Bestsellerfressen

„Der Brand“ von Jörg Friedrich

von Wolfgang Nitschke

Wolfgang Nitschke - © Manfred Linke / laif
Näh, wat wor dat früher
schön doch in Colonia!
 
„Der Brand“
von Jörg Friedrich
 
Liebe Leser!

Erstens: This is not a lovesong.
Zweitens: Irgendwann – und verschärft so ab den penetranten WK-II-Gedächtnis­feiern in den 90ern - hatten se alle die Nase gestrichen voll. Schuld !!! Schuld, Schuld! Schuld! Immer nur Schuld! Der ewige Nazi, der deutsche Doof! Der Kraut und Idiot und Arsch der Welt! Einmal mußte doch mal Schluß sein! Zumal Omma un’ Oppa und Mama un’ Papa längst nix mehr zu kamellen hatten oder eh schon über sie das Gras gewachsen war. Jahrelang war man sturzbetroffen von Auschwitz bis Bu­chenwald gepilgert und auf jeden Ostermarsch getapert, hatte für Zwangsarbeiter getrommelt & gesammelt und für Frieden, Kraft und Freude fleißig gepfiffen, gefas­tet & gerammelt, Hitler im Ersten, Hitler im Zweiten, Hitler hier und Hitler da & Hitler auf allen Kanälen und bei ‚Schindlers Liste’ strömten in Sturzbächen und Kartoffelchipstüten noch einmal die Tränen. Am Ende stand kollektiv fest: So, jetzt is’ aber jut jewesen, jetzt hammer aber uns und alles wieder gut gemacht.
Dann kam die Zeit der Ahnenfor­scher, und die ahnten was, nein, eher: sie wußten was: Man war noch nicht ganz wieder bei Mama un’ Papa angekommen! Eine flächendeckende Walserisierung hub an, und weiter ging’s im Krebsgang - heim zurück in die Heimat. Denn Blut is bekannt­lich ja dicker als Wasser, und doof bleibt doof, da helfen keine Pillen, Götter, Gräber und Gelehrte.

Zur Person:
Jörg Friedrich hat 1984 – da war der flotte 68er auch schon über 30 - ein wegweisendes Werk vollbracht: „Die kalte Amnestie – NS-Täter in der Bundesrepublik“, ein Piper-Buch von notgedrungen unvollendeter Schön­heit, eines, das aus so manchem unwissenden Herzen eine alles in allem sehr gerechte Mördergrube zauberte. Friederich, der Wüterich, war vor 20 Jah­ren halt noch jung und eben noch nicht bei sich zu Hause angelangt - und im übrigen „Die kalte Amnestie“ damals auch kein Bestseller. Ein solcher allerdings ist „Der Brand – Deutschland im Bombenkrieg 1940 – 1945“. Und die große Frage ist nun: Wie kann dat dann?

Nun, es ist ja unbestritten, daß am 8. Mai ’45 hier vieles im Argen lag; nur die Gesichter der Deutschen waren noch derangierter als Teile ihrer Wege und Behausungen. Unbestritten ist auch, daß man, wenn man schon nicht die Moral dieser Burschen kleinbomben konnte, ihnen zumin­dest solange die Hütten unterm Arsch wegballern mußte, bis sprachlos und kalt im Winde klirrten die Fähnchen. That’s all. Fertig, aus. Den einzigen Vorwurf, den man Bomber Harris machen konnte, war ja wohl der, daß er nicht früher und nicht alles platt gemacht hat und daß er dämlicherweise auch noch den Dom hat stehen lassen.
Jörg Friedrich aber zimmert daraus – Nachtigall, ick hör dir trapsen - einen „Zivilisationsbruch“. Den Alliierten ging es von Anfang an um „Massenvernichtung“ und „Terror als Selbstzweck“. Die Keller und Luftschutz­bunker wurden zu „Krematorien und Vergasungs­stätten“. Alles war „Völkermord und Massaker“. Und ihre „vandalische Tobsucht, die Vernichtungspoli­tik“ bereitete all den „alliierten Killern“ neben vielerlei „Arbeit“ nicht nur „Lust“, so manche Bombe fiel auch einfach nur so, „aus purer Langeweile“, und v.a. brachte sie bei Trümmer-Jörg eine wahre Wortschöpfungsorgie ins Rollen: „Vernichtungstrunkenheit“ „Vernichtungsangriff“, Vernichtungswalze“, „Vernichtungsserie“, „Vernich­tungs­exzesse“, „Vernichtungskapazität“, „Vernich­tungs­fläche“, „mongolischer Luftvernichtungsorkan“ - ein einziges „Universum der Vernichtung“.
Die Amis und Engländer, die der Welt zur Hilfe eilten, kamen denn auch aus heiterem Himmel als „Massenver­nichtungsgruppen“ daher, als - hallo, Nachtigall – als „Einsatzgruppen“. Dr. Goebbels hätte seine Freude gehabt. Und wer ging dabei drauf, wer wurde „geröstet“, „ge­braten“ und „pulverisiert“? Ein „völlig wehrloses Volk“, beste­hend aus „wehrlosen Greisen, Kindern und Frauen“ und, hört, hört, „Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen“. Und die Quintessenz von der Geschicht' - und das wird man ja wohl noch sagen dürfen: Ganz Deutschland ein einziges Auschwitz! Genau aus diesem Grunde wurde „Der Bombenkrieg“ dann auch ein so gnadenlos deutscher Bestseller, ein Bombenerfolg.
Gute Nacht.

