Bregenz 2016

Ein Rückblick

von Peter Bilsing

Peter Bilsing - Foto © Michael Zerban
Bregenz 2016
 
Ein unbekanntes Werk im Festspielhaus:
„Hamlet“ von Franco Faccio
und die Wiederaufnahme der
erfolgreichen „Turandot“
 
Premiere „Hamlet“ am Mittwoch dem 20.6.2016
Wa-Premiere „Turandot“ am Donnerstag 21.6.16
 



 
Leider kein Vergleich zu Verdi
 
Oh, ihr Opernkomponisten – mein Appell bevor Modernisten jetzt (eine „Hamletmaschine“ gibt es ja schon) auch auf falsche Ideen kommen - laßt doch bitte den Shakespeare-„Hamlet“ weiterhin auf der Sprechtheaterbühne; da gehört er hin und da soll er bitte auch immer bleiben! Als große Oper scheint er mir nicht geeignet, was leider viele anders sehen, denn
nichtsdestotrotz jubelte das Premierenpublikum überschwänglich – aber das ist Zeremoniell. Die Leute haben Premierenkarten ergattert, sie wollen dafür eine Sternstunde, eine Sensation erleben - man will ja etwas haben für sein Geld und man feierte sich, wie jedes Jahr, auch ein bißchen selbst. Einen Reinfall jedenfalls haben sie nicht erlebt, Das war eine durchaus passable Eröffnungsoper…
 
…für Bregenz – wohl angemerkt!
 
Sie wird nicht mehr als die sprichwörtliche „Eintagsfliege“ bleiben, denn von einer substanzreichen Opern-Entdeckung kann meines Erachtens keine Rede sein bei diesem schwachen Mix aus Verdi, Boito und Ponchielli: Kaum nachhaltig in Erinnerung bleibende Arien, unkomplizierte einfache Ensembles und immer wieder große Chor-Auftritte, ob es handlungsdramatisch Sinn ergibt oder nicht. Das gilt übrigens sowohl für das Stück als auch für die Inszenierung, die völlig überladen daherkommt. Immerhin aber etwas fürs Auge.
Vielleicht liegt es auch am Stoff, denn so ein textlastiges Stück zu veropern ist von jeher problematisch. Auf der Opernbühne konnte nur die französische Veroperung HAMLET von Ambroise Thomas aus dem Jahr 1868 wenigstens ein bisserl überzeugend in die Annalen der Opernhistorie eingehen. Man bringt sie ja auf deutschen Bühnen gelegentlich zur Repertoire- und Kenntnis-Anreicherung. Daß dies durchaus gelingen kann liegt daran, daß Thomas´ kammermusikalische Formgebung dem ursprünglichen Shakespeare sicherlich näher kommt als Faccios Grand-Opera-Version mit Ballett und Riesen-Chor.

 
  Hamlet - Foto © Festspiele Bregenz
 
Olivier Tambosis Inszenierung versucht die Quadratur des Kreises – wobei er Kreis und Kreisen inszenatorisch sehr real nimmt und umsetzt, denn die Drehbühne bewegt sich unentwegt. Am Anfang sieht es noch toll aus, dann dreht es sich tot und auch die permanent dazwischenhüpfenden und tobenden Ballett-Hexen retten das Stück nicht. Am Anfang steht ein ziemliches Gewimmel und Gewusel - später im zweiten Teil wird es besser. Irgendwie entstand bei mir der Eindruck, daß der Regisseur selber die Schwäche der Oper erkannt hat, und nun versuchte, das ganze quasi durch übersprudelnde Regieeinfälle und übervolle Bilder etwas zu kompensieren, was immerhin unter dem Aspekt des „Musiktheaters“ gelungen ist.
Tatsächlich fehlt bei dieser Oper der musikalisch große Bogen, es mangelt an Raffinesse und die Aktschlüsse sind so wuchtig wie simpel und vorhersehbar. Wer dann am Ende ein großes Opernfinale erwartet, wird noch mehr enttäuscht. Ich glaube nicht, daß irgendein Intendant dieses Stück ins Repertoire nehmen wird. Dafür gibt es zu viele wirklich zu viele sehr gute italienische Opern. Und echte Entdeckungen! Nehmen wir als Beispiel nur Riccardo Zandonais „Cavalieri di Ekebu“. Ich hätte noch einige weitere mit Substanz im Angebot
 
Immerhin war Franco Faccio ein durchaus intelligenter und mit der Fähigkeit zur Selbstkritik ausgestatteter Künstler, denn er ließ dem Scala-Debakel seines „Amleto“ dankenswerterweise keine weiteren Opern folgen, war er doch ein vom großen Maestro Verdis hochgeschätzter und bevorzugter Dirigent – egal ob für „Aida“, „Don Carlo“ oder „Otello“. Dort war er der richtige Mann am richtigen Platz.
 
