Kult, Kommerz und Kinderzimmer - Barbie wird 50!

Barbie - eine gestandene Dame mit Vergangenheit

von Frank Becker
© Ullstein
Kult, Kommerz und
Kinderzimmer

Angefangen hat aber alles schon vor fast 57 Jahren - in Hamburg - ja, sie lesen richtig! Denn wenn man es ganz genau nimmt, ist Barbie ein Klon, genetisch identisch mit einer Figur, die 1952 von dem damaligen Haus-Zeichner der BILD-Zeitung, Reinhard Beuthien in einem Handstreich und aus einer Verlegenheit heraus geschaf­fen wurde: der BILD-Lilli. Lilli war eine süße langbeinige Blondine mit Pferdeschwanz, die viele Jahre lang täglich eine kesse Bemerkung und ihre Capricen an die Leserschaft

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brachte, witzig und ein Augenschmaus zumal, geizte sie doch in knappen Shorts, Baby Dolls und dekolletierten Kleidchen nicht mit ihren attraktiven Reizen. Sie wurde so beliebt, daß nach Beuthins Idee und Entwürfen von Max Weißbrodt bei der Fa. Hausser in Neustadt bei Coburg eine Puppe hergestellt, in vielen Varianten produ­ziert und über Jahre reißend verkauft wurde. Sogar ein Film über ihr „Leben“ kam auf die Kinoleinwände, die Dänin Ann Smyrner gab in dem Streifen „Lilli - ein Mädchen aus der Groß­stadt“ der flotten Biene perfekte Gestalt.

Aus Lilli wird Barbie

Die ebenso perfekte Gestalt der Puppe geriet 1956 ins Visier von Ruth Handler, der Ehefrau eines der „Mattel“-Gründer, die „Lilli“ bei einer Europareise in Luzern entdeckte. Ruth Handlers Wunsch, eine wirklich weibliche, sexy Puppe zu pro­duzieren bestand schon seit Jahren, nun sah sie die Umsetzung ganz nah vor sich. So wie „Lilli“ sollte ihre Traumpuppe sein! Drei Jahre mit Lizenz- bzw. Patentverhandlungen, Entwürfen, Probeproduktionen und Styling vergingen, bis

© Könemann
1959 die erste „Barbie“ - benannt nach Ruth Handlers Tochter Barbara – auf den Markt kam, geformt von dem japanischen Designer Jamusaky und modisch ausgestattet von der Amerikanerin Charlotte Johnson.
Was dann begann, war nicht nur der Siegeszug einer Anzieh­puppe durch die Kinderzimmer der Welt, eine Verführung (ge­flüstert) „von Mattel“, es entstand ein Mythos, es begann ein Kult, der alle Bildungsschichten, alle Haushalte, alle Nationen erreichte. Geniales Marketing transportierte Barbie in die ent­legensten Winkel und öffnete ihr neben den Regenmänteln von Exhibitionisten die Studios der großen Modemacher wie Chanel, Dior und Givenchy, die Ateliers international anerkannter Künstler, seriöse Ausstellungshallen und die Schreibwerkstät­ten von Autoren und Journalisten (sic!). Gesellschafts- und Kunstwissenschaftler nahmen sich ganz ernsthaft des Phänomens und Themas „Barbie“ an.

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Barbie blieb zwar stets Spielzeug, begehrt von kleinen Mädchen rund um den Erdball, die natürlich auch alle Neuerungen haben wollten, wie die raffiniert die Produktpalette erweiternden sozialen Ergänzungen Ken, Curtis, Skipper, Brad, Cara oder Tutti u.a., sowie die neuen Kleider, Möbel, Accessoires, Autos, ja sogar Häuser! Barbie wechselte Haut- und Haarfarbe um über­all akzeptiert und en vogue zu sein, fuhr Motorroller (natürlich mit Helm) und Boot.

Schwabinchen, Gigi & Co.

Daneben wurde sie zum Sammelobjekt und Gegenstand unserer All­tagskultur, bewertet und. in

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Katalogen erfaßt, statistisch be­rechnet und in Sammler-Magazinen periodisch veröffentlicht. Es entstand eine erstaunliche Parallelwelt zum Kinderzimmer in Auktionshäusern und Kunstgalerien. Für Puppen des ersten Jahr­gangs werden mittlerweile Preise von mehreren tausend Mark erzielt! Natürlich wuchs auch, wie heutzutage im Geschäftsleben bei erfolgreichen Ideen üblich, ein grauer Markt mit Kopien, Fälschungen, Nachahmungen und „Lookalikes“, die aber samt und sonders weder das Original einholen, geschweige denn es ver­drängen konnten. Beuthien selbst legte übrigens

© REVUE/Beuthien
später in der „Münchner Abendzeitung“ ein „Schwabinchen“ und in den Jahren 1964/65 in der Illustrierten „REVUE“ eine Neuauflage namens „Gigi“ nach, der durchschlagende Erfolg aber wiederholte sich nicht.

Top-Designer kleiden Barbie ein

1994 setzte zu Barbies 35. Geburtstag eine Ausstellung im Ber­liner Martin-Gropius-Bau einen Markstein: Künstler und Designer zeigten ihre Sicht des ästhetischen Phänomens, Modeschöpfer wie Bogner, Kern oder Steilmann statteten die Puppe mit Haute Cou­ture und Prêt-à-porter aus. Menschenmassen schoben sich durch die Ausstellungsräume und erwiesen Barbie Referenz, verächtlichen Spöttern (wie dem Verfasser) wurden die Augen weit, die Dimensionen des Projekts „Barbie“ aufgezeigt und Negierende wurden zu bekennenden „Barbieisten“.