Nachtrag:
Trotzdem ist das Buch nicht schlecht. Wenn man es näm­lich mit englischen Augen liest! Dann wird einem beim „Bombenkrieg“ wieder richtig warm ums Herz. Bitte schön:
„Die Bomber flogen von Norden an und folgten dem Strom gegen die Richtung nach Süden. Die Crews mit besonderem Zielfindungstalent zogen vorneweg als Angriffsführer und setzten Leuchtkörper; alle fünf Sekunden erschien ein Bomber über der Stadt. Die Überzahl der kleinen, leichten Brandbomben läßt Abertausende von Einzelbränden auch dann kei­men, wenn ein Bruchteil nur zündet. Wenn ferner Sprengmunition verhindert, daß jemand löscht, dann kommt eine flächendeckende Feuersbrunst zustande. 3300 Gebäude waren zerstört und 9500 beschädigt, kein sehr großer Scha­den in einer 772000-Einwohner-Stadt. Es brauchte denn auch insgesamt 262 Luftan­griffe, bis am Ende die Altstadt zu 95 Prozent zerstört war.
Der ‚Tausendbomberangriff’ auf Köln vom 30. April 1942 war nur der Anfang. Jetzt habe man die Hand­schuhe ausgezogen, bemerkte dazu Churchill. Das Gesicht der Stadt mißt aller­dings nicht in Pro­zenten. Es war entstellt durch die Beschädi­gung des auf die Römerzeit zurückreichenden Straßenzugs der Hohen Straße, die Zerstörung der Ostseite des Alten Marktes mit seinen Bauten aus der Spätrenaissance und den Verlust des Westbaus von St. Maria im Kapi­tol, auf römischem Schutt im 11. Jahrhundert am Rhein errichtet, eines der harmonischsten Bauwerke des Abendlandes.“
Mir kommen die Tränen. „Einen Dom kann man weder panzern noch abmon­tieren. Die mächtigen Ausstattungsstücke des Barock, Orgel­prospekte, haushohe Altaraufbauten, schwere Kanzeln und Gestühle, verweigern sich ebenfalls der Spedition. Was der Anbetung dient, ist fest wie das Firmament und sucht nicht Unterkunft. Die auf die Ewigkeit berechnete Verdübelung und Verzimmerung der Teile, die völlige Einrostung der im Mittel­alter benutzten schweren Schmiedenägel in der Gerbsäure des alten Eichenholzes ließ meist nur den Ausbau einzelner Figuren und Flügelgemälde zu, während das Hauptgebäude so unverrückbar blieb wie die Säulen und Bögen. Das Holz benötigt eine Luftzirkulation, doch rufen Luftlöcher in dem um­mauerten Schutzraum eine Backofenwirkung hervor. Zudem fehlten Mannschaften und Fachleute, um kompliziertere Bergungen vorzunehmen. Die Einbe­rufungen zur Waffe ließen einzelne, betagte Wächter an den Objekten zurück, nächtliche Lösch- und Transportaktionen in brennenden Kirchenflügeln lagen außerhalb des ihnen Möglichen. In steinernen Sarkophagen, im Chor der dreischiffi­gen Basilika eingemauert, ruhten die Gebeine der Elf­tausend Jungfrauen noch 34 Monate bis zum 2. 3.’45, dem Ende von Köln.“
Herr ... äh ... Nitschke, das war aber doch jetzt Polemik, oder?
Polemik? Äh, ja sicher. Polemik, hm, ja klar.

Achtung, Achtung! Ende, Ende!
Überm Kuhstall sind Verbände!
Überm Schweinestall sind Jäger!
Morgen kommt der Schornsteinfeger!

Mai 2004