Die musikalische Interpretation von Paolo Carignani mit den Wiener Symphonikern war adäquat; wuchtig, subtil schön und stellenweise sogar ziemlich beeindruckend; sinnlose Plage, Müh ohne Zweck - mehr als dieses Siegfried-Zitat möchte ich dazu nicht anmerken.
Frank Philipp Schlößmanns Leuchtbirnchen-Reihen umrahmen den klassischen tiefroten Theater-Vorhang; im Hintergrund ein zweiter Rahmen. Merke: Wir spielen also Theater auf dem Theater – immerhin eine klare Ansage und wesentliches Handlungsmoment. Das Erscheinen des Geists von Hamlets Vater bringt mich zum zweiten Wagner-Zitat: selige Öde auf wonniger Höh.
Das alles hat in der gleißend hell illuminierten Stein- bzw. Eiswüste zuviel eines plakativen Kinobildes. John Boormanns „Excalibur“ läßt grüßen, oder war es der „Highlander“? Zuviel der Effekte… zu kitschig theatralisch für meinen Geschmack.
Auch die unendlich gähnend langen Fechtszenen – schön nach alter Musketier-Manier (Klasse Arbeit der Fechtmeister) – auf langen Tischen in wilder Action inszeniert, hätten mehr auf die Seebühne gepaßt, doch da gibt es ja schon das Kung-Fu-Fighting-Ballett.
 
Und Turandot …
 
Womit ich bei der diesjährigen „Turandot“ wäre, die sich heuer sehr erfolgreich ins zweite Aufführungsjahr begibt. Fast alle Vorstellungen sind wieder ausverkauft. Ein wichtiges Kriterium für eine beliebte Volksbühne.
Immerhin bekommt Bregenz kaum Zuschüsse, wenn man es z.B. einmal mit Wien oder Salzburg vergleicht. Auch kleinere Inszenierungs-Retuschen (die glaubwürdige Kritikerkollegen festgestellt haben), ändern nichts am Folkloristischen Grundkonzept, auf welches ich schon im letzten Jahr ausgiebig hingewiesen habe.
Marco Arturo Marelli bedient weiter alle chinesischen Klischees: es gibt es die putzige aber dennoch respektable Chinesische Legoland-Mauer, weiterhin beeindruckt die allgegenwärtige von innen beleuchtete Terrakotta Armee (oben auf der Mauer und einmal halb im Bodensee versunken), es gibt vielfältige Drachen und Lampions, die üblichen Wasserspiele und Feuerwerk, schöne Balletteinlagen und aus Japan importierte Kung-Fu-Fighting-Tänzer. Disneyland-Atmosphäre. Also lauter Dinge, die das Publikum erfreut und die man liebt. Ein kritischer Sitznachbar nuschelte mir ins Ohr: Genauso stellt sich bestimmt der typische Amerikaner bestimmt China vor. Ja... dem könnte man zustimmen.


Turandot auf der Seebühne - Foto © Festspiele Bregenz 
 
Musiktheater gibt es natürlich auch, da sind die kommentierenden Handlungsträger Ping, Pang und Pong trefflich angelegt. Und sporadisch bricht auch mal eine überraschend auftretende Schickimicki-Party-Gesellschaft die sonst oft etwas statisch wirkende Atmosphäre auf. Nicht zu vergessen: Puccini, der große Maestro selber spielt auch mit. Anfangs sitzt er in seinem Arbeitszimmer und komponiert – dort wird er dann in der Folterszene auch wieder ans sein Bett gefesselt. Sterben wird er natürlich nicht, als Liu sich umbringt – er muß ja noch das große Alfano-Finale singen - sonst wäre die Oper sogar zurecht und biographisch begründet ad hoc und an dieser Stelle zu Ende gegangen. Mehr hat Puccini, wie man weiß, partiturmäßig nicht niedergeschrieben. Das kann man aber eigentlich keinem Publikum der Welt antun…
 
Auch ich gebe offen zu, ja eigentlich auch nur wegen der schönen Arien und eben diesem grandiosen Schluß in dieses Monster-Werk zu gehen, obwohl man nicht das ganz große Alfano-Finale spielt, sondern eine passable aber durchaus wirkungsvolle Reduzierung.
 
