Der „Playboy of the Western World“ – ein Deutscher?

Zahlenspiele zu 007 - Heinz Rölleke zugeeignet

von Edward Reichel


Edward Reichel
Der „Playboy of the Western World“ – ein Deutscher?
 
Heinz Rölleke zum 6. November 2016
               
Der Bond-Film Nr. 23 „Skyfall“ spielte in den Kinos mehr als eine Milliarde Dollar ein, die TV-Vermarktung kommt noch hinzu. Auf solche Summen hoffen natürlich auch die aktuellen und künftigen Manager der Bondindustrie und verfilmen deshalb weiter Sequenzen aus Flemings Romanen und den bisherigen Bond-Filmen. Der vorläufig letzte Bond-Film (Nr. 24) kam in Deutschland Ende Oktober 2015 in die Kinos, sein Titel: „Spectre“. Bond-Darsteller ist der Brite Daniel Craig, der inzwischen schon traditionelle Oberschurke in allen Bond-Filmen stammt nun aus einer global agierenden Terrororganisation, bleibt aber auch diesmal deutschsprachig, dem Österreicher Christoph Waltz fiel die Rolle zu, Gesetz der Serie (unvergessen Gerd Fröbe als Auric Goldfinger anno 1963).
 
Waren die Engländer im 19. Jahrhundert die Eroberer des Empire und Entdecker der künftigen Topziele des Welttourismus – darunter des Rheintals zwischen Köln und Mainz – so sind die Engländer nach 1945 die enragierten Leser von Comics, in denen es von nationalsozialistischen Unholden und Verbrechern wimmelt. Dies war für über 60 Jahre ein sehr ertragreicher Sektor der englischen Verlage, und das ist erst in den letzten Jahren anders geworden. Insofern begegnete das englische Kinopublikum in den Bond-Filmen den aus den Comics vertrauten deutschen Schurken, die erst in jüngster Zeit von ihrer Nazivergangenheit amputiert wurden. Angesichts der Tatsache, daß die Vor- und Ursprungsgeschichte der heutigen Bondindustrie in die Zeit des 2. Weltkriegs hineinreicht, erhebt sich die Frage, ob die mythische Figur Bond vielleicht selbst Anteil am „deutschen Wesen“ hat. Bond ein „Deutscher“?
 
In vielen seiner spektakulären Aktionen in den Romanen und Filmen benutzt Bond die deutsche Polizeipistole Walther PPK, die seit 1931 europaweit im Gebrauch war. Aufgrund ihrer geringeren Abmessung im Vergleich zu ihrem Vorgängermodell war sie besonders gut für das verdeckte Tragen im Dienst der Kriminalpolizei geeignet. Der Gebrauch einer deutschen Polizeipistole als Dienstwaffe dürfte allein aber kaum ausreichen, um Bond als „Deutschen“ zu charakterisieren. Eher schon die Tatsache, daß Ian Fleming seinem Helden James Bond die bürokratische Kennziffer 007 beigab.
 
Bruce A. Rosenberg und Ann Harlem Stewart meinen 1989, Fleming habe mit Bond den modernen, „bürokratischen“ Spion geschaffen, den ersten fiktionalen Spion, der nicht einsam und allein wie seine Vorgänger, sondern von einer Agentenzentrale aus agiert, mit Sekretärinnen, Stabsoffizieren, Waffenexperten und einem Direktor, einem Chef „with personality“. Vorherige Versuche anderer Autoren in dieser Richtung seien fehlgeschlagen, Flemings Idee eines Spions „as an organization man“ habe aus Bond den ersten „modernen“ Spion gemacht, später seien Deighton, Le Carré und Littel (als Bessere) gefolgt, „but Fleming was first.“ - Wer allerdings noch 2015 an die Ian-Fleming-Foundation in den USA die Frage mailte, warum der Autor seinem Helden James Bond die 007 beigegeben habe, bekam noch am selben Tag die Antwort: „Dear Edward, es gibt keinen Grund, warum die Zahl 007 gewählt wurde. Es hätte ebenso 006 oder 008 sein können.“
 
Warum gerade 007? – Indizien gibt es viele.
 
Eine Erklärung für die Kennziffer 007 stammt von Peter Wilson, dem Freund und Kollegen von Ian Fleming und Ende 1938 Direktor bei dem namhaften Aktionshaus Sotheby’s in der New Bond (!) Street, für das auch Fleming zeitweilig tätig war. Später im Dienst des MI 6 (Military Intelligence Section Six), überprüfte er den Postverkehr über den Atlantik und enttarnte zahlreiche deutsche Agenten auf dem Territorium der USA Seine Codenummer bei MI 6: 007. Er war allerdings ein reiner Schreibtischtäter, also Bürokrat.
 
