Adamson der Große

„Adamson” von Oscar Jacobsson

von Joachim Klinger/Bec.

© 1954 Rowohlt Taschenbuch Verlag - rororo108
Adamson der Große
 
Es gibt Kunstfiguren, die sich schier unverwüstlicher Lebendigkeit erfreuen, so auch im Bereich Karikatur/Comic Adamson, ein Geschöpf des schwedischen Zeichners Oskar Jacobsson (1889-1945). Adamson erblickte 1920, kurz nach dem Ersten Weltkrieg, das Licht der Welt und eroberte von Schweden aus rasch die Herzen der Zeitungsleser in Europa und in den USA.
 
Es ist auch für den geübten Zeichner durchaus schwierig, den Witz aus einer wortlosen Karikatur „sprechen” zu lassen. Hier arbeitet der Karikaturist/Cartoonist mit der Situationskomik und Überraschungseffekten. Exemplarisch läßt sich das an den stummem Bilderfolgen verdeutlichen, deren Protagonist ein energiegeladenes drolliges Kerlchen mit drei Haaren auf dem kahlen Schädel und einem Nußknackermund ist: Adamson.
Dieser Sohn Adams, ein cholerischer Typ mit dem verhängnisvollen Hang zur raschen Lösung aller ihn belastenden Umweltprobleme, bereitet dem Betrachter mit seinen abenteuerlichen Eskapaden immer wieder neu größtes Vergnügen. Natürlich führt der Reparaturversuch an einer Wasserleitung dazu, daß eine riesige Welle den kleinen Mann aus dem Haus spült. Das Bemühen, einen wackeligen Stuhl durch Kürzung der hölzernen Beine mit einer Säge „in Ordnung zu bringen” scheitert total. Der immer kleiner werdende Stuhl wird schließlich zu einer reinen Sitzfläche auf dem Fußboden reduziert.
Situationskomik und Überraschungseffekt – aber hier kommt noch etwas hinzu, was eine neue Dimension in die „witzige Karikatur” bringt: die schicksalhafte Unzulänglichkeit des Menschen, die sich selbst bei der Bewältigung von Kleingkeiten zeigt. Als Zeugen des Scheiterns, des Versagens mögen wir ein wenig Schadenfreude empfinden, aber wir gewinnen auch die Erkenntnis, daß im Leben so manches schiefgehen kann, weil wir uns tölpelhaft anstellen oder sogar im Grunde ziemliche „Nieten” sind.
 
Adamson erlebt sein Mißgeschick meist mit stoischer Ruhe, fassungslos, auch verbittert, denn die Unglücksfälle häufen sich, sind geradezu die Re­gel. Seine Augen werden groß und starr, auf der Stirn erscheinen tiefe Fal­ten. Er steht regungslos da, ein schwermütiges Fragezeichen angesichts eines unfreundlichen, oft als unabwendbar erscheinenden Schicksals. Entlü­de Adamson seinen Zorn, seine Verzweiflung, gäbe er heftige Emotionen preis, dann würde sich der Betrachter rascher anderen Dingen zuwenden.
Die geballte Stummheit aber fesselt ihn, und er forscht noch eine Weile in dem kleinen verdüsterten Gesicht nach Wirkungen und Regungen. Es zeugt von der hohen Begabung des Zeichners, daß er seine Zuschauer einen Au­genblick über das Ende der Geschichte hinaus festhalten kann.
 
Von General de Gaulle wird erzählt, er habe auf die Frage, wen er um seine Popularität beneide, spontan geantwortet: „Tintin!” („Tintin et Milou”, in Deutschland „Tim und Struppi” von Hergé gezeichnet). Ja, den Beliebtheitsgrad von diesen Gestalten großer Zeichner kann kein Politiker erreichen!
Dabei muß die Kunstfigur nicht immer Sympathieträger sein. „Tim und Struppi” oder „Vater und Sohn” sind das ohne Zweifel; sie bleiben mit ihren Alben ganzen Generationen nahe. Aber Adamson tut manches, was uns nicht gefällt. Wer stellt schon einem dahingeschiedenen Angehörigen einen Kaktus auf das Grab?! Hilfeleistungen überfordern Adamsons Temperament und seine Geduld. So mögen wir auf Distanz zu ihm gehen, wir bleiben doch immer auf seiner Seite.
 

Einem glücklichen Zufall verdanke ich die Entdeckung von vier querformatigen Adamson-Bänden mit jeweils 60 Bilderfolgen, die der Verlag Dr. Selle-Eysler in Berlin zwischen 1926 und 1928 veröffentlichte. Die Besonderheit für mich waren die Verfasser der einführenden Texte.
 