Eine kleine ketzerische Anmerkung für unsere jungen Opernfreunde und alle Opernanfänger: „Nessun dorma“ ist nicht von Pavarotti (!) und auch nicht von Paul Potts (!!) obwohl es viele, viele Monate auf Platz eins in den Charts der großen Hitparaden war. Ersterer damals übrigens als quasi Leitmotiv zur Fußball-WM; allerdings erheblich länger als letzterer, der aber auch eine Menge CDs verkauft hat.
 
Zu den Sängern im „Hamlet“
 
Ein beachtliches Sängerensemble war zu hören. Überragende Tenorleistung von Pavel Černoch - immerhin hat er diese stimm-mordende Partie (er ist fast permanent auf der Bühne und hat auch viel Text zu singen) bravourös, intelligent und überzeugend durchgestanden. Trefflich besetzt Claudio Sgura als dänischer König Claudio und Dshamilja Kaiser in der Rolle der Königin Gertrude, Hamlets Mutter. Iulia Maria Dan als Ofelia begeisterte das Publikum ebenso wie Paul Schweinester als Laerte, Sohn des Polonio und Bruder der Ofelia.
 
Gianluca Buratto war ein überzeugender wuchtiger Geist des ermordeten Königs und Eduard Tsanga als Hofmarschall Polonio überzeugte ebenso wie Yasushi Hirano als Totengräber. Insgesamt eine durchgängige Top-Besetzung für diese Rarität. Ebenso prächtige aufspielend in diesem Vielpersonenstück auch die Comprimarii: Sébastien Soulès als Hamlets Freund Orazio, Bartosz Urbanowicz als Offizier Marcello, Jonathan Winell als König Gonzaga, Sabine Winter als dessen Gattin.
Als besonderes Highlight des Abends empfand ich den Prager Philharmonischen Chor (Leitung: Lukáš Vasilek), verstärkt durch Mitglieder des Bregenzer Festspielchors (Einstudierung: Benjamin Lack) - wobei letzterer für mich ohnehin zu den Spitzenchören Europas zu zählen ist, was sie auch wieder bei der „Turandot“ unter Beweis stellten.
 
Die stimmliche Beurteilung der „Turandot“-Sänger
 
möchte ich mit einem durchgehenden Lob versehen, wobei sich eine genaue Differenzierung durch die via Microport individuell verstärkten Stimmen als schwierig darstellt. Insgesamt war der Klangeindruck natürlich auch durch die geniale Tonstudio-Regie und die über 500 perfekt in die Chinesische Mauer integrierten Spitzenlautsprecher wieder eine Wucht - klanglich steht das alles für eine Open-Air Bühne an der absoluten Weltspitze. Bisher unerreicht das „Maß der Dinge“!
Wobei mich immer wieder die phänomenale Arbeit der Ton-Ingenieure beeindruckt, die es tatsächlich schaffen, jeden Sänger auf den Meter genau ortbar erklingen zu lassen. Auch wurde wie immer die Differenzierung des Chores durch das 360-Grad Raumklang-Prinzip zu einem Sensourround-Erlebnis erster Güte.
Die Wiener Symphoniker unter Paolo Carignani brillierten in vollendetem HiFi und die schon erwähnten Chöre aus Bregenz und Prag sind ein Erlebnis. Die weiteren Credits finden Sie hier.
 
Opernfreund-Reisetip
 
Und wiederum mein persönlicher Tip für alle Bregenz-Fans und Reisende mit dem Auto oder Motorrad. Bitte bleiben Sie etwas länger vor Ort!
Tun Sie sich nicht die quälenden Temperaturen unten am Bodensee an (locker mal 36 und mehr Grad - da kann man nachts kaum schlafen!). Weiter oben in der Bregenzer Wald Region ist es bis zu 10 Grad kühler und man findet für 50 Euro in herrlichen Pensionen und Hotels Unterkunft (ein Fünftel dessen, was man teilweise in Bregenz während der Festspiele verlangt). Und ab drei Tagen gibt es die Gästekarte Region-Bregenzer-Wald, mit der Sie alle 10 Luftseilbahnen, sämtliche öffentlichen Verkehrsmittel, Schwimmbäder und Museen gratis haben.


Kaasknödel - Foto © Peter Bilsing
 
Auf die köstliche Gastronomie (Bild oben: Vorarlberger Kaasknödel) muß ich nicht noch extra hinweisen - oder? Aber die exzellenten Wandermöglichkeiten in hochalpiner Wegevielfalt, die möchte ich noch extra erwähnen, denn Vorarlberg ist immer und jederzeit eine Reise wert; auch für Familien mit Kindern noch bezahlbar.
 
Redaktion: Frank Becker