Stau

von Erwin Grosche

Foto © Harald Morsch
Stau
 
Wenn wir im Radio den Staubericht hören und wie durch einen Zufall nicht das Schicksal der Gestoppten und Gehörnten teilen müssen, sollten wir trotzdem Mitgefühl zeigen. Vielleicht erlaubt es unsere Zeit, kurz zu stoppen, vielleicht hinter einer ARAL-Tankstelle, kurz zu rasten, vielleicht in einer Nothaltebucht, und kurz inne zu halten in einer Autobahnkirche, um still an die zu denken, die nun im Stau stehen müssen, um den alten Affen Langeweile zu füttern, indem sie ihr Handschuhfach aufräumen oder verzweifelt ihre Nasenhaare rupfen oder ihr überholtes Airbagsystem ausprobieren. Üben wir Solidarität mit denen, die gestoppt worden sind auf ihrer Fahrt zu höheren Zielen, auf ihrer Reise zu dem Herzspezialisten ihrer Wahl, auf ihrer Good-Will-Tour zu den Haushalten ohne Staubsauger, auf ihrer Fahrt zu einem Blow Job mit einem FDP-Politiker in einem drittklassigen Hotel in Wanne-Eickel. Bleiben wir stehen, winken wir der Blechschlange zu und rufen: „Schwester, Bruder, Autofahrer, haltet durch! Hier sind Menschen, die an euch denken, Mitgefühl zeigen und selbst kurz inne halten. Ihr seid nicht allein!“ Um uns dann wieder einzureihen, