Bestsellerfressen

„In eisigen Höhen“ von Jon Krakauer

von Wolfgang Nitschke

Wolfgang Nitschke - © Manfred Linke / laif
Fuck the world
and make yourself happy!
 
„In eisigen Höhen“
von Jon Krakauer
 
„Die 3 bis 4 Steintoiletten in dem Nest waren mit Exkrementen überschwemmt und dermaßen ekelerregend, daß die meisten es vorzogen, sich im Freien zu entleeren, wo immer es einen überkam. Die Masse der Flöhe und Läuse auf den fleckigen Matratzen vertrieb man durch einfaches Schütteln.“

Meine Damen und Herren,
wir befinden uns hier nicht mit Herrenreiter Weizsäcker beim Vormarsch auf Moskau in einem ausradierten Russenkaff; auch nicht im neuesten Seelensondermüll von Peter Lauster „Mich laust der Affe“, sondern in Lobuja oder so ähnlich, der höchsten menschlichen und darmbakterien-verseuchten Ansiedlung am Fuße des Mount Everest. Oder prosaischer ausgedrückt: „In eisigen Höhen“ von Jon Krakauer auf Seite 80.
Im Wonnemonat Mai, genau vor 5 Jahren (heute sind es 23), hatte Jon Krakauer, der extrem sportive Extrem-Journalist der Extrem-Postille „Outside“ eine extrem fit-for-funnige Bergbekraxelung absolviert und anschließend daraus einen extrem thrillerigen Verkaufsrenner geschustert, der nun sämtliche Siebenmeilenstiefel-Traktate von Yeti Messner locker und thrillerig in den Schatten stellt. Aber extrem sind nicht nur Klettermaxe Jon-Boy und seine extrem moderne Bergpredigt. Extrem war wohl das ganze muntere Schnee- und Menschentreiben als solches.
Die Sorgen und die Nöte,
aber auch die Abendröte,
die Menschlichkeit und das Milieu,
die dünne Luft und Diarrhöe,
Tod und Teufel, Sex mitunter,
Ach, das ganze Rauf und Runter.

Meine Damen und Herren!
Allen, die immer noch glauben, sagen zu müssen: „Berge? Wat soll dat denn?“ seien flott paar harte Fakten nachgetragen: Der Everest ist mit seinen 8846 Metern der steilste Eumel der Welt! Wer einigermaßen wieder runterkommt, darf sich König Eumel nennen. Für eine 6-wöchige Gliedwanderung darf jeder kleine Luis Trenker seinem Bergstrizzi aber erst mal 65.000 Dollar in den Beutel blättern; nicht inbegriffen: Hinflug, Rückflug, Klopapier. Oben ist es dann relativ kalt, und mit zu wenig Sauerstoff-Flaschen kann die Party niemals öde werden. Dafür aber extrem kurz. Und das alles ist überhaupt nur zu schaffen mit Hilfe von Eingeborenen, den sog. Sherpas, den Negern vom Himalaja.

Aber noch simmer erst auf 6000 über Normal Null. Und Krakauer erzählt:
„Der Fund der 1. Leiche hatte mich zutiefst erschüttert. Der Schock beim Anblick der 2. legte sich beinahe sofort.“ Und zwei Schritte weiter: „Die Hänge des Everest sind übersät mit Leichen. Wer auf der Route stirbt, dient als Wegmarke. Nur wenige der vorbeiziehenden Bergsteiger schenkten dem zweiten Toten noch größere Beachtung.“
Von den ca. 300 Durchgeknallten, die im Mai '96 über Hunderte von Gletscherspalten robbten und den erkalteten Kameraden nicht mal Tag sagten, erreichten grade mal 84 den Höhepunkt und jeder hatte irgendwat anderes: Lungenödem oder Hirnödem, gebrochenen Knochen, weiche Birnen, zugefrorene Augen und vor allem lustige Verhaltensweisen. Die New Yorker Jet-Set-Maus Sandy Pittman („Lieber sterbe ich am Everest als beim Überqueren der Madison Avenue zwischen Armani und Versace!“) mußte z. B. unbedingt ihren Schlepptop mitschleppen, incl. Drucker und ein Täschchen voller Ostereier, was dazu führte, daß Sherpa, der Schlepp-Neger, gezwungen war, die Jet-Set-Maus auf den letzten 800 Höhenmetern huckepack zu nehmen, incl. Schlepptop, Drucker und Ostereier. Egal.
Daß aber prinzipiell oben auf dem Zipfel, at the top of the pop, zum Verrecken kein orgiastisches Feeling aufkommen wollte, lag weniger daran, daß Schnee und Geröll von oben auch nicht anders aussehen, sondern daran, daß durch wochenlange Baggerei, schleichenden Hirnverfall und Sauerstoffmangel praktisch schon vorher alle balla-balla waren. So blieb denn auch Herr Krakauer nur knappe 5 Minuten, in denen er noch volles Rohr 4 Photos schoß, bevor er dann zum Lager latschte.
Wenn in dem Moment nicht aus heiterem Himmel ein Schneesturm um die Ecke gebraust wäre, der 2 Tage lang mit 200 km/h und minus 75 Grad in der Truppe für gewisse Unruhe sorgte, hätte Krakauer für sein Kampfblatt „Outside“ nur 'ne extrem lahme Insider-Story schriftstellern können. So aber kamen im Mai doch noch summa summarum gut 12 Leichen zusammen. Und einige, die sich von sämtlichen Zehen, Fingern und ganzen Unterarmen trennen mußten. Und einer sogar von seiner Nase.

Bleibt nachzutragen: 12 von 300 sind alberne 4%. Davon sind allerdings - falls es jemanden tröstet - ein dickes Drittel Schlepp-Neger.
Zum guten End, liebe Zuhörer, selbstverständlich die Frage aller Fragen: Muß dat denn alles sein? Ich meine nein. Schließlich gibt's doch jetzt 'ne Pille für den Eumel sein Problem: „Viagra - und der Berg kann rufen, bis er umkippt!“
Gute Nacht.

Jun. 1998