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Das Ereignis war so bedeu­tend, daß der Rowohlt/Wunderlich-Verlag der Ausstellung einen (längst vergriffenen) umfangreichen Katalog widmete. Ebenfalls in Berlin, sogar im Rathaus, gab es 2005 noch einmal eine große Barbie-Ausstellung unter dem Titel „Die Barbie-Story – 1000 Gesichter einer Kultfigur“.
Skurriler Nebeneffekt der Barbiemania: in den USA (wo sonst?) läßt sich seit Jahren eine - man kann es nicht vornehmer for­mulieren - völlig bescheuerte Blondine durch ständige kosme­tische und orthopädische Operationen dem Bild der Puppe annä­hern, um eine lebende Barbie zu werden, den eigenen Alterungs­prozeß, dem das Spielzeug natürlich locker widersteht, igno­rierend. Schauderhaft!

Barbie - immer im Trend

In der Hauptsache jedoch folgt die Puppe in Mode und Erschei­nung lebenden Modellen, Brigitte Bardot, Grace Kelly, Farah Fawcett, Marilyn Monroe, Audrey Hepburn, Vivian Leigh und Jaqueline Kennedy sind nur einige der prominenten Vorbilder, deren Garderobe und Ambiente kopiert wurde. Das deutsche Top-Modell Claudia Schiffer wurde während ihrer Laufsteg-Karriere die Inkarnation der schönen Puppe. Ungebrochen ist - und unangefochten - der Siegeszug der echten Barbie, des Spielzeugs. Klug den Entwicklungen in Kultur und Mode, dem veränderten Menschenbild angepaßt,

© Weingarten Verlag
geht Barbie mit. Die Frisuren änderten sich, der Busen war mal üppig oder un­terlag moralischen Reduktionen, wie zuletzt 1997, die Form des Gesichts, der Augen und des Mundes wurden im Laufe der Zeit seit 1967 ständig modifiziert. Vergleicht man die Barbie von 1999 mit der von 1959 ist wenig Ähnlichkeit zu erkennen - was früher in der Tat sexy, ja erotisch war, ist heute nur noch Soap, ein Abklatsch billiger Vorabend-TV-Serien: Zeitgeschmack = Geschmacksfrage. Modisch war u.a. zeitweise eine Batik-Barbie (ein mitgeliefertes weißes Hemdchen konnte von den kleinen Puppen­muttis nach Anleitung selbst gebatikt werden) im Programm. In einem gut sortierten Barbie-Kleiderschrank findet sich eine kaum zu zählende Modevielfalt, bei der vom Sportdress bis zum Hochzeitskleid nichts fehlt.
Der von Robert Tonner 2002 unter dem Namen „Emme“ (dem Catwalk-Namen des US-Models Melissa Miller) als mollige Alternative zur überschlanken Barbie entworfenen Puppe war kein nachhaltiger Erfolg beschieden.

Eine spannende Geschichte, in vielen Büchern nachzulesen

Die ganze spannende Geschichte der Barbie erfährt man in allen Details und natürlich reich bebildert in Marco Tosas 1998 bei ars edition in München
erschienenem Buch "Barbie" - Tausend Gesichter

© Mattel
einer Kultfigur", das ein Standardwerk geworden ist - herrlich in Pink und Gold. Barbie selbst ist längst eine Legende, ein wirtschaftlicher und kultureller Selbstläufer, der allein aufgrund seiner Magie weiterlebt, unterstützt von geschickter Vermarktung, die u.a. durch das Monatsmagazin "Lies
, spiel, rate und träume mit Barbie“ aus dem Stuttgarter EHAPA-Verlag betrieben wird. Ruth Handler und Mattel haben eine Erfolgs-Story geschrieben, die ähnlich nur bei Walt Disney und seiner Micky Maus zu fin­den ist. Ein Ende ist auch im neuen Millenium nicht abzu­sehen. Die Legende lebt - und wird in zwei Jahren 50!




Literatur
:

- Marco Tosa: „Barbie- Tausend Gesichter einer Kultfigur“, 1998 ars edition,  München

© ars edition

- Karl-Heinz Gessat: „Barbie - Vom Kinder- zum Sammlertraum“, 1993    
  Kunstverlag Weingarten, Weingarten
- „Künstler und Designer gestalten für und um Barbie“, Ausstellungskatalog,
  1994 Wunderlich/Rowohlt, Reinbek
- Dieter Warnecke: „Barbie im Wandel der Jahrzehnte“, 1995 Wilhelm Heyne Verlag, München
      
- Felicitas Bachmann: „Barbie, Barbie – Ein Kultbuch in rosarot“, 1998
       
  Ullstein Verlag
- Janine Fennick: „Barbie – Das neue Kompakte Bestimmungsbuch“, 1998
  Könemann Verlag
- Barbie-Sammler-Katalog  -  1993 Battenberg Verlag/Weltbild
 


© ars edition
 
Das Stadtmuseum Münster zeigt bis zum 21. Juni eine Barbie-Ausstellung.
www.stadtmuseum-muenster.de