Viele Ursprungsspekulationen für die Zahl 007 hat Siegfried Tesche zusammengestellt („James Bond – Top Secrets. Die Welt des 007“. Leipzig 2006). Ian Fleming sagt, er habe einen Teil der Postleitzahl für Georgetown bei Washington D.C. benutzt, die 2007 lautet, „…da dort viele CIA Agenten lebten.“ Eine andere Erklärungsmöglichkeit: Fleming kannte höchstwahrscheinlich die Kurzgeschichte mit dem Titel „007“ von Rudyard Kipling aus dessen Buch „The Day’s Work“ von 1898. Möglich ist auch eine Entlehnung von John Dee, dem Mathematiker, Astrologen und Geheimagenten der Königin Elizabeth I., der mit 007 unterschrieb, wobei 00 in seinen Berichten an die Königin angeblich ein Kürzel für „For Your Eyes Only“ und 7 seine persönliche Kennzahl gewesen sein soll. Fleming erwähnt ferner eine Buslinie 007, aber der Direktor der East Kent Road Car Company verneinte dies und wies darauf hin, daß erst in den 70er Jahren ein „National Express 007“ zwischen London, Canterbury und Dover verkehrte, in den 50er Jahren hieß die Linie L7. „Die filmische Fleming-Biographie von Jon Pearson schließlich behauptet, Fleming sei auf die Doppelnull gekommen, als er die Tür eines Hotelzimmers mit der Nummer 1007 erblickt habe. Die Eins habe infolge einer fehlenden Schraube auf dem Kopf gestanden, sodaß nur die letzten drei Ziffern, eben 007, zu lesen gewesen seien.“ (Klaus Barber, 007 ist auf 17. Berühmte Zahlen und ihre Geschichten. Köln 2015. S.30).
 
Aber warum die 7? Die 7 ist ja seit je eine „hoch belastete“ Zahl, eine „magische“ eben (zumal sie auch noch in die ebenfalls magischen Zahlen 4 und 3 zerlegbar ist): Die sieben Weltwunder, Sindbad auf den sieben Meeren, die sieben Todsünden, die sieben Töchter des Riesen Atlas im Sternbild der Plejaden, die sieben Lebensalter des Menschen, die sieben Höllen der alten Brahmanischen Lehren, die sieben Grundfarben, die sieben Töne der Tonleiter, die sieben Wochentage, die sieben Säulen der Weisheit, die sieben Hügel Roms etc. etc. Der Psychologe George Miller fand 1956 heraus, daß es für das menschliche Arbeitsgedächtnis eine Grenze gibt, die bei ungefähr sieben (7!) Informationseinheiten liegt, etc. etc.
 
Möglich ist ferner, daß Fleming eine Verbindung zwischen den Zahlen des amerikanischen Roulettetisches und seinem Erstlingsroman „Casino Royale“ herstellen wollte, da sich das Buch ausführlich mit dem Spiel beschäftigt. So verfügte dieser Roulette-Teller über die Kombination 00 und nicht wie die englischen Roulettetische über eine einfache 0. Zudem heißt es in dem Dialog am Spieltisch, daß Bond zu gewinnen anfängt, nachdem ein Killer bis sieben gezählt hat – auch wenn er erwähnt, daß er keine Glückszahl habe. Die Doppelnull kombinierte Fleming mit der magischsten aller Zahlen, der 7. Auch so ergibt sich also die „bürokratische“ Kennziffer 007. Eine weitere Spur führt zu C.H. Forster, der erwähnt, daß Fleming sehr von der Aussprache der Telefonnummer der Kriegsabteilung des Arbeitsministeriums angetan war. Die Zahl 10.000.007 würde von der Dame in der Telefonvermittlung (in England: der „Operator“) …“one oh treble oh double oh seven“ mit einem deutlichen erotischen touch ausgesprochen. „Dann fragte er mich, ob es mir was ausmachen würde, wenn er die Nummer für einen Charakter in einem Buch verwenden würde, und ich verneinte dies.“
 
