Nestbeschmutzer

Ein Kommentar

von Michael S. Zerban

Michael S. Zerban - Foto © Lennart Rauße
Nestbeschmutzer
 
Eigentlich sollte es nur eines der üblichen Interviews sein, mit denen Tageszeitungen auf eine bevorstehende Premiere aufmerksam machen wollen. Was Martin Schläpfer, Künstlerischer Leiter des Balletts am Rhein, dann allerdings Bettina Trouwborst von der Westdeutschen Zeitung in die Feder diktiert, ruft mehr als Erstaunen hervor.
 
Seit 2009 steht Tänzer und Choreograf Martin Schläpfer dem Deutschen Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg vor, zunächst als Ballettdirektor, neuerdings in einer mehr als kuriosen Konstellation als Künstlerischer Leiter und Chefchoreograf neben dem Ballettdirektor Remus Şucheană. Das heißt auch: Seit 2009 gibt es an der Oper kein Klassisches Ballett mehr, sondern nur noch Martin Schläpfer. Entgegen sich mehrender Kritik aus der Bevölkerung stört die Verantwortlichen das nicht. Schließlich wird der Choreograf mit Preisen und Auszeichnungen überhäuft.
 
Die nächste Schläpfer-Veranstaltung steht kurz bevor. Für die Westdeutsche Zeitung Anlaß, mit dem Tanztrainer zu sprechen. Die Antworten, die Bettina Trouwborst auf ihre Fragen bekam, offenbaren allerdings eine erschreckende Situation. So ist es Schläpfer in sieben Jahren nach eigenen Worten nicht gelungen, eine vernünftige Compagnie aufzubauen. „Wie soll ich mit diesen wunderbaren Persönlichkeitssolisten zwischen 18 und 47 Jahren eine einheitliche, klassische Linie hinkriegen? Ich habe kein Corps de Ballet“, sagt er. Ein Blick in die Nachbarstädte wie Essen, Gelsenkirchen oder auch Krefeld und Mönchengladbach hätte ihm leicht gezeigt, wie man ein funktionierendes Ballett aufbaut, in dem es auch Solisten gibt. Natürlich müssen da auch so profane Dinge wie synchroner Tanz geübt werden, um Publikumserfolge zu erzielen. Aber auf die ist Schläpfer aus seiner Sicht ohnehin nicht angewiesen. „Ist es meine Aufgabe, die Wünsche des Publikums zu erfüllen oder das zu tun, woran ich glaube? Ich bin ein Künstler, der heute arbeitet. Ich finde, der Tanz ist sich selber genug.“ Hier irrt der Künstler gewaltig. Dieses Publikum, das er hier so arrogant abkanzelt, bezahlt ihn – nicht für seine Selbstverwirklichung, sondern damit er daran mitwirkt, in der Stadt Düsseldorf ein funktionstüchtiges Ballett auf die Bühne zu bringen, das mit seinen Leistungen über die Grenzen der Stadt hinaus erstrahlt. Bislang glänzt hier nur einer, und der wähnt sich offenbar in einer anderen Welt.
 
„Ich habe kein Publikum, das nach Handlungsballetten verlangt“, sagt Schläpfer. Da mag er wohl Recht haben, denn das Publikum geht längst nicht mehr in die Selbstbeweihräucherungsveranstaltungen eines, der sich selbst gern zum Genie hochstilisiert. Und dieser Trend könnte sich durchaus fortsetzen, nachdem er den Düsseldorfern auch gleich noch sagt, was ihm ihre Heimatstadt bedeutet. „Nein, als Mensch bin ich hier nicht wirklich heimisch geworden“, lässt dieser offenbar zutiefst unzufriedene Mensch seine Mitbürger wissen. Wie sollte er auch in einer grausamen Wirklichkeit heimisch werden, die ihm Arbeit abverlangt für sein Geld? Immerhin ist er einer der bestbezahlten Tänzer der Republik. Und da erscheinen ihm die Arbeitsbedingungen unzumutbar. „Wir haben eine eher mittelmäßige Akustik, vor allem in Duisburg, und technische Ausstattung bei einem riesigen Repertoirebetrieb. Wir bespielen zwei Städte, arbeiten mit zwei Orchestern, was bereichernd und spannend ist, aber kaum Zeit läßt für Gastspiele.“
 
Die Düsseldorfer, die den Choreografen bezahlen, brauchen keine Gastspiele, sondern ein abwechslungsreiches Tanzprogramm. Und das bekommen sie auch. Das Tanzhaus NRW bringt die weltweite Avantgarde in die Stadt. Sowohl dem Vorgänger Bertram Müller als auch der amtierenden Intendantin Bettina Masuch ist es gelungen, nicht nur eine Marke, sondern auch ein internationales Aushängeschild der Stadt zu schaffen. Was Schläpfer in der Zwischenzeit macht? Er schimpft lieber auf Düsseldorf. „Die Stadt muß mehr tun. Das Marketing tut überhaupt nichts für uns.“ Das Tourismusmarketing, das Schläpfer hier vermutlich meint, hat genug damit zu tun, die real existierenden Attraktionen der Stadt im Rest der Welt bekannt zu machen. Und nicht die Visionen, die der Balletttänzer nicht hat. „Wenn ich mich messen lassen will – und das will ich – brauche ich ein absolut stichhaltiges Konzept. Die Frage ist, wann ich’s mache.“ Nach sieben Jahren erzählt der Mann allen Ernstes, daß er noch nicht weiß, wann er endlich ein „stichhaltiges Konzept“ entwickeln will. Solche Menschen auf der Gehaltsliste zu haben, ist selbst für einen kommunalen Kulturbetrieb ein starkes Stück.
 
In den wenigen Sätzen dieses Interviews offenbart Martin Schläpfer eine verheerende Bilanz seiner Tätigkeit. Konzept und Balletttruppe hat er nicht, das Publikum interessiert ihn genauso wenig wie die Stadt, die ihm angeblich nicht hilft. Früher hätte man so einen möglicherweise Nestbeschmutzer oder Blender genannt und mit Schimpf und Schande zu den Stadttoren hinausgejagt. Heute wäre sicher allen mit einer sofortigen Entlassung geholfen. Und man bräuchte nicht einmal nach einem Ersatz zu suchen. Das eben in Betrieb genommene Probenhaus könnte wie das Budget dem Tanzhaus NRW zugeschlagen werden, das damit seine Vielfalt weiter ausbauen könnte und die Stadt hätte eine klare Position in Sachen Tanz. Und der weltentrückte, wie ihn die Westdeutsche Zeitung nennt, „Star-Choreograf“ Schläpfer? Der könnte ja mit einer eigenen Compagnie reüssieren – wenn er jemanden findet, der sie für ihn aufbaut.
 
Michael S. Zerban