Eine „Fledermaus“ von Gnaden

Eine Aufführung der Opernklasse der Düsseldorfer Robert-Schumann-Hochschule

von Peter Bilsing

Foto © Song Hangyul

Eine „Fledermaus“ von Gnaden
Eine Aufführung der Opernklasse der Düsseldorfer
Robert-Schumann-Hochschule
 
Musikalische Leitung: Thomas Gabrisch – Regie: Gregor Horres/Peter Nikolaus Kante - Bühne:  Elisabeth Pedross – Kostüme: Yvonne Forster – Video: Matthias Kulow – Licht: Volker Weinhart
Besetzung: Gabriel (Sebastian Seitz) - Rosalinde (Katharina Woesner) - Frank (Gereon Grundmann) - Orlowsky (Valerie Eickhoff/Christina Blaschke/Johanna Wehrhahn) - Alfred (Ibrahim Ye) - Falke (Justus Seeger) - Adele (Sophie Theodoridis) - Ida (Marie Theresia Greve) - Advokat (Raoul Düsterhus) - Frosch (Laura Zeiger)
 
Die Erfolgsgeschichte der Opernklasse der Düsseldorfer Robert-Schumann-Hochschule ist beachtlich. Immerhin zieren Opern-Raritäten wie Beggar‘s Opera (Britten, 1995), Der Revisor (Egk, 1997), La Cantatrice Villante (1998), Der Operndirektor (Cimarosa, 2001), Der Roman mit dem Kontrabaß (Baur, 2005) oder Viaggio a Reims (Rossini, 2009) ebenso die Vergangenheit wie klassisch alltägliches Repertoire à la Zauberflöte (2003), Figaros Hochzeit (2005), Così fan tutte (2012) oder Alcina (2015). Heuer war Die Fledermaus von Johann Strauss angesagt.
 
Die Fähigkeiten und Qualitäten angehender Künstler des Musiktheaters werden hier der Öffentlichkeit präsentiert. Diesmal hat Thomas Gabrisch, Leiter der Opernklasse, die berühmte Johann-Strauss-Operette aufs Programm gesetzt. Kein leichtes Unterfangen, denn als vielgereister Kritiker muß ich ehrlich zugeben, daß mir in den letzten Jahrzehnten eigentlich keine der zahlreichen Inszenierungen dieses immer noch als „Publikumsliebling“ gefeierten Werkes besonders gemundet hat. Vor gut einem halben Jahrhundert hatte Otto Schenk in Wien seine legendäre – damals wirklich lustige – Kult-Inszenierung herausgebracht, die zwar immer noch im Wiener Staatsopernmuseum läuft, aber nur das ganze Elend einer verschleppten, völlig verstaubten und – „unter den Talaren der Muff von tausend Jahren“ – überholten Opernsteinzeitproduktion offeriert; Schmierentheater für Touristen und ewig Gestrige. Das pure Grauen ...
Der Altersdurchschnitt von Besuchern des Werkes geht mittlerweile schon auf die 70 zu – nicht nur in Mörbisch ist Operette nur noch was für Grufties, Theater und Musik für Altenheimausflügler – so scheint es. Und egal, wo man sich das Werk anschaut, ist es meist am jüngeren Publikum vorbeiproduziert – eher Abschreckung schlimmster Provenienz. Ganz übel wird es, wenn sich „modern“ nennende Regisseure daran versuchen und die wunderbaren Texte auf Neuzeitniveau transponieren, oder das Ganze im Comedy-Jargon des RTL-Unterhaltungs-Trashs der heruntergelassenen Hose zu aktualisieren; unterste Schublade à la Karneval und Komödiantenstadel geht bei dem Straussschen Meisterwerk meist in die selbige.


Foto © Song Hangyul
 
Daß es auch anders, nämlich witzig, spritzig, amüsant, charmant, werktreu und voller lockerer Lebensfreude geht, zeigt die diesjährige Schumann-Hochschul-Truppe unter den Musiktheater-Regisseuren Gregor Horres und Peter Nikolaus Kante, wobei der rührige Kante wohl die meiste Arbeit und die kreativsten Einfälle zur Produktion beigesteuert hat.
Fassen wir es gleich zusammen: Eine wirklich herrliche Fledermaus ist entstanden, der man auch als alter saturierter Kritiker von der ersten bis zur praktisch ungekürzten letzten Minute mit frohlockendem Herzen folgen kann – ein Jungbrunnen geradezu. Theaterschlaf stellt sich nicht ein. Besonderer Dank an die Regie, daß man dem Frosch keine Möglichkeit zur nervig kalauernden Klamotte gab – die einzige Kürzung, die bei diesem Werk wirklich Sinn macht.
Und wie schön ist es, endlich mal nicht in bräsig gelangweilte Beamtenmusiker-Gesichter zu schauen (wo man bei jedem zweiten jener Profis irgendwie immer das Gefühl hat, er warte nur auf eine längere Spielpause, damit man mal kurz eine rauchen gehen kann ...). Schön, endlich einmal keine Graben-Dudler zu erleben, sondern gutgelaunte und dennoch konzentriert aufspielende Musiker, die diese champagnerperlende Musik auch selber zu genießen scheinen und mit Spaß am Musizieren auch optisch freudvoll zu Werke gehen.
 
Spaß und Lockerheit, die ich auch bei allen Mitwirkenden beobachten konnte (man vergebe mir, daß ich bei einem so tollen Team auf Einzelkritiken verzichte), die auf das Publikum überschlug, ja, es geradezu infiziert. Ich gebe zu, daß ich mich mit dem gesamten Auditorium unisono im siebten Fledermaus-Himmel befand. Ein Erlebnis, das ich mir als finsterbäckiger Opernkritiker eigentlich in diesem Leben mit diesem Werk nicht mehr hätte vorstellen können.  Leute, Ihr wart phantastisch! Bravi tutti – dacapo!
Grandios gelingt es auch, eine moderne Diskoversion des einstigen Raffaella-Carra-Samba-Hits A far l'amore comincia tu, von dem es nebenbei bemerkt auch eine ganz üble deutsche Version gab, in das Werk stilvoll einzubauen, ohne daß Strauss hier Schaden nimmt. Ein herrlicher, wirklich köstlicher, sehr gelungener Spaß!
Natürlich darf in einer fröhlichen, zeitgemäßen Interpretation weder der Rosarote Panther (Frosch à la Inspektor Clouseau), noch der klassische Batman – der sich mit Eisenstein ein treffliches, perfekt einstudiertes Schlagstock-Duell exakt zu den Takten der Fledermaus-Polka (Opus 324) liefert – fehlen.
Die Bühne ist so einfach wie genial von Elisabeth Pedross gestaltet; sie besteht aus sagenhaften elf Türen in Reihe mit einem Laufsteg davor, die durch einfaches Öffnen und Offenstehenlassen Sichtblenden liefern, Räume verkürzen oder sichtbar machen und jede noch so kleine Szene witzig präsentieren.


Foto © Song Hangyul
 
Auch könnte den Mega-Gag dieser Produktion (Eisenstein, der Brille und des Toupets beraubt, tappst als personifizierter Maulwurf herum und befingert alles, was irgendwie nach Haar oder Fell aussieht) – ein Blake Edwards hätte das nicht besser inszenieren können. Ich muß ehrlich zugeben, daß ich Tränen gelacht habe. 
Überragend auch die Szene, in der der Gefängnisdirektor (noch benommen vom Alkoholkater) durchs Publikum wankt – „Nanu, was macht ihr denn hier?“ – dem Dirigenten den Stab abnimmt und versucht, sein Lieblingswerk Die Zauberflöte zu dirigieren, die aber dann langsam wieder zur Straussschen Fledermaus umkippt. Gerard Hoffnung läßt grüßen!
Überhaupt ist der Humor mit gelungenem Slapstick und den charmanten original Libretto-Texten von Karl Haffner und Richard Genée als durchaus filmreif zu bezeichnen (Anmerkung: Hallo, liebe heutigen Musiktheater-Regisseure! Diese Texte sind nicht veraltet. Die sind immer noch ganz zauberhaft, wenn das Ambiente stimmt!), wobei auch die Kostüme von Yvonne Forster mit einfachen Mitteln stilvolle Alltags-Couture ins heitere Spiel bringen.
 
Zwar hatte Dietrich Hilsdorf in seinen besten Jahren – vor gut einem Viertel Jahrhundert – schon einmal die kluge Idee, in Gelsenkirchen im Musiktheater im Revier seine Fledermaus in einem Schwimmbad spielen zu lassen, um viel Haut zeigen zu dürfen. Aber hier sieht es doch mehr nach einem privaten Sauna-Club aus, was die Mitwirkenden in ihren weißen Bademänteln zu manch süffisantem Tête-à-Tête und viel Offenherzigkeit anregt ... Eine Augenweide!
 
Unsere Freunde vom Opernnetz vergaben fast maximale „Points of Honour“ – wir vergeben dafür den OPERNFREUND-STERN, unsere besondere und begehrte Positivwürdigung, die ein Werk als vorbildlich auf allen Ebenen auszeichnet.
 
Peter Bilsing / 29.4.2016
© Mit besonderem Dank an Song Hangyul für die schönen Bilder der Aufführung
 
P.S.1
Ein letzter, wahrscheinlich einsamer und unerfüllbarer Wunsch des Strauss-Fans ist, daß sich vielleicht in naher Zukunft ein Sponsor findet, der es ermöglicht, einer solch wunderbaren Produktion ein Weiterleben als Konserve in Form einer DVD-Produktion zu ermöglichen. Daß das alles jetzt spurlos in der Versenkung des Never-Come-back verschwindet, stimmt mich dann doch am Ende traurig.
P.S.2
DER OPERNFREUND empfiehlt auch die Kritik vom Opernnetz - sowie den Audiobeitrag, der während der Probenphase entstand.


Eine Übername aus dem Opernmagazin "Der Opernfreund"