Eine letzte Herleitung beruht auf einer wahren Geschichte aus dem Ersten Weltkrieg, und sie führt erneut nach Deutschland. Ben Macintyre schreibt: „Einer der größten Siege des britischen Marinegeheimdienstes im Ersten Weltkrieg war die Entzifferung der sogenannten Zimmermann-Depesche im Jahr 1917, die dazu beitrug, daß die USA in den Krieg eintraten, was Deutschlands Niederlage besiegelte.“ Durch diesen Funkspruch, der vom deutschen Staatssekretär des Äußeren Arthur Zimmermann an den deutschen Botschafter in Mexiko (den Grafen Bernstorff, E.R.) gerichtet war, sollte die mexikanische Regierung für eine Allianz gegen die USA gewonnen werden. Der Funkspruch wurde abgefangen und von drei Kryptographen im Raum 40 der Admiralität entziffert. Zwei Monate später erklärte ein entrüsteter US-Kongress den Krieg an Deutschland (auch und vor allem wegen der deutschen Ankündigung des uneingeschränkten U-Bootkriegs, E.R.). Der Text dieses top secret-Funkspruchs wurde von den Entschlüsselern unter der Codeziffer 0070 abgelegt. Dies war die Codenummer des deutschen Auswärtigen Amts, unter der Zimmermann mit der deutschen Botschaft in Washington korrespondierte und von dort nach Mexiko. Von damals an wurde die 00-Ziffer für alle höchstgeheimen Dokumente der britischen Militärspionage verwendet. Fleming berichtete später einem Interviewer: „ Als ich während des Krieges im Marineministerium war, hatten alle top secret-Nachrichten das 00-Präfix. Obwohl das später aus Sicherheitsgründen geändert wurde, brannte es sich in mein Gedächtnis ein und ich beschloß, es für Bond zu verwenden, um seine Tätigkeit interessanter zu machen und ihm eine Lizenz zum Töten zu verschaffen.“ (Ben Macintyre, For your Eyes only. Ian Fleming and James Bond. London 2008. S. 65).
 
Soweit einige der bekanntesten Ursprungsspekulationen und -indizien, bei denen auffällt, daß Fleming selbst an manchen von ihnen aktiv beteiligt ist wie ein Meisterlügner, der durch die Vielzahl seiner „Erklärungen“ die Wahrheit vernebeln will. Sodann ist die häufige Verwendung der „magischen“ Zahl 7 auffällig. Gemeinsam aber ist allen Spekulationen der 007-Namensgebung, daß es sich um bloße Indizien handelt, um Vermutungen oder, wie Hegel sagen würde, um „trockene Versicherungen“.
 
Ist es nun wahrscheinlich, daß Fleming eine weitere Ursprungshypothese hinter dem Nebelschleier seiner „Erklärungen“ verbergen wollte, jene also, die zur Wahrheit über die 007-Namensgebung führt? Das ist der Fall. Die (heute würde man sagen) ultimative Ursprungshypothese sei im Folgenden erläutert. Sie führt auf das Schlachtfeld der anglo-amerikanischen Invasion 1944, an die Küste der normannischen Halbinsel und damit indirekt wieder nach Deutschland. Als Commander des britischen Marine-Geheimdienstes und dort Verbindungsoffizier zu Bletchley Park, der Codebrecherabteilung des englischen Militärs, inspizierte Fleming zusammen mit einem Kameraden nach der Schlacht in der Normandie am Kap Carteret die zerstörten Abschussrampen der V2-Raketen. Der spätere Autor von Bond war 1939 dem NID, der Naval Intelligence Division, beigetreten, dem Marinegeheimdienst. Sein Auftrag 1944: Aufbau einer Sabotagetruppe an dem von den Deutschen verlassenen V2-Stützpunkt von Cap Carteret. Fleming fragte seinen Kameraden, was er nach dem Krieg zu tun gedächte. Er selbst – so Fleming – beabsichtige „to write the spy story to end all spy stories“. (Andrew Lycette, Ian Fleming. London 2002. S.154). Fleming variierend könnte man sagen, die folgenden Zeilen wurden geschrieben, um alle anderen 007- Hypothesen zu erledigen.
 
Hier in der Normandie fiel Michael Wittmann, Hauptsturmführer der Waffen-SS (geb. 22.4.1914 in der Oberpfalz), am 8.8.1944 in einem Panzergefecht zwischen Saint-Aignan-de Cramesnil und Cintheaux an der Route Nationale 158 zwischen Caen und Falaise als Chef der 1. Kompanie der Schweren Panzerabteilung 501 der SS-Panzerdivision „Leibstandarte Adolf Hitler“. Wittmann und die beiden Soldaten seiner „Tiger“- Panzerbesatzung wurden an Ort und Stelle begraben und erst 1983 exhumiert, identifiziert und auf dem Soldatenfriedhof von La Cambe (westlich von Bayeux) beigesetzt. Wittmann war seit 1936 Mitglied der SS-Verfügungstruppe, später Waffen-SS, und nahm teil am Polenfeldzug, am Westfeldzug, am Balkanfeldzug und von 1941 bis1944 am Feldzug gegen die UdSSR (Unternehmen Barbarossa). Seit Beginn des Jahres 1943 war er Offizier und Kommandant eines „Tiger“-Panzers, als solcher derjenige mit den fünf meisten Abschüssen, insgesamt sogar Deutschlands absolutes „Panzer-As“ mit mehr als 138 Panzer-Abschüssen, EK I, EK II, Ritterkreuz des EK mit Eichenlaub und Schwertern, und von der Goebbelspropaganda wurde er als herausragender Kriegsheld gefeiert. Den Abschuß des Wittmann-Panzers beanspruchten später verschiedene am Kampf beteiligte alliierte Einheiten, das 1st Northamptonshire Yeomanry, B Squadron, das 144. Regiment des Royal Armoured Corps, das 27th Canadian Armoured Regiment („Sherbrooke Fusiliers“) sowie die 1. (polnische) Panzerdivision.
 
