„Deadwood – ein verdammt guter Platz um sein Glück zu machen, oder zu sterben“

Sodom und Gomorrha – so war der Wilden Westen wirklich

von Peter Bilsing

Deadwood - Gute Serien auf DVD – Teil 1

Sodom und Gomorrha – so war der Wilden Westen wirklich

„Deadwood – ein verdammt guter Platz um sein Glück zu machen, oder zu sterben“

Die wahrscheinlich beste, weil realistisch detailgetreueste Western-Serie, die je gedreht wurde, fristet in Deutschland ein absolutes Understatement-Dasein. Sicherlich auch deswegen, weil sie bisher leider nur bei Premiere zu empfangen war. Das spricht für das Qualitätsmanagement dieses Privat-Senders und beweist mal wieder, daß unsere öffentlich Rechtlichen im Tiefschlaf seichten Dummbrösel-Fernsehens weiterhin großes Kino verschnarchen. Größeren DVD-Verkaufszahlen in Deutschland steht wahrscheinlich entgegen, daß die Serie (zu Recht) erst ab 16 Jahren zugelassen ist und kaum hierzulande bekannte Schauspielgesichter zeigt.

Deadwood ist kein Action-Kino, sondern gute Schauspielkunst; die kruden Sexszenen und teilweise brutale Sequenzen kommen nie voyeuristisch oder als Selbstzweck daher, sondern wirken einfach nur handlungsstringent und logisch; zynisch kalt, wie in einer Dokumentation. Das ist kein Bonanza! Es gibt keine Helden à la John Wayne oder Gary Cooper, aber auch keine Antihelden, wie in Clint Eastwoods „Unforgiven“ bzw. Sam Peckinpah „The wild Bunch“. Die Bösen sind nicht nur schablonenhaft, rauh, hinterhältig und gemein, sondern werden vom genialen Regisseur David Milch (NYPD Blue) psychologisch feinsinnig ausgeleuchtet. Die Guten, im klassischen Sinne, gibt es nicht. Jeder ist einzig auf seinen Vorteil bedacht, auf Ausplünderung und Ausbeutung der anderen und Gewinnmaximierung. Dabei geht praktisch jeder ungerührt über Leichen, egal ob selbst-, oder fremdverursacht. Gemeinheit, Raffgier und Rücksichtslosigkeit beherrschen die Welt dieses anfänglichen Zeltdorfes – ein eiskaltes Mahagonny der Dollars, Guns and Roses. Der Zyniker erkennt hier durchaus ein Spiegelbild unserer Welt von 2008.

Das Regieteam zeichnet mit einer fantastischen Kameraführung Bilder von unglaublicher Präsenz. Wenn immer es möglich ist, fährt die Kamera gnadenlos nah ran, rückt den Protagonisten fast intim auf den Pelz, auf die Haut und zeigt Gesichter, wie man sie in kaum einem Film je so beeindruckend sah. Jede kleinste Narbe, jede Hautfalte, jeder Pickel, jede Schweißperle und jeder Blutspritzer werden erbarmungslos realistisch gezeigt. Es ist Kameraqualität eines Sergio Leone oder Michael Ballhaus. Hinzu kommt ein kaltes, leicht sepiafarbenes, stellenweise scharfzeichnend graues Doku-Licht, fern aller Wärme und bar aller Farbigkeit, die wenn überhaupt, sich nur im roten Blut manch brutaler Nahaufnahmen spiegelt. Da ist Film wirklich großes Kunstwerk, von der Kamera gezeichnete Gemälde im Stellenwert historisch großformatiger schwarz-weiß-Fotos; ungeheure Bilder, die teilweise auch durchaus schmerzlich in Erinnerung bleiben. Genial ist allein schon die sich in jeder Folge wiederholende Eröffnungssequenz – ein atemberaubender cineastischer Geniestreich an sich.

Deadwood spielt kurz nach der Schlacht am Little Big Horn im Jahre 1876. Der Ort ist zu dieser Zeit noch kein richtiges Western-Kaff im traditionellen Sinn, sondern eher ein ständig wachsendes improvisiertes Goldgräber-Lager, Treffpunkt von Gesindel und Abenteurern, wo Tag für Tag neue Gebäude und Verkaufsbuden gezimmert werden. Praktisch alle Charaktere gehen auf historischen Figuren zurück (die bekanntesten: Calamity Jane, Wild Bill Hickok, Wyatt Earp…etc), wobei die Handlung fiktiv bleibt. Täglich kommen neue, darunter sehr skurrile Gestalten an. Gezeigt wird die teilweise zumindest kalendarisch kurze Lebenswelt von real existierenden Mördern, Prostituierten und Goldgräbern.

