Russell Crowe auf „Oscar“-Ebene

„Väter und Töchter“ von Gabriele Muccino

von Renate Wagner

Väter und Töchter
(Fathers and Daughters - USA 2015)

Regie: Gabriele Muccino
Mit: Russell Crowe, Amanda Seyfried, Kylie Rogers, Diane Kruger, Aaron Paul, Quvenzhané Wallis u.a.
 
Väter und Söhne ist ein großes Stück russischer Literatur (von Turgenjew), „Väter und Töchter“ als den großen amerikanischen Roman, gekrönt mit dem Pulitzer-Preis, gibt es nur als Fiktion in dem gleichnamigen Film. Der durchaus das Kitsch-Problem der üblichen Familienfilme hat – und der italienische Regisseur Gabriele Muccino neigt doch stark dazu, dem Publikum die Taschentücher aus der Tasche zu ziehen…
 
So werden die Seelenschmerzen schon über die Maßen gerollt, wenn Russell Crowe den Schriftsteller darstellt, der sich buchstäblich zu Tode arbeitet, um seine kleine Tochter behalten zu können („Wir leben in den United States of Money“, sagt er einmal so richtig und verzweifelt), der sie in die Literatur einschreibt – und trotzdem nur erreicht, daß sie eine total verstörte, beziehungsunfähige junge Frau wird, deren Schicksal trotz aller realer Zeitverschiebung auf der Leinwand doch parallel zu jenem des Vaters (als sie selbst noch ein Kind war) erzählt wird. Amerika sind auch die United States der Neurosen.
Es beginnt mit einer Alptraumszene, die jeder nachvollziehen kann, weil man weiß, daß sie ums Eck lauern könnte, wenn das Schicksal nicht gnädig ist: Die an sich glückliche Familie – Vater, Mutter und Katie, die achtjährige Tochter – im Auto, die Eltern fauchen einander an, Krach, Unfall, die Mutter ist tot. Was nun, wenn ein von Gewissensbissen für den Rest seines Lebens geplagter Vater jetzt außerdem nach seinen Verletzungen nicht nur permanente Schmerzen, sondern auch so schwere Depressionen davon getragen hat, daß er schließlich freiwillig für ein Jahr in eine Klinik geht?
Man könnte sich vorstellen, die kleine Tochter sei das Problem, aber sie ist es nicht – sie liebt ihn heiß und innig, will nicht länger als nötig bei der reichen Tante bleiben, sondern sofort zum Vater zurück. Was er sich ebenfalls innigst wünscht, die Umwelt aber zu verhindern sucht (Schwägerin und Gatte bekämpfen ihn gnadenlos, bis fast vor die Gerichte, gäbe es nicht einen albernen Drehbuch-Dreh) – und eine Schiene des Films handelt nun von den wirklich verzweifelten Versuchen das Vaters, an einer Universität zu unterrichten, den großen Roman zu schreiben (auf Schreibmaschine, wir sind in früheren Zeiten), für die kleine Tochter (die brav neben ihm sitzt, wenn er arbeitet) da zu sein (Kylie Rogers ist leider so herzig, rührend, niedlich wie in dieser Art von Filmen…)
 
Das ist ein Brocken an darstellerischer Herausforderung, und ein „Brocken“ von Schauspieler bewältigt ihn grandios: Russell Crowe hat durch die mentalen und anderen Krankheitsprobleme dieses Jake Davis eine ähnliche Rolle wie einst jene in „A Beautiful Mind“ (für die er nicht den „Oscar“ bekam, aber tausendfach verdient hätte). Man spürt, wie hier ein Mann zwischen Schuld, Liebe und Krankheit faktisch zerrissen wird und mit unendlicher Anstrengung kämpft bis ans Ende – bis er eines Tages umfällt und tot ist. Den großen amerikanischen Roman über sich und seine Tochter, den später jeder ambitionierte College-Literatur-Student offenbar liest, hat er unter allen Schwierigkeiten (einigermaßen verständnisvoll begleitet von Jane Fonda als seiner Agentin) letztlich doch noch geschrieben.
Katie ist noch klein, als er stirbt, wir erleben sie aber die ganze Zeit erwachsen in Gestalt von Amanda Seyfried. Dabei erscheinen die Szenen von Jung-Katie gar nicht als Rückblick, es laufen einfach zwei Zeitebenen nebeneinander. Und diese erwachsene Katie ist nun trotz des väterlichen Opfers nicht ein strahlend starker Mensch geworden, sondern eine recht verzweifelte, verzagte, in Männer-Beziehungen völlig verkrampfte junge Frau. Man erlebt sie einerseits in ihrem Beruf als Jugendpsychologin (unter den Augen der gestrengen Vorgesetzten, stark gespielt von Octavia Spencer), wo sie mit aller Anteilnahme der Welt versucht, ein unglücklich-verstocktes kleines schwarzes Mädchen (Quvenzhané Wallis, die Musical-„Annie“ hier voll Seelenqualen) quasi für die Welt zu öffnen.
Daß das gelingt und daß die von ihr völlig verfahrene Beziehung zu Literaturstudent und Jungautor Cameron (Aaron Paul), der den Roman des Vaters grenzenlos bewundert und zuerst deshalb ihre Bekanntschaft gesucht hat, schließlich doch zum Happyend führt… das sind die Kitschelemente der Geschichte, die hier den Mainstream-Erfolg sichern sollen. Was Russell Crowe spielt, ist die „Oscar“-Ebene.
Und in einer faszinierenden kleinen Szene erklärt Diane Kruger als die reiche Tante, die Papa Jake Davis immer um den Besitz von Klein-Katie bekämpft hat, später, sie sei wohl die einzige erwachsene Frau, die nie Liebe kennen gelernt hat. Sie tut es mit so viel trockenem Schmerz, daß man diese Mini-Szene stark in Erinnerung behält.
 
 
Renate Wagner