Der Panzer, den Wittmann fuhr, war der Kommandeurspanzer von Obersturmbannführer von Westernhagen, der erkrankt war; Wittmann übernahm ihn, da sein eigener Panzer defekt war. Laut einem französischen Bauern, auf dessen Feld Wittmanns „Tiger“ stand, wurde dieser durch das Raketengeschoß eines „Typhoon“-Jagdflugzeugs vernichtet. Das aber ist unmöglich, weil eine solche Rakete keinen „Tiger“-Panzer vernichten konnte. Wahrscheinlicher ist, daß Wittmanns Panzer von gegnerischen Panzern umzingelt, bewegungsunfähig geschossen und vielleicht gleichzeitig auch von einem „Typhoon“-Flugzeug der Royal Air Force angegriffen wurde; dann aber gab es offenbar eine Munitionsexplosion im Fahrzeuginneren, die die Besatzung tötete und den Turm komplett aus der Wanne riss. Keine Granate konnte so etwas bewirken; das Turmgewicht allein läßt nur den Schluß zu, daß eine Explosion im Fahrzeug-Inneren den ganzen Turm herausgeschleudert haben muß. Dieser Turm lag noch das ganze Jahr 1945 über auf dem Feld neben der Route Nationale 158 als das Panzerwrack selbst schon beseitigt worden war.
 
Von Hubert Meyer, dem damaligen Generalstabsoffizier der 12. SS –Panzerdivision, stammt die wichtigste Äußerung für unseren Zusammenhang. Sie steht lange nach dem Krieg im Magazin „Der Freiwillige“, wonach der Panzer des Kommandeurs von Westernhagen, den Wittmann am 8.8.44 fuhr, die Motor-Nummer 007 trug! (Michael Reynolds, Ein Gegner wie Stahl. Das SS-Panzerkorps in der Normandie. Selent 2004. S.211; dort auch die oben genannten Angaben über die späte Exhumierung von Wittmanns Panzerbesatzung, deren Identifizierung und Überführung auf den deutschen Soldatenfriedhof von La Cambe). Meyers Äußerung wurde bisher übersehen.
 
Nach Kriegsende haben hohe deutsche Offiziere bis hin zum SS-Befehlshaber Sepp Dietrich die Betroffenheit der deutschen Militärs über Wittmanns Tod bekundet; gleichwohl unterblieb zu Kriegszeiten (vielleicht wegen Vermeidung von „Defaitismus“) eine offizielle deutsche Meldung über seinen „Heldentod“. Deshalb versuchten die alliierten Geheimdienste schon1944, sein Schicksal zu klären. Der Commander des Geheimdienstes der Royal Navy Ian Fleming war ja kurz nach der Invasion in der Normandie „vor Ort“ und hat von Juli bis September/Oktober 1944 deutsche Hinterlassenschaften des eiligen Rückzugs nach der verlorenen Schlacht gemustert und auch die Überreste des Wittmann-Panzers in Augenschein genommen, wahrscheinlich war er auch bei Gefangenenbefragungen zugegen.
007 also.
 
Der Tigerpanzer mit der Motornummer 007 - hier dürfte Fleming auf die Idee gekommen sein, seinem geplanten Top-Spion jene Codenummer zu verleihen, die das Fahrzeug des deutschen „Panzer-Asses“ Michael Wittmann getragen hatte. Der von der Goebbelspropaganda groß herausgestellte deutsche Panzerheld und der künftige britische Superspion -– beide wollten „die Welt retten“: Vor dem Erzfeind „jüdischer Bolschewismus“ (Wittmann in der Leibstandarte Adolf Hitler) und kurz nach Beginn des Kalten Kriegs vor dem Erzfeind „Kommunismus“ (der frühe Bond), dann in den späteren Bonds vor weiteren Bösewichtern, die gegen das Empire und die ganze westliche Welt agieren. Daß die eine Gestalt (Wittmann) eine der Realgeschichte, die andere (Bond) eine der Fiktion ist, belegt nur die Wahrheit, daß beide Sphären untergründig miteinander verwoben sind.