Man muß sie lieben. Und den Film auch.

„The Lady in the Van“ von Nicholas Hytner

von Renate Wagner

The Lady in the Van
(GB 2015)

Regie: Nicholas Hytner
Drehbuch: Alan Bennett nach seinem eigenen Theaterstück
Mit: Maggie Smith, Alex Jennings, Jim Broadbent, Frances de la Tour u.a.
 
Wie kommt es, daß eine „Sandlerin“ zur Königin werden kann – der Literatur, des Theaters, des Films, zuzüglich: der großen, großen Schauspielkunst? Vollbracht haben das Autor Alan Bennett, der die wahre Geschichte einer großen Dame erzählt hat, die in den siebziger Jahren mehr oder minder in Lumpen in einem halb kaputten Lieferwagen vor seinem Haus im Londoner Stadtteil Camden Town gelandet ist und sich eineinhalb Jahrzehnte lang in seiner Garageneinfahrt eingenistet hat. Es wurde eine Novelle, ein Theaterstück (schon damals, 1999, von Maggie Smith gespielt) und nun ein Film von unwiderstehlicher Strahlkraft. Nicholas Hytner hat ihn inszeniert, in Londons Theaterwelt ebenso zuhause wie in jener des Films (er hat schon Bennetts „The Madness of King George“ und „The History Boys“ auf die Leinwand geschickt), Meister jener trockenen „Britishness“, die nur von den „Originalen“ erreichbar ist.
Ungeachtet einiger Nebenfiguren, ist es eine Zwei- (bzw. Drei-) Personen-Geschichte. Da ist der Autor, der ohne Umschweife Alan Bennett genannt wird (er war es ja auch!) und der alleine und doch nicht alleine in seinem Haus lebt, denn er spricht mit sich selbst: Das Alter Ego, wie das Original auch gespielt von Alex Jennings, diskutiert die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, die alte Frau hier wohnen zu lassen. Denn es geschieht außerhalb jedes „rechtlichen“ Raums, wie ihn die heutige Gesellschaft nun einmal verlangt, wird aber doch möglich, weil alle in der Umgebung sich irgendwie um diese mürrische, angriffslustige und so unwiderstehlich persönlichkeitsstarke Lady kümmern… Man ist ja schließlich so liberal! Für Bennett ist es ein Prozeß der Annäherung, den der gespaltene Autor anfangs wider Willen unternimmt, bis die „Lady“ dann eines Tages die wichtigste Person in seinem Leben ist, stets präsent.
 
Ja, eine Lady in Lumpen und doch Lady, denn wie wir später erfahren, war sie einmal eine berühmte Pianistin (tatsächlich, im wahren Leben, Margaret Fairchild, anerkannt in der Musikwelt ihrer Zeit). Heruntergekommen nach einem Autounfall, den sie verursacht hat, und von dem einzigen Willen nach freier, selbstbestimmter Existenz getrieben, landet sie bei Bennett – der sie (tatsächlich ist sie 1998 gestorben) dann unsterblich machte.
Man langweilt sich bei dieser Geschichte nicht eine Sekunde lang, obwohl sie inhaltlich – mit Ausnahme einiger Rückblenden – so eng ist wie der Raum, in dem sie spielt: Die Vorstadtstraße, wo Bennetts Haus steht, das Äußere und Innere des Vans, wo die Lady lebt. Wie man aus den Presseinformationen erfährt, sind sie echt – genau dort, wo der Film gedreht wurde, hat sich die echte Geschichte zwischen Dichter und Lady abgespielt.
Jeder Kontakt mit ihr, wer auch immer ihn unternimmt, wird zur lebhaften Auseinandersetzung mit ihrer hinreißend streitbaren, unangepaßten Persönlichkeit – und Maggie Smith könnte nicht glorioser, weil einfach nicht selbstverständlicher sein. Es fehlen die Worte auszudrücken, wie sie das spielt – ein Mensch ohne Skrupel, sie selbst zu sein und ihren Platz zu behaupten, gegen jeden bürgerlichen und gesellschaftlichen Widerstand. Man muß sie lieben.
Und den Film auch. Die Briten sind, in ihrer besten Ausprägung, einfach ganz besondere Leute.
 
 
Renate Wagner