Ein leiser Film mit tiefer Wirkung

„Amerikanisches Idyll“ von Ewan McGregor

von Renate Wagner

Amerikanisches Idyll
(American Pastoral – USA 2016)

Regie: Ewan McGregor
Mit: Ewan McGregor, Jennifer Connelly, Dakota Fanning, David Strathairn u.a.
 
Sieht man diesen Film, möchte man gleich in die Diskussion einsteigen, was sich die schwedische Akademie eigentlich dabei denkt, Philip Roth (und jetzt wird er bald 85, es ist also hoch an der Zeit) Jahr für Jahr den Nobelpreis für Literatur nicht zuzusprechen? Der Mann hat eine beeindruckende Reihe meisterlicher Romane geschrieben, die ihn, wie man so schön sagt, immer „am Puls der Zeit“ zeigten, ein Chronist seines Amerika, das er aus dem Standpunkt eines jüdischen Intellektuellen betrachtete, ohne alle anderen Amerikaner auszusperren.
Sein „American Pastoral“ aus dem Jahre 1997 leistete aus der Distanz von gut einem Vierteljahrhundert eine Aufarbeitung dessen, was der Vietnamkrieg dem Land angetan hat, wie die unschuldigen Opfer nicht nur unter den Vietnamesen und den Gefallenen zu suchen waren, sondern auch unter der amerikanischen Bevölkerung selbst. Ja, die USA sind derzeit wahrlich nicht zum ersten Mal ein „gespaltenes“ Land, und Bombenterror und Straßenschlachten sind nicht nur Gegenwart.
 
Was kann man in den USA mehr sein als ein Sportler-Star an der Highschool, so wie „der Schwede“, wie alle den blonden jungen Mann nennen, ungeachtet seiner jüdischen Herkunft, die man ihm nicht ansieht. Was kann man in den USA mehr sein als eine lokale Schönheitskönigin (und als solche eine begehrte „Beutefrau“?). Selbst wenn Dawn Dwyer keine Jüdin ist, was Vater Levov schon schwer im Magen liegt – kann es eine schönere Liebesgeschichte geben als jene zwischen Seymour „Swede“ Levov und Dawn, die auch die nicht gering anzusetzenden konfessionellen Schwierigkeiten überwindet? Dann führt Seymour noch die kleine, aber sehr feine Handschuhfabrik der Familie in Old Rimrock in der Umgebung von New York, und er ist anständig und zutiefst liberal, 80 Prozent seiner Angestellten sind Schwarze, und sie würden für ihn durchs Feuer gehen. Und wenn Dawn (die ihrerseits am ländlichen Anwesen der Familie noch Kühe züchtet) und Seymour eine entzückende blonde Tochter bekommen – ja, dann ist das „amerikanische Idyll“ perfekt, mehr kann man vom Leben nicht verlangen. Die Belohnung dafür, daß man ein so grundanständiger Mensch ist, bleibt also nicht aus. Oder?
 
Ewan McGregor, der blonde, immer interessante Schotte, ebenso in „Star Wars“ und Unterhaltungsfilmen dabei wie bei hoch anspruchsvollen Produktionen, hat sich voll in das „Amerikanische Idyll“ gestürzt. Er spielt nicht nur die Hauptrolle, er war auch an der Drehbuchfassung von John Romano beteiligt und führte erstmals Regie. Er hat der Geschichte eine Rahmenhandlung gegeben, in der er Nathan Zuckerman (eine Roth-Lesern wohl bekannte Figur aus zahlreichen seiner Romane) als Schulkollegen des „Schweden“ einführt, der in der Gegenwart bei einem Schultreffen Seymours Bruder begegnet, von Seymours Tod erfährt und auch dessen Geschichte erzählt bekommt.
Ein perfekter Kunstgriff auch für das Kinopublikum, dem das Zeitgemälde aus den Sechziger / Siebziger Jahren nicht als solches hingestellt wird, sondern als Erinnerung, in die auch viel historisches (oft noch schwarzweißes) Filmmaterial eingearbeitet wird. Die amerikanische Idylle wird durch die politischen Ereignisse zur amerikanischen Tragödie, und man folgt ihr mit nicht alltäglicher Faszination.
Daß mit Töchterchen Meredith, „Merry“ genannt, nicht alles stimmt, zeigt sich von früher Kindheit daran, daß sie stottert. Die Psychiaterin schiebt das auf den Wettkampf der Tochter mit der Mutter um die Gunst des Vaters (und tatsächlich gibt es Annäherungen des Kindes an Papa, die ein weniger diskreter Regisseur wie McGregor vielleicht peinlich ausgewalzt hätte). Obwohl es Merry, man sieht es, man weiß es, an nichts fehlt, nicht an Liebe, nicht an Verständnis, wird sie ein unleidlicher Teenager – und schließlich eine radikale politische Aktivistin, die das Elternhaus verläßt und mit Terroranschlägen schuldig wird.
Nicht nur die bürgerkriegsartigen Szenen, die das Land damals erschüttern, sind quälend mit anzusehen, ebenso tragisch ist, wie der von Polizei und FBI bedrängte Seymour (im Gegensatz zu Dawn, die die Tochter fallen läßt und ein neues Leben für sich wünscht) an Merry festhält, obwohl er später erfährt, daß sie eine mehrfache Mörderin ist, wie er bereit ist, alles auf sich zu nehmen, um wieder Kontakt mit ihr aufzunehmen – und die Tragödie (an der eine radikal-bösartige Freundin von Merry beteiligt ist) kulminiert am Ende in einem Wiedersehen, das klar macht, wie hoffnungslos zerstört alle Leben dieser Familie sind.
 
Ewan McGregor ist der anständige Mensch, der nur aus Liebe zur Tochter gelegentlich aufhört, der gewissenhafte, brave Bürger zu sein (was nicht hinterfragt wird), Jennifer Connelly spielt die Wandlung der entschlossenen jungen Schönheitskönigin zur zerbrochenen Frau, die sich neu erfindet, großartig, aber es ist Dakota Fanning, die Merry vom Teenager bis zur selbst zerstörten Ruine einfach faszinierend verkörpert.
Philip Roth verteilt keine Schuldzuweisungen, zieht kein moralisches Resümee. Er zeigt ganz einfach, daß mit des Geschickes Mächten kein ewiger Bund zu flechten ist. Und er zeigt es atemberaubend – und Ewan McGregor, der auch einen lauten Film hätte machen können, entschied sich für einen leisen. Umso tiefer ist die Wirkung.
 
Trailer   
 
Renate Wagner