Bei Band 1 war es Jacobssons oben erwähnter Auftraggeber, der schwedische Schriftsteller, Kolumnist und Zeitungsherausgeber Hasse Zetterström. Er schrieb: „Als Adamson geboren wurde brauchten wir ihn. Er kam im richtigen Augenblick. Wie es bei großen Männern der Geschichte stets der Fall gewesen ist. (…) Laßt uns über Adamson lächeln und über uns selbst.“

 
Der 2. (Neuen) Folge gab der scharfsinnige Kritiker Alfred Kerr, der große Theaterkritiker in der Zeit der Weimarer Republik, dem wir u.a. den Bühnenaufstieg von Gerhart Hauptmann verdanken, ein Vorwort mit auf den Weg. Er schrieb, den Stil seiner Theaterkritiken kopierend, in neun kurzen Abschnitten, jeweils unter römischen Ziffern, eine Betrachtung des Wesens und Wirkens von Adamson, aus der ich zitiere:
Wo war seine Wiegestätte?
Wo verlief sein Erdenlos?
Nicht bei Forain und Willette.
Nicht bei Zille und Schorsch Grosz.
Dann bringt Kerr Wilhelm Busch, Eulenspiegel und Scaramouche ins Spiel und ist sicher, daß Adamsons Tod kein endgültiger sein wird.
 


Der Schriftsteller, Bühnenautor und Kabarettist Hans Reimann wurde für Band 3 „Lieder ohne Worte“ gewonnen. Er paßte so recht in die Berliner Kulturszene der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts mit Kurt Tucholsky und Erich Kästner, schrieb spritzig-witzig und ist mir noch heute lieb als Allein-Autor einer jährlichen Literazzia, die nach dem zweiten Weltkrieg (1952-1967) alle Neuerscheinungen eines Jahres auf dem Büchermarkt präsentierte - eine stupende Leistung! In seiner Einleitung schlüpft er in die Rolle Morgensterns und dichtet:
Adamson hat weder Weib noch Kind;
junggesellig streift er quer durchs Leben,
gegen Katastrophen völlig blind.
Was er anfaßt, glückt ihm meist daneben.
 
Band 4 „Tiere und Menschen“ schließlich wurde von dem Schauspieler und Kabarettisten Paul Morgan eingeleitet, der die Erläuterungssucht der Rezensenten geißelt: „Hände weg von Adamson-Kommentaren! Lacht, lacht, lacht! Pfeift auf Erklärungen! Völker der Erde, wahrt Eure heitersten Güter…!“ Morgan, Mitbegründer des „Kabarett der Komiker“, wurde 1938 von den Nationalsozialisten im KZ Buchenwald ermordet.

 
 
Nach dem unseligen Dritten Reich veranstaltete der Rowohlt Verlag eine Taschenbuch-Neuausgabe (rororo 108) mit 52 Adamson-Geschichten, denen der Lektor und Schriftsteller Kurt Kusenberg ein Vorwort mitgab.
Kurt Kusenberg berichtet und zitiert dabei Hasse Zetterströms Vorwort zu Band 1, im Jahre 1920 habe Zetterström, damals der Chefredakteur einer schwedischen Sonntagszeitung, den Zeichner Jacobsson (1889-1945) gebeten: „Machen Sie eine Serie Zeichnungen von einem Mann!“ Jacobsson begriff sofort, was von ihm verlangt wurde. Er erfand Adamson, den die meisten Leser kennen werden und dessen meisterliche Beschreibung wir gleichfalls Kurt Kusenberg verdanken:
„Der Mann war klein und trug zum Ausgleich einen großen hohen Hut, wie Menzel. Er hatte ein Schimpansengesicht: Radieschenna­se über
breitem Mund und auf der Glatze genau drei Haare, wie Bismarck (in der Karikatur). Er rauchte unablässig Zigarren, wie Churchill, und hieß Adamson, Sohn Adams, zum Zeichen dafür, daß er ein ganz beliebiger Mann sei, ein Jedermann“.
Das ist eine Häufung komischer Attribute und garantiert den Wiedererkennungseffekt. Ob dieses Ziel nicht auch mit weitaus sparsameren Mittel erreicht werden kann?
Kusenberg fand auch die treffenden Worte zu Adamsons Charakterisierung. „So steht er denn vor uns: ein verdrossener Wicht mit dem Zigarrenstummel im Nußknackermund, der unverdrossen jede Herausforderung annimmt und fast immer unterliegt. Gelegentlich beweist er allerdings seine Pfiffigkeit, die selbst die von riesigen Rüpeln ausgehenden Gefahren überwindet.“
Kurt Kusenberg hat in einem Vorwort zu weiteren 66 Bildergeschichten von Oscar Jacobsson (1956) den von Pannen und Niederlagen geprägten Kampf des kleinen Adamson mit seiner Umwelt so trefflich beschrieben, daß er hier noch einmal zitiert werden soll: „In Adamsons Abenteuern spielt die Tücke des Objekts eine gro­ße Rolle, wenn nicht gar die Hauptrolle. Flinten entladen sich zur Unzeit, oder explodieren, Kragenknöpfe entschwinden spurlos, Briefmarken kleben prinzipiell nicht. Was irgendwie fallen kann, fällt, und was zerbrechlich ist, zerbricht, bisweilen sogar Unzer­brechliches”.
 
Ja, wer solche Vorwort-Skribenten hat, ist groß und braucht sich um sein Weiterleben nicht zu sorgen!

Literatur:
Oscar Jacobsson „Adamson“ - 51 Bildgeschichten, 1954 Rowohlt Taschenbuch Verlag, Band 108
Oscar Jacobsson „Die besten Adamson Bildgeschichten“ (zwei Bände), 1981/82 Knaur Taschenbuch Verlag, Bd. 2106 und 2130
 
Redaktion: Frank Becker