Aus meinem Zettelkasten (6)

Entscheidungen und Erkenntnisse

von Erwin Grosche

Erwin Grosche
Foto © Uwe Nölke

Aus meinem Zettelkasten 6


1. Gestern sprach meine Zahnpasta mit mir. Ich wollte mir die Zähne putzen und drückte auf die Tube und bekam keine Zahnpasta heraus. Ich ließ mich nicht davon entmutigen und drückte weiterhin auf die Tube, doch immer kam noch keine Zahnpasta heraus. Plötzlich sagte meine Zahnpasta zu mir: „Wenn Du Zahnpasta haben willst, dann fehlt doch nur ein kleines Zauberwort. Sage dieses Zauberwort und Milch und Honig werden fließen.“ Zuerst war ich verwirrt. Eine sprechende Zahnpastatube hatte ich schon lange nicht mehr gehört. Aber warum nicht, die Welt ändert sich und kürzlich bekam ich eine singende Geburtstagskarte geschenkt, obwohl ich keinen Geburtstag hatte. Ich drückte also noch mal auf die Zahnpastatube und sprach dazu das Zauberwort. Ich sagte „Bitte“, aber so sehr ich auch danach drückte und drückte: Es kam keine Zahnpasta aus der Tube. „Sehr witzig“, sagte ich zur Zahnpastatube. „Wirklich sehr sehr witzig“ und schmiß sie weg.

2. Heute habe ich meinem Computer Grenzen gesetzt. Ich schrieb gerade einen Brief und bedauerte darin, daß ich die ganze Zeit nur vor meinem Fucking Computer sitzen würde, da unterschlängelte dieser das Wort Fucking und fragte wirklich scheinheilig, ob er dieses Wort Fucking ignorieren soll? Ich bin nicht auf den Kopf gefallen und unterstelle meinem Computer in dieser Hinsicht nichts, aber es ist doch offensichtlich, daß er dieses Wort ignorieren wollte, weil er sich weigerte, es als beschreibendes Wesensmerkmal seiner Person anzuerkennen. Ich habe da meinem Computer Grenzen gesetzt und dieses Fucking hinzugefügt zu seinem Wörterbuch. Nun muß er akzeptieren, was ich über ihn denke. Das Wort geht jetzt ohne Beanstandung durch und auch mein Computer ist endlich in dieser Welt angekommen.

3. Wenn ich bei meinen Tätigkeiten so einen Wind machen würde wie mein EPSON STYLUS PHOTO 830U, dann würde sich meine Frau zu Recht beschweren. Ich meine wir müssen alle unsere Arbeit tun, und ein Drucker hat bestimmt nicht den miesesten Job der Welt, auch wenn er, zugegeben, bei mir meistens nur schwarz auf weiß drucken darf.

4. Heute Morgen tauchte wieder dieser Vogel auf. Diesmal kam er nicht ans Fenster geflogen sondern schaute mich nur von weitem an. Er saß auf dem Ast eines Baumes und schaute mir von dort bei der Arbeit zu. „So ist es mir lieber“, dachte ich, „der Abstand zwischen Wesen, die sich nichts zu sagen haben, ist  auch eine erste Annäherung.“

5. Es ist sonderbar, daß gerade die Zwiebel und der Knoblauch vor der Nutzung nicht gewaschen werden müssen, gerade, wenn man überlegt, wie sehr die stinken.

6. Doktor Dicht war verzweifelt. „Meine Klugheit hilft mir nur“, klagte er, „all das Dumme was ich tue als Dummes zu erkennen, anstatt mir im Vorhinein zu helfen diese Fehler zu vermeiden.“

7. Die Füße wäscht man nicht so gerne, weil sie soweit unten sind.

8. Als er die Frikadelle mit dem milden Senf in seinem Mund schmeckte, traten ihm Tränen in die Augen.
„Warum weinen Sie denn?“, fragte die Fleischereifachverkäuferin. „Ich habe Ihnen doch extra einen milden Senf gegeben.“
„Ich weine, weil der Senf so mild ist“, sagte der Frikadellenliebhaber. „Ich wollte einen scharfen Senf essen, der mir die Tränen in die Augen treibt und nun muß ich feststellen, daß ihr Senf so mild ist, wie ein Sonnentag im Freibad. Ich weine, weil ich den Tränen in den Augen treibenden scharfen Senf vermisse.“
Der Mann kaute weiter an seiner Frikadelle mit dem milden Senf und weinte stumm vor sich hin. „Tränen sind nicht gleich Tränen“, dachte die Fleischereifachverkäuferin. „Manchmal weint man über etwas und manchmal weint man um etwas.“

9. Doktor Dichts erste Frau hatte Geburtstag. Alle saßen an der Festtafel, als der Doktor um das Wort bat. Er schaute dabei zärtlich seine Frau an und schrie: „Wegen Dir bin ich Nichtraucher geworden und dann hast Du mich verlassen und ich hatte nichts mehr, woran ich mich halten konnte. Wegen dir habe ich die neue Rechtschreibung übernommen und dann hast du mich verlassen und du schriebst  mir einen Abschiedsbrief in der alten. Wegen Dir bin ich Buddhist geworden und dann hast Du mich verlassen, und ich durfte Dich noch nichtmal hassen. Wegen Dir bin ich Vegetarier geworden und dann hast Du mich verlassen und ich hatte nichts mehr, um meinen Kummerspeck zu verwöhnen.“

© Erwin Grosche - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2008