Meine Begegnung mit der Geige

Erinnerungen

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker

Meine Begegnung mit der Geige
 
Mit der Geige hatte es bei meinem wundervollen Onkel Arthur eine ganz eigene Bewandtnis: Er setzte sie therapiebegleitend ein. Als Gemeindearzt von Dorf Tirol, der er jahrelang gewesen war, hatte er, wenn er zu Sterbenden gerufen wurde, immer seine Geige mitgenommen. Natürlich in bester Absicht - er wollte den Patienten das Hinübergehen verschönern. Sah er aber, daß noch Hoffnung bestand, hat er natürlich nicht gespielt. Was für alle deshalb so toll war, weil zum einen damit klar war, daß Hoffnung bestand, zum anderen, weil Onkel Arthur nicht mehr der Geiger war, der er früher mal gewesen sein mußte, er hatte immerhin die „Chaconne“ von Bach gespielt. So kam es, daß, wenn Onkel Arthur ins Haus kam, alle nur einen Wunsch hatten, den aber inbrünstig: „Hoffentlich spielt er nicht!“ Und immer wieder gab es einige Böswillige, die behaupteten, der Sterbende sei nur deshalb verblichen, weil ihm Onkel Arthurs Geigenspiel den Rest gegeben habe.
Nach der Aufführung vom „Weißen Rössl“ saßen wir alle beim Onkel Arthur und der Tante Mia herum und ich verließ die Gesellschaft, um mich auf der kleinen Veranda ein bißchen umzuschauen und siehe da: Da lag die Geige vom Onkel in ihrem Geigenkasten. Ich nahm sie heraus und war ab da nicht mehr zu halten. Ich zupfte an den Saiten, entlockte ihr ein paar Töne, dann entdeckte ich den Bogen und versuchte, zu geigen, und schaffte es mit meinen sieben, acht Jahren auch tatsächlich, ein paar grade Töne zu spielen. Ich wußte in diesem Augenblick: das ist mein Instrument! Und es ist es ja auch bis heute geblieben.
 
Wenn ich aber schon dabei bin, Ihnen aus meinen Buch „Als Strohhalme noch aus Stroh waren – eine Kindheit in Südtirol“ was zu erzählen, dann muß ich Ihnen von der Fontana erzählen:
Als ich mit knapp 11 Jahren nach Bozen zu den Franziskanern kam, war klar, daß es jetzt mit der Geige endlich in professionelle Schuhe kommen sollte, ich kam ins Konservatorium zu Professor Zaniboni, einem etwas cholerischen Geiger, dem ich wohl zu faul war, er schmiß mich raus, also wechselte ich zu Frau Professor Fontana, einer Stargeigerin der 1920er Jahre in Norditalien. Sie unterrichtete mich bei sich zu Hause, weil sie etwas gehbehindert war und deshalb nicht mehr ins Konservatorium gehen mußte. Die Fontana hatte einen Hund, Sila. Eine Boxerhündin mit zwei Handicaps: Sie war alt und sie mochte mich, was bedeutete, daß sie mich in jeder Stunde auf sehr unangenehme Weise vollsabberte. Außerdem legte sie sich zu Beginn der Stunde direkt vor meine Füße und furzte. Sie furzte ständig, das lag an ihrem Alter und war ihr zweites Handicap. Von der Fontana war da keine Hilfe zu erwarten, denn sie war so daran gewöhnt, daß sie diese Leibwinde nicht mehr roch. Sie hätte sich sowieso nie von ihrer Sila getrennt und sie während der Stunde in ein anderes Zimmer eingesperrt. Da war also nix zu machen.
Immer, wenn staccato kam, also kurze, abgehackte Bogenstriche, sprang Sila auf, bellte kurz und schleckte mich ab. Ich glaube, sie wollte damit erreichen, daß ich mit diesen quälenden Tönen aufhöre und zwar sofort. Im Winter ging‘s noch, da hatte ich lange Hosen an. Im Frühjahr aber kam ich oft mit der Trainingshose, weil ich vom Sport zur Fontana ging und da war es grausig: Sila sprang an mir hoch, die Trainingshose rutschte runter und sie sabberte mir die Schenkel voll. Die Fontana schrie dann dazwischen „Sila! Sila!“, was auf Deutsch die Noten „h“ und „c“ meint. Das brachte mich immer zum Lachen und oft ergänzte ich „Sol fa mi re do“, um wieder zum Grundton do, also „c“ zurück zu kommen.
Wenn es ganz übel wurde, ging die Fontana mit dem Bogen dazwischen. Den hatte sie immer in der Hand, die ganze Stunde über, stand hinter mir und bei jedem falschen Ton, bei jedem Kratzer hat sie mir mit dem Bogen eins übergebraten, mal zärtlich auf den Kopf, wenn ich etwas gut gemacht hatte, mal kräftig auf den Rücken. Und manchmal war auch die Sila dran, die den Bogen sehr fürchtete und sich dann winselnd vor mich legte, wahrscheinlich, weil das der Ort war, an dem sie ganz gut geschützt wähnte. Bis heute habe ich ein ausgesprochen distanziertes Verhältnis zu Boxerhunden, vornehmlich, wenn sie älter sind.
 
Am schönsten waren die Stunden, wenn die Fontana den Geigenbogen zur Seite legte und mir die Fotos aus ihrer großen Zeit zeigte. Sie dachte, das wäre eine Erholung und Belohnung, das war es auch für mich, nur nicht, wie sie dachte, wegen der Fotos, sondern weil sie in der Zeit den Bogen weggelegt hatte. Es gab sogar ein Bild von ihr mit Toscanini. Zwar nicht beim gemeinsamen Konzertieren, ich weiß nicht, ob sie das jemals getan hatte, vielmehr beim nebeneinander Stehen. Vermutlich hatte die Fontana im Flur eines Konzerthauses gestanden, als er vorbeikam, dann schnell die Geige ausgepackt und ihn gebeten, sich mit ihm ablichten lassen zu dürfen, er lächelte in die Kamera, froh, daß eine hübsche junge Dame eine Geige halten kann und fertig war die PR-Aktion der aufstrebenden Solistin!
 
Ach, wat wor dat schön damals! Die Erinnerung ist ja, und da hat der alte Jean Paul Recht, das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.
 
In diesem Sinne
Ihr
Konrad Beikircher
 
Redaktion: Frank Becker