Bestsellerfressen

„Rock'n'Roll im Kopf, Walzer in den Beinen“ von Max Schautzer

von Wolfgang Nitschke

Wolfgang Nitschke - © Manfred Linke / laif
Von Gruftis, Grumpys und Kompostis
 
„Rock'n'Roll im Kopf, Walzer in den Beinen“
von Max Schautzer
 
Meine Damen und Herren!
Es geschah am helllichten Tag. Man schrieb den 2. Februar 2004. Max Schautzer, das damals 64 Jahre junge, ja, markante, natürliche, mithin unkaputtbare ARD- & ZDF-Gesicht, fuhr gerade mutterseelenallein in seinem Auto eine Baumallee entlang...(na, darf der das eigentlich noch?) ... zu einem Theater-Event in eine putzige Kleinstadt im ganz flachen Münsterlande. Aus den 8 Boxen seiner stolzen High Fidelity-Anlage wummerte in einer Lautstärke, die ihm sein Arzt verschrieben hatte, „Stairway to heaven“ von Led Zeppelin. Da vernahm er plötzlich einen Klingelton. Am andern Ende der langen Leitung saß der noch um 200 Jahre ältere Hauptabteilungsleiter der Hauptabteilung Unterhaltung des Südwestdeutschen Rundfunks, der alte Mensch Rainer Matheis, der ihm flugs zwei Neuigkeiten in die Muschel nuschelte, eine gute und eine schlechte: die eine lautete, daß es auch in diesem Jahr wieder zehn neue „Immer wieder sonntags“-Sendungen geben werde, und die 2.: nur nicht mit ihm, dem alten Schautzer Maxe. „Wir wollen die ganze Sendung verjüngen“, so der Hauptabteilungsleiter für Überraschung, Unterhaltung und pfiffige Verjüngung des Südwestdeutschen Rundfunks. Und weil es beim alten Schautzermaxe traditionell immer etwas dauert, setzte der Hauptabteilungsleiter noch einen drauf: Er, der gute, alte „Immer wieder sonntags“-Maxe sei für „Immer wieder sonntags“ einfach nicht mehr knackig genug. Dann knackte es noch mal in der Leitung – und das war’s dann. Ab die Laube und aufgelegt.

Na, war das etwa die feine Art? Von heute auf morgen mit 64 in Rente! Wo gab’s denn so was? Maxe puterte ins Rötliche. Er war ja nie der Fixesten einer. Aber jetzt war er nicht nur fix, sondern auch foxy. 40.000 Jahre lang hatte er sich den Arsch aufgeris­sen, um dem Volke zu dienen! Was hatte er in dieser Zeit nicht alles so zusammenmoderiert? „Die Goldene Eins“, „Ein Platz an der Sonne“, „Alles oder nichts“, „Allein gegen alle“, „Wunschkonzert“. Und „Pleiten, Pech und Pannen.“
Und dann noch:
„Die schönsten Melodien der Welt“, „Die schönsten volks­tümlichen Melodien der Welt“ und „Die schönsten Lieder der Berge“! (Letzteres zwar mit Caroline Reibach, aber immerhin.) Und nicht zu vergessen, quasi unvergessen, 10 lange Jahre lang jeden Sonntag, den ein gnadenloser Gott kommen ließ, „Immer wieder sonntags“.
Und jetzt das! Gefeuert, abserviert und weggeschubst! Einfach in den Popo gefickt, wie man in der Operette sagt. Per Handy! Im Auto! Aus heiterem Himmel inne Wüste! Mit 64! Unglaublich. Was war nun zu tun?
Sollte er sich etwa von nun an selber vor die Glotze setzen? Vom Täter zum Opfer mutieren? Oder einsam in die Gartenprimeln moderieren? Nein! Niemals! Nach über 40 Jahren Vollbeschäftigung konnte es nur eines geben: Auch die nächsten 40 Jahre volle Pulle Vollbeschäftigung, und zwar im Krieg gegen den gemeinen „Jugendwahn“! Und geboren ward das Kampfmanifest:
„Rock’n’ Roll im Kopf, Walzer in den Beinen“

