Echtheit erweckt.
 
Emma Thompson und Brendan Gleeson sind nicht nur herausragende Schauspieler (die aus den Nuancen des Schweigens unendlich viel zu holen wissen), sondern auch Stars, die das Publikum in die Kinos holen. Sie spielen das Ehepaar, dessen einziger Sohn gefallen ist (die erste Szene des Films besteht darin, daß der junge Soldat in einem Wald abgeschossen wird). Sie sind Menschen, die bis dahin geschwiegen haben wie alle, die aber nun protestieren – nur leise, mit Karten, deren Texte gegen das Regime gerichtet sind und die sie (hier nur Otto) in Treppenhäusern ablegen.
Das erzählt sich in dem Film so still und brav, wie auch die Hektik bei Gestapo und SS bei dem relativ ruhigen, als „Polizisten“ bezeichneten Escherich zusammen läuft (Daniel Brühl, unaufgeregt hinter den Volksschädlingen her). Die späteren Passagen des Romans, die Verhöre bei der Gestapo, streicht das Drehbuch auf ein Minimum, wie überhaupt der Eindruck entsteht, der Regisseur wollte sich der Schmerzgrenze nie auch nur nähern, um seinem Publikum nicht weh zu tun.
Aber wenn die Geschichte der Quangels nicht unter die Haut geht, wenn die Größe dieser Tat der kleinen Leute nicht klar wird – wozu dann überhaupt? Dann hat man „Jeder stirbt für sich allein“ wirklich auf „Alone in Berlin“ reduziert, wie der englische „Originaltitel“ des Films lautet, und dann prunkt man mit zwei Stars, aber nicht mit der adäquaten Umsetzung eines Stücks großer deutscher Literatur.
 
 
Renate Wagner