Brillant häßlicher wurde seit „Westwärts zieht der Wind“ und „Unforgiven“ selten ein Szenario gebaut. Die Wege von Deadwood bestehen aus einer einzigen Schmutz- und Jauchegrube, Saloon, Bordell und Spielhalle gehen ebenso hautnah ineinander über, wie der Straßendreck in den Schweinestall und die Schweinehälften-Lagerhalle des örtlichen - natürlich chinesischen! – Metzgers, dessen wohlgenährte Tiere manch preiswert zu handelndes Mord-Opfer relativ spurlos und zynisch allzeit zu entsorgen bereit sind. Hier herrscht die Pest, regiert ein Heer Gesetzloser, an deren Spitze der schmierige bösartige Saloonbesitzer Al Swearengen (begnadet: Ian MacShane!) die Weichen gerade einmal soweit stellt, daß nicht alles im totalen Chaos versinkt.

Natürlich ist der Film stellenweise frauenfeindlich, rassistisch und bösartig; weil er historische Realität, ohne alle Glättungen, mit allen ihren menschlichen Gemeinheiten widerspiegelt. Es gelingt dem Regieteam auch bei seinen sogenannten „Helden“ in die Tiefe zu gehen. Die Charaktere werden ausgeleuchtet, geradezu seziert und psychologisch auseinander genommen, wie in keiner anderen Serie. In jeder Folge der von mir gesehenen 1. Staffel entwickeln sich die Hauptakteure weiter, werden neue Abgründe ausgeleuchtet und es treten überraschende Wendungen auf. Selten hatte eine Fernsehproduktion das Format solch ganz großen Kinos – Reaktion und Zeitgeist auf das mittlerweile gähnende Hollywood-Niveau und die langweilige Ausgelaugtheit des immergleichen Flachsinns und der immergleichen faden Gesichter.

Bild- und soundtechnisch (trotz deutschem Dolby Surround / Original in 5.1. dolby digital) so in etwa das Beste, was bisher auf DVD gepreßt wurde. Selbst bei einem 1,50er Plasma in nicht HDTV-Auflösung ist das Bild noch durchgängig so scharf, wie bei einem alten legendären 15-DIN Dia. Ein Beamer mittlerer Leuchtkraft läßt sich locker auf 3 Meter aufzoomen, ohne das Gefühl des Kontrastverlustes zu haben. Das ist technische Referenz-DVD erster Kategorie und Güte; leider hat die 1. Staffel der Serie keinerlei Zusatzmaterial. Welch eine Schande!

Deadwood wurde mit hochwertigen Film-Preisen geradezu überschüttet: sieben Emmys und ein Golden Globe. Bei der Golden-Globe-Verleihung 2005 wurde die Fortsetzung in der Kategorie "Beste Serie - Drama" nominiert und Ian McShane als bester Darsteller einer Fernsehserie ausgezeichnet. Weitere Auszeichnungen kamen von der Cinema Audio Society, der Directors Guild of America und der Vereinigung American Cinema Editors.

Bisher wurden 3 Staffeln à 12 Folgen mit jeweils knapp einer Stunde Spieldauer produziert. Die dritte Staffel läuft ab 24. August bei Premiere. Gesamtausgaben aller 36 Folgen gibt es ab rund 75 Euro bei Amazon. Die Staffeln sind auch einzeln erhältlich. Für einen kritischen Westernfan absolut unverzichtbar! Ein Meilenstein in der Geschichte des Westerns. Darstellerisch, filmisch und künstlerisch ein mehr als Oscar-reifes Episoden-Meisterwerk ab 16 Jahre.
Beispielbild

Deadwood - Season 1

Produktionsland: USA 2004

www.paramount.de

EN 111152C
640 Minuten / 4 DVDs

Cast & Crew:

Buch: David Milch
Regie: Walter Hill

Darsteller:

Kim Dickens
Timothy Olyphant
Brad Dourif
Molly Parker
Ian McShane
Jim Beaver
John Hawkes
Robin Weigert
W. Earl Brown