Meine Damen und Herren!
Ich bin, weiß Gott, gegen jede Ausgrenzung. Wegen mir sollte halt alles gesendet werden. Altes wie Neues. Gern auch in Kombination. Wie wär’s zum Beispiel mal mit ‚Sarg-TV’? Mit versteckter Kamera live die Wunder­welt der Verwesung begleiten. Titel: „Wenn die Würmer kommen!“ Am besten mit Promis. Über und unter der Erde. Und aus’m Off dann „Die schönsten volkstümlichen Bergmelodien der Welt“. Das wäre wieder mal ein Straßenfeger! In jeder Beziehung.
Oder eben Bücher schreiben!
Tut der Schautzermaxe jetzt auch. Und wie!
In seinem „Jugendwahn“ hier reflektiert er zunächst sehr hübsch über die sog. „50plus-Generation“, wobei er da vornehmlich die Superplus-Gestalten zwischen 70 und weggetreten meint. Im Kapitel „Worauf wir stolz sind“ stößt er erst mal rührigst auf die guten, alten Zeiten an:
„Es gibt vieles, was wir alle gemeinsam haben. In der Musik waren das der Rock ’n’ Roll, die Rolling Stones, die Beatles und Elvis. Wir saßen zu Millionen im Kino und später vor dem Fernsehschirm, um Marlon Bran­do, James Dean oder Marilyn Monroe zu erleben. Wir waren in Audrey Hepburn verliebt.“ Hm. „Und die Menschen in der DDR machten ihre gemeinsa­men Erfahrungen mit dem ‚grünen Pfeil’ und dem Rotkäpp­chensekt, dem System der Kindergärten oder ihrem ersten Astronauten.“ Mann, Mann, Mann! Kann man die Zone eigentlich noch schlimmer beleidigen als mit diesen Worten?
Egal. Wie gesagt: Alle sollen schreiben.
Macht ja auch Spaß. Zumindest das Lesen:
„Dann tritt die so genannte 68er-Generation an, die Versäum­nisse der Väter zu korrigieren und die Welt zu verbessern. Viel wird erreicht: Das Ende des Vietnamkriegs, die Reform des Hochschulwesens, die Umstrukturierung des gesellschaft­lichen Lebens, die Abschaffung der Machtstrukturen und die Demokratisierung des Sozialismus fallen in diese Zeit.“
An der Stelle hab ich mich gefragt: Über welches Land redet der Mann da? Ich hatte das gar nicht mehr so genau präsent. Ich muß damals wohl im Urlaub gewesen sein. Doch dann kalkt es krachend aus dem Gebälk: seine zitternde Generalabrechnung mit der Seniorenverachtung, mit dem „Jugendwahn“ ... ... und dann ... meine Damen und Herren ... wird es sehr, sehr traurig:
„Mein letzter Disko-Besuch liegt noch gar nicht so lange zurück. Es war nach einem Auftritt in der ZDF-Show ‚Wie fit ist Deutschland?’ Warum ich das erzähle?“ Ja, warum erzählst du uns das? „Weil wir uns alle sehr amüsierten und viel lachten.“ Na, siehste! Geht doch! „Wenn ich an diesen lustigen Abend zurückdenke, kommt mir aber auch eine böse Erfahrung in Erinnerung. Als wir – auch mit einer Clique – ein anderes Mal eine Disco aufsuchten, tönte es aus dem Hintergrund: ‚Jetzt kommen die schon zum Sterben hierher!’“
Hm. Daß die meisten älteren Mitbürger gerade aus diesem Grunde immer wieder auch in seine „Immer wieder sonntags“-Shows geströmt sind, muß ihm wohl jemand verheimlicht haben. Weiter:
„Worte können ziemlich verletzend und schmerzhaft sein. Manchmal beginnt es mit einem leichtfertig dahingesagten ‚Der ist zu alt für uns’, und endet noch lange nicht bei Beleidigungen wie ‚Gruftis’, ‚Grumpys’ oder ‚Kompostis’.“
Ähä! ‚Grumpys’ kannt ich noch gar nicht! Sind dat? Ganz schlimme Kompostis?
Und was der agile Schautzermaxe dann so bringt, meine Damen und Herren, das sind die erschreckendsten Dokumente der aber übelsten Komposti-Verachtung, die man sich nur ausdenken kann. Hier nur ein Beispiel:
„In dem Werbefilm eines Baumarktes wird eine alte Frau gezeigt, die im Schaukelstuhl sitzt und schnarcht. Ihre Enkel betreten den Raum und sagen: ‚Laß uns die Oma ruhig stellen.’ Dann schrauben sie mit einem Akkuschrauber den Schaukelstuhl auf dem Boden fest.“
Ja, und?
Mein Gott! Da spielt schon mal ein veritables Mitglied seiner Superplus 50-Generation ’ne tragende Rolle in ’nem eigenen Spielfilm, und dann ist das auch wieder Scheiße!
Aber er findet ja seinen eigenen Text auch nicht witzig:
„Rentner sind ein Wirtschaftsfaktor – nicht nur im Hinblick auf Kukident, Geh- und Sehhilfen, sondern auch Hörge­räte, Treppenlifter, Badewannenlifter, hydraulische Aufstehhilfen und Rollstühle, Pflegeleistungen, Wasserbetten und Pflege­betten.“
Was der zornige Schmunzel-Maxe damit sagen will: Seine Komposti-Kollegen hätten Schotter wie nur was! Sie hätten auch das Recht, wie Weihnachtsgänse ausgenommen zu werden.
Und dann fängt er an zu drohen:
„Manches Reiseunternehmen könnte schließen, wenn es die ältere Zielgruppe nicht gäbe.“
Ja, ja! Verjubelt ruhig unsre schönen Kröten und unser komplettes Erbe auf allen 7 Weltmeeren! Oder auf großer Butterfahrt in Traben-Traben-Trabach! Hauptsache, ich muß da nicht mit hin!
Weiter:
„Und die Reisebranche ist nicht der einzige ‚Markt der Zu­kunft’! Dazu gehören auch Versicherungen, Banken, Aktien und Aktienfonds, Ernährung, Medien, Naturkosmetik, Ein­richten, Wellness, Schmuck und Gedeckter Tisch, Reform­kost, Gastronomie, Theater, Oper, Museum, Golf und Garten.“ Essen auf Rädern hat er vergessen! (Kann ma passieren.)
Sonst noch wat? Ja. Nämlich:
„Und sollten wir künftig alle über hundert Jahre alt werden“, nee, Alter, mach’ kein’ Scheiß, „dann steht ganz besonders hoch im Kurs: Nanotechnologie und Reanimation.“
Leck mich am Arsch!
Dat kann ja heiter werden.

Meine Damen und Herren!
Sie merken: Wir kommen zum Schluß:
„Manche Leserinnen und Leser erwarten jetzt viel­leicht, daß ich verrate, wie meine Frau und ich es mit der Sexualität hal­ten. Wir haben, als ich dies Buch schrieb, selbstverständ­lich auch darüber gesprochen. Wir sind der Meinung, daß dies aber für uns eine zu persönliche Angelegenheit ist, als daß wir darüber schreiben möchten. Meine Meinung über das Küssen will ich dennoch verraten.“
Äh, lieber nicht. Laß man stecken!
Alles Gute noch und viel Erfolg!

Apr. 2005