US-Wahl: Was schon vor der Auszählung feststeht

Ein Kommentar

von Ulli Tückmantel

Foto © Anna Schwartz
US-Wahl:
Was schon vor der Auszählung feststeht

Von Ulli Tückmantel
 
Als Barack Obama 2008 zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten wurde, erbte er damit automatisch die Anführerschaft der freien Welt. In den acht Jahren seitdem hat er sie gründlich verspielt; nicht nur für sich, sondern auf absehbare Zeit auch für seine Nachfolger. Europa folgt den Amerikanern nicht mehr selbstverständlich auf ihre Kreuzzüge. Sowohl in der Ukraine-Krise wie auch im Syrien-Konflikt haben die USA sich geweigert, ihre Führungsrolle wahrzunehmen. Insgesamt hat sich die amerikanische Aufmerksamkeit auf den pazifisch-asiatischen Raum verschoben.
Was bedeutet das für Deutschland und Europa? Es zeichnet sich eine multi-polare Welt mit den USA, Europa, China und Russland als entscheidenden Gestaltern ab, die jedoch weit davon entfernt ist, eine klare Ordnung mit verläßlichen, sicheren Strukturen erkennen zu lassen. Das wird die EU-Staaten zunächst einmal vor allem viel Geld kosten, allein für höhere Verteidigungsausgaben und mehr internationales Engagement.
Den größten aktuellen Herausforderungen – dem inner-islamischen Krieg und seiner Stellvertreter-Kämpfe aller gegen alle, dem wachsende Migrations-Druck aus dem afrikanischen Kontinent in Richtung Europa und der weltweiten Einfluß-Vergrößerung des autoritären chinesischen Staats-Kapitalismus, der in diesem Jahr die USA als größte Volkswirtschaft der Welt abgelöst hat – werden die europäischen Länder nur mit deutlich mehr Europa statt mit nationaler Ängstlichkeit und Kleinstaaterei begegnen können. Bei all dem ist auf die USA kein Verlaß mehr.
 
Nach dieser Wahl werden die USA vor allem mit sich selbst beschäftigt sein: Das Ergebnis wird die Spaltung des Landes zunächst noch verstärken. Seine schwer beschädigte politische Klasse wird sich neu aufstellen und seine ramponierte Demokratie heilen müssen. Als Europäer staunt man ja, was alles in den USA nicht die Wahlen entscheidet: Zum Beispiel, daß seit 1968 mehr Amerikaner durch zivile Schußwaffen starben (rund 1,5 Millionen Menschen) als in allen US-Kriegen seit der Unabhängigkeit im Jahr 1775. Oder daß der ungelöste Rassen-Konflikt das Land im Dauerzustand eines latenten Bürgerkriegs gefangen hält. Oder daß der Verelendung ganzer Bevölkerungsgruppen der Vorzug vor einem Mindestmaß an Sozial- und Krankenversicherung gegeben wird.
Umso erstaunlicher war, daß die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich eines der wichtigsten Wahlkampf-Themen war – und Demokraten wie Republikaner sich mit Hillary Clinton und Donald Trump auf denkbar ungeeignete Kandidaten festlegten, dieses Thema glaubwürdig und lösungsorientiert anzugehen. Denn sowohl Trump als auch Clinton stehen für ein überlebtes System, das erst leugnete, überhaupt ein System zu sein, und im Sommer dann in aller Stille sein Ende verkündete: Der Internationale Währungsfonds hat den „Neoliberalismus“ für tot erklärt.
Nach drei Jahrzehnten hat das goldene Kalb der Wirtschaftstheorie eine globalisierte Dauerkrise hinterlassen, weltweit Steuerzahler für Spekulanten mit Spielbank-Mentalität bluten lassen und in den Industrienationen die Schere zwischen Arm und Reich vergrößert.
Während die Einkommen von einem Prozent Top-Verdiener in den vergangenen 40 Jahren um 200 Prozent gestiegen sind, stiegen die US-Durchschnittseinkommen seit den 70er Jahren gar nicht. Das war einer der Gründe, warum in den USA ausbleibender Wohlstand durch billige, letztlich ungedeckte Kredite ersetzt wurde, die 2007 in die Subprime-Krise führten.
Ein knappes Jahrzehnt später ist das Land alles andere als fit für die Zukunft: Die öffentliche Schulbildung rangiert im OECD-Vergleich weit auf den hinteren Plätzen (wie die USA auch bei Infrastruktur-Zustand, Kindersterblichkeit und Lebenserwartung unterdurchschnittlich abschneiden). Im Kampf um bessere Bildung haben Akademiker einen Berg von 1,2 Billionen Dollar Ausbildungs-Schulden angehäuft, die sie jedoch mangels entsprechenden Einkommens kaum abtragen können.
 
Für viele Amerikaner funktioniert der amerikanische Traum schlicht nicht mehr – und das nach acht Jahren stetigen Aufschwungs. Steuern die USA demnächst in Richtung einer Rezession (wofür die verlangsamende Konjunktur spricht), wird dies umso härter auf die europäischen Exporte durchschlagen. Und damit, wenn auch zeitverzögert, auf den deutschen Arbeitsmarkt und die Steuereinnahmen. Gleichgültig, wer die vergangene Nacht gewonnen hat: Die amerikanische Schwäche wird Deutschland und Europa teuer zu stehen kommen.
Das Niveau, auf dem der US-Wahlkampf geführt wurde, muß der politischen Klasse in ganz Europa eine Warnung für die bevorstehenden Wahlkämpfe sein: Wer sich über die Belange der Menschen erhebt, macht am Ende die Populisten groß. Wer ihnen dann auch noch nacheifert, macht sie noch größer.
 
 
 
Der Kommentar erschien am 9. November 2016 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.