Das Angst einflößende Dunkle

Auschwitz durch die Linse der SS - Das Höcker-Album

von Robert Sernatini

© Philipp von Zabern

Mörder und deren willfährige Helfer
 
War es Schamlosigkeit oder grenzenlose Dummheit, war es das Fehlen jeden Bewußtseins für Schuld, Anstand und Moral – oder war es die fatale Mischung von alledem, was jene in sich trugen, die sich während der Herrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland an der Ermordung von Millionen von Menschen beteiligten? Juden, Zigeuner, Homosexuelle, Bibelforscher, Behinderte, Seelisch oder geistig Kranke, Kriminelle und Menschen anderer Kulturen und Nationen wurden für unwert erklärt weiterzuleben. Eine selbsternannte „arische Rasse“ schwang sich in grenzenloser Hybris dazu auf, das zu entscheiden – und die Täter fanden im deutschen Volk ausreichend Mittäter, Vollstreckungsgehilfen, Vasallen, dieses grausige Geschäft für sie ohne Bedenken und mit bürokratischer Präzision zu erledigen. Eine in der Geschichte einzigartige kriminelle Gruppe schickte sich unter der Führung von Menschheitsverbrechern wie Himmler, Heydrich, Goebbels, Göring, Hitler, Streicher, Hierl an, die Welt aus den Angeln zu heben, ein neues „Germanien“ zu erschaffen, indem man zunächst in gigantischen Mordfabriken, die man „Konzentrationslager“ oder „Schutzhaftlager“ nannte, all die systematisch ausmerzte, die unter Begriffen wie „lebensunwürdig“, „jüdisch verseucht“, „Volksschädling“ diffamiert wurden. Allein bei solchen Worten muß es dem Betrachter kalt den Rücken hinablaufen, Bilder dieser entsetzlichen Realität anzuschauen aber sprengt das Vorstellungsvermögen jedes auch nur einigermaßen vernünftigen Menschen. 
Unvorstellbar daher, daß die Nationalsozialisten dennoch Tausende fanden, die bereit waren, unter dem Zeichen des SS-Totenkopfes die Ermordung ihrer Mitmenschen, Nachbarn und Mitbürger zu betreiben. Biedermänner samt und sonders, denen das Töten und die Verwaltung des Todes zum gänzlich unreflektierten Alltagsgeschäft wurde.


Auschwitz - Oswald Pohl, Richard Baer (v.l.)
 
Im Jahr 2007 gelangte aus dem Besitz eines ehemaligen US-Nachrichtenoffiziers (CIC) ein Fotoalbum an die Öffentlichkeit, das Karl Höcker, dem Adjutanten des letzten Auschwitz-Kommandanten Richard Baer gehört hatte. Die 1944/45, also in der schlimmsten Phase der Vernichtung von Menschen dort entstandenen 116 Bilder des Albums zeigen Offiziere und Personal des KZ Auschwitz, hochrangige offizielle Besucher, und lassen SS-interne Verbindungen und Kameradschaften erkennen.
Sie zeigen aber auch Freizeitaktivitäten von Offizieren, Mannschaften und SS-Helferinnen, Ausflüge in bester Laune und gelöster Stimmung, während in Birkenau 1,1 Millionen Menschen umgebracht wurden. Da wird zum Akkordeon fröhlich gesungen, man entspannt sich im Liegestuhl,  lacht auf dem Gruppenfoto für die Kamera, spielt mit dem Schäferhund oder übt Schießen. 
SS-Offiziere wie Baer und Höcker, Rudolf Höß (von Mai 1940 bis November 1943 Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz), Enno Lolling (leitender Arzt bei der Inspektion der Konzentrationslager), Josef Mengele (durch seine Menschenversuche an Häftlingen und vor allem seine Zwillingsforschungen in Auschwitz berüchtigt), Franz Hößler (Schutzhaftlagerführer des Frauenlagers im KZ Auschwitz-Birkenau), Otto Moll (im KZ Auschwitz-Birkenau für den Betrieb der Krematorien verantwortlich), Oswald Pohl (Leiter des SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes, maßgeblich an der Durchführung des Holocausts beteiligt), Karl Möckel (Leiter der Standortverwaltung im KZ Auschwitz), Franz Xaver Kraus (Verwaltungsführer mehrerer Konzentrationslager), Joachim Caesar (Leiter der landwirtschaftlichen Betriebe im KZ Auschwitz), Carl Clauberg (Gynäkologe, der als SS-Arzt an hunderten weiblichen KZ-Häftlingen Zwangssterilisationen vornahm), Maria Mandl (Oberaufseherin im Frauenlager des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau und des KZ Ravensbrück) und viele andere „prominente“ NS-Schergen sind auf den Fotografien zu sehen – und sie wirken alle stolz auf sich und zufrieden mit dem, was sie tun.
Ausführlich wird das in Auschwitz eingerichtete neue SS-Lazarett gezeigt, das in der Nachbarschaft der Gaskammern und Verbrennungsöfen als Erholungs- und Genesungsstätte für die Mord-Mannschaftn eingerichtet worden war.


Auschwitz - Karl Höcker mit  SS-Helferinnen
 
Die ausführlich kommentierten Bilder sind ein erschreckendes Dokument für die völlige Verrohung von Normalbürgern. Leute, die im zivilen Leben vielleicht Kaufleute, Lehrer, Verwaltungsbeamte, Ärzte, Krankenschwestern, Handwerker oder Landwirte gewesen wären, ließen sich, einer ebenso irren wie blutigen Ideologie folgend, willfährig zu Mördern und deren Helfern machen. Dieses Angst einflößende Dunkle im Menschen scheint unausrottbar zu sein, von der katholischen Inquisition über Kolonialverbrechen wie die der Belgier unter Leopold gegen die Kongolesen und den Genozid der Türken gegen die Armenier vor rund 100 Jahren bis zu den Schreckenslagern der Serben in den Jugoslawienkriege der 1990er Jahre, das Massaker von Srebrenica 1998 und aktuell zur islamistischen Mordmaschine des ISIS im vorderen Orient. Eingebettet in ein funktionierendes Staatsgefüge bekommen solche Verbrechen scheinbar den Anstrich der Legalität – was beinahe das Schlimmste daran ist.
 
Der Verlag schreibt: „Es sind Bilder einer vermeintlichen Normalität - eine krasse Gegenwelt zur Realität von Auschwitz. Und zugleich Beleg und Dokumentation für Funktionsnetzwerke in der SS. Dieser Band publiziert das Album erstmals vollständig, mit neun Fachaufsätzen.“
 
Auschwitz durch die Linse der SS - Das Höcker-Album
(Hrsg. von Christophe Busch, Stefan Hördler und Robert Jan van Pelt. Mit einem neuen Vorwort zur deutschen Ausgabe von Michael Wildt. Aus dem Englischen von Birgit Lamerz-Beckschäfer, aus dem Niederländischen von Verena Kiefer, aus dem Polnischen von Peter Oliver Loew)
 
© 2016 Philipp von Zabern, 340 Seiten, Hardcover, 196 Schwarz-Weiß-Illustrationen, Register – ISBN 978-3-8053-4958-1
49,95 €
Weitere Informationen:  www.zabern.de    www.wbg-wissenverbindet.de