Brückenschläge

„Funken aus einem toten Meer“ von Safeta Obhodjas (Uraufführung)

von Frank Becker

v.l.: Anne-Catherine Studer, Silvia Munzon Lopez - Foto © Jan Budde

Brückenschläge
 
„Funken aus einem toten Meer“
Uraufführung eines Dramas von Safeta Obhodjas
 
 
Regie: Torsten Krug – Projektionen und Raum: Gregor Eisenmann – Regieassistenz: Jan Budde - Fotografie: Jan Budde
Mit: Anne-Catherine Studer (Safia) – Silvia Munzon Lopez (Marina Zwetajewa) – Marina Matthias (Irmgard Keun)


Nehmt euer Gift mit! Ich brauche euch nicht, ihr seid nicht meine Freundinnen.
Eine Besoffene und eine Nikotinsüchtige … Ich bereue es,
euch in mein Leben gelassen zu haben!
(…)
Nein, ich will nicht so enden wie ihr. Ich habe Zukunftspläne,
und Frau Böhme … Hiltrud hat mir versprochen … 
 
Safia, eine exilierte Autorin haust einsam in einer Kellerwohnung mit Ausblick auf die Beine der Vorübereilenden - und gelegentlichen Blicken nach oben“ zu Frau Böhme. Ihre offenbaren Schreibblockaden und ihre Entscheidungshemmungen machen sie zum Spielball ihrer tief verletzten Seele. In der imaginären Begleitung durch zwei Schicksalsgenossinnen, den historisch belegten Schriftstellerinnen Marina Zwetajewa (1892-1941) und Irmgard Keun (1905-1982), die unter höchst unterschiedlichen Bedingungen ebenfalls Vertreibung, Exil und tiefe Not erfahren haben, sucht sie Halt, versucht sie im Vergleich ihre Zweifel aufzulösen.
Unübersehbar sind die autobiographischen Bezüge der fiktiven Safia zu der Dramatikerin Safeta Obhodjas, die 1951 in Pale bei Sarajewo als bosnische Muslimin geboren, ihre Heimat 1992 während der Balkankriege unter dem Druck der serbischen Nationalisten verlassen mußte. Seither lebt und publiziert sie im deutschen Exil.


Marina Zwetajewa und Irmgard Keun - v.l.: Silvia Munzon Lopez, Marina Matthias - Foto © Jan Budde
 
Zwetajewa, deren dramatische, höchst bewegte Lebens- und Liebesgeschichte(n) auf etlichen Stationen in Europa schließlich nach dem Entzug der Lebengrundlage im stalinistischen Rußland mit Suizid durch Erhängen ein grausames Ende fanden und Irmgard Keun, die von den Nazis verfolgt und verboten und nach dem Krieg mit jahrelanger Unterbringung in geschlossenen psychiatrischen Kliniken und Alkoholikerin ein kaum weniger dramatisches Schicksal hatte, spiegeln als Nachtmahre und doch seelenverwandte Imaginationen Safias Schmerzen und Ängste. Es tut weh zu wissen, daß hinter allen drei Figuren reale, zerstörte Schicksale stehen, die exemplarisch für die Behandlung unangepaßter Intellektueller in totalitären Systemen sind.
 
Diese drei nun in knapp 70 Minuten in einem lediglich durch Projektionen (Gregor Eisenmann) veränderten leeren Raum ohne Ausstattung in der Utopiastadt/Mirker Bahnhof Wuppertal zum Trialog miteinander zu bringen, erwies sich als eine sperrige Angelegenheit - begünstigt allerdings durch das Spiel dreier profilierter Darstellerinnen, Anne-Catherine Studer als von Selbstzweifeln gebeuteltes Kellerkind Safia, Silvia Munzon Lopez als in ihren verzweifelten Briefen an Rainer Maria Rilke an fürchterlichem Hunger nach Liebe leidende Marina, Marina Matthias als dem Alkohol verfallene Irmgard, vom Sockel des frühen Ruhm gestürzte Ex-Geliebte von Joseph Roth. Die drei sind in der Lage, die von der Erinnerung an Erfolge und glückliche Momente ihrer so unterschiedlichen und doch vergleichbaren Leben gelegentlich beiseite gedrückten Qualen und den Brückenschlag

Anne-Catherine Studer - Foto © Jan Budde
untereinander hautnah zu vermitteln. Zugunsten leiser Töne gelegentlich etwas weniger stark inszenierte Dramatik hätte dem Gesamtbild der Inszenierung (Torsten Krug) von Fall zu Fall vielleicht besser gestanden. Was dem merkbar zusammengestrichenen Stück fehlt, ist eine Idee dieser gewisse Leichtigkeit, die der Last der Schicksale zum Trotz im Werk und in den Personen der Autorin/Protagonistin und ihrer historischen Schatten durchschimmert.
 
Die dank der mit Emphase agierenden Darstellerinnen seelisch wie physisch spürbare Präsenz der drei spannenden, hochinteressanten Frauenfiguren, die so miterlebbare Zerstörung ihrer Familien- und Freundschaftsstrukturen und die Vermittlung ihrer Eigenheiten, Bettelbriefe und ihrer Kämpfe untereinander machten solche gelegentlichen Überhöhungen wett. Der Funken Hoffnung ans „sich frei schreiben“, ohne den es nie, bei keiner der drei weitergegangen wäre, wird auch im Stück am Leben erhalten. Spürbar das Feuer, das Silvia Munzon Lopez in Marina Zwetajewa lodern läßt, dramatisch nachvollziehbar der tiefe Fall der begabten Irmgard Keun, berührend das Ausloten des eigenen Schicksals durch Safia/Safeta.
 
Marina: Ich warte auf ihre Einladung. Oder ihre Rückkehr. Ich bin sehr gespannt, was sie dort unter den Lebenden über uns schreiben wird.
 

Die Uraufführungsstaffel ist jetzt abgespielt – die für die Aufführung zeichnende GEDOK Wuppertal e.V. (
Veranstaltungspartner: Dr. Werner-Jackstädt-Stiftung, Stadtsparkasse Wuppertal, UTOPIASTADT, Kulturbüro der Stadt Wuppertal, Wuppertaler Bühnen) lotet jedoch die Möglichkeit einer Wiederaufnahme dieser bemerkenswerten Produktion der freien Theatersezene in überschaubarer Zeit aus.

Weitere Informationen:  GEDOK Wuppertal e.V.