Klage nicht ...

von Gertrud Kolmar
Klage nicht . . .
 
Klage nicht, klage nicht,
Wenn dir ein Becher in Scherben bricht;
Hast ja noch alle die andern.
Und laß von der hölzernen Schale die Hand
Zum klirrenden Glase wandern.
Ist der goldne Pokal dir nicht bauchig genug,
So schmunzelt behaglich der irdene Krug;
Verspritzt auch der Wein,
Schenkʼ neuen dir ein!
Denn die Freuden sind Feuer, sind flammendes Licht:
Jeder Schlag, der es teilt,
Gleich ist er geheilt
Klage nicht!
 
Die schwarze Zither ergriff meine Hand;
Es horchte mein Ohr, wie sie sang und sprach.
Meine Finger gingen den Saiten nach,
Den silbernen Brücken, die hingespannt
Von der Welt unsres Gebens zum Märchenland
Und sieh! Eine Brücke brach.
Ein lustiges Lied durchs Herz mir scholl;
Ich rührte die Zither: Wie gell! Wie schrill!
Alle Saiten zitterten freudevoll;
Nur eine blieb still.
Ein ernster Gesang schritt langsam daher.
 
Ich harrtʼ auf sein Kommen: Welch rauhes Gebrumm!
Alle Saiten regten sich müdʼ und schwer,
Nur eine blieb stumm.
Wie tönte sonst Freude und Schmerz so schön!
Heutʼ war nur ein Mißlaut der heitere Sang,
Und das Lied der Schwermut war dumpfes Gedröhn:
Eine Saite zersprang.
 
Und wenn auch eine Brücke dir bricht,
Die hin dich führt zum Glücklichsein,
Zum Glücklichsein und zum Fröhlichsein,
So sind ja doch alle andern noch dein:
Klage nicht. . .
 
 
Gertrud Kolmar