Am Pranger: Indien, das Land der Vergewaltiger

„7 Göttinnen“ von Pan Nalin

von Renate Wagner

7 Göttinnen
(Angry Indian Goddesses - Indien 2015)

Regie: Pan Nalin
Mit: Sarah-Jane Dias, Tannishtha Chatterjee, Amrit Maghera u.a.
 
Sie werfen ihre Haare und kreischen, sie überschlagen sich, einander zu begrüßen und zu umarmen und schnattern dann gleich hinter jeweils dem Rücken von Abwesenden über die andere – kurz, die Damen könnten auch in irgendeiner amerikanischen Stadt leben, sie würden sich nicht anders verhalten und trügen ähnliche Shorts und leichte Blusen. Würden genau so klatschen, trinken, Musik hören, abhängen und die Kinder (eine hat ihr kleines Mädchen mit) beiseite lassen. Fast ein bißchen nervtötend, diese allgemeine Hektik.
Ist das Indien, normale junge Frauen von heute, weit entfernt vom Bollywood-Kitsch? Nicht ganz. In den „7 Göttinnen“, was ein sehr schlechter deutscher Titel ist für „Angry Indian Goddesses“, die zornigen indischen Göttinnen (da steht doch die große Kali dahinter, Bollywood-Schönheiten sind nicht gemeint), blättert Regisseur Pan Nalin viele, fast zu viele Themen auf – aber Indien ist mehr als ein großes Land, es ist eine Welt für sich, erschüttert von Problemen, die in ihrer Radikalität auch immer wieder den Weg in die westliche Presse finden.
 
Wenn die Fotografin Frida ihre Freundinnen zu sich nach Goa holt, Treffen im großen Haus des abwesenden Vaters, ganz geheimnisvoll zuerst, dann mit der Ankündigung, daß sie heiraten werde (ohne die längste Zeit zu sagen, wen), merkt man in diesem fast männerlosen Film (nur der Freund einer der Frauen taucht ganz kurz auf und zeigt Anteilnahme an der zum „Mädelstreffen“ abgetauchten Freundin), daß hier die Frauen- und die Männerwelten geradezu radikal getrennt sind.
Wer kommt hier? Der Damenreigen ist (wie es die Dramaturgie verlangt) breit gefächert, eine eiserne Geschäftsfrau, die dauernd am Handy hängt und sich von ihrer Fabrik unabkömmlich fühlt, ebenso wie eine unglücklich verheiratete, wegen ihrer Kinderlosigkeit von der Familie des Mannes gequälte junge Frau oder eine Engländerin, die in Bollywood-Filmen Fuß fassen will und gereizt ist, wenn man sie auf ihren Akzent in der Hindi-Sprache aufmerksam macht. Eine Szene von Dreharbeiten dort zeigt zu Beginn, wie im Kino die Frauen die wehrlosen Opfer starker Männer werden… und wie eine Schauspielerin, die sich dagegen wehren will, nur Kopfschütteln erntet.
Nun werden einerseits hier Schicksale abgehandelt, wobei der erste „Höhepunkt“ der Handlung darin besteht, daß Frida sich als Lesbe outet und ihre Geliebte heiraten wird – kein Wunder, daß ihr traditioneller Vater sich weigert, an der Hochzeit teilzunehmen.
Daß nicht alles so kreischend heiter ist, daß es hier nicht um ein weibliches Buddy-Movie geht, zeigt sich an den Tragödien, die die Damen aufblättern (wobei die Dienerin mit einem Revolver herumläuft, weil der Mord an ihrem Bruder in einer Männergesellschaft nie gerichtet werden wird). Und Zusammenstöße mit einer Männergesellschaft, für welche Frauen (zumal, wenn sie sich nicht züchtig verhüllen) offenbar eine einzige Herausforderung zur Gewalt darstellen, spitzt sich dann zur Tragödie zu. Indien, das Land der Vergewaltiger, steht am Pranger – am Ende ist eine der Frauen tot, hat sich am Strand nur ein wenig von den anderen wegbegeben, wurde zum Opfer, vergewaltigt und ermordet.
 
Freilich, an ihrem Sarg geht es ganz schön triefend zu, und daß die Freundinnen wirklich hingehen und die schuldigen Männer selbst richten - ganz glaubhaft ist es nicht. (Hier wetterleuchtet ideologisch dann an die „böse“ Göttin Kali, die hinter den Frauen zu stehen scheint, die sich wehren.) Aber als der Polizist am Ende in die Kirche kommt, wo die Tote im offenen Sarg liegt und die Freundinnen trauern, und er nach der Schuldigen fragt – da stehen nicht nur alle Frauen auf, sondern auch nach und nach die Männer.
Der Traum der Solidarität, im Leben höchstens in ganz kleinen Zellen zu verwirklichen, hier wird er zur großen Moralkeule des Endes. Schön wär’s.
Daß der Film im Westen, wo man mit den Fingern auf die „Bösen“ zeigen kann, besser ankommt als in Indien selbst, wo man dergleichen nicht sehen will (schon nicht die selbständigen Frauen, noch weniger die abweichenden Lesben), versteht sich. Manchmal geht es auch für unseren Geschmack reichlich klischiert zu. Am Ende so melodramatisch wie in den leicht verachteten Bollywood-Filmen. Andererseits steckt ganz ohne Frage sehr viel echtes, erschreckendes Indien da drin.
 
 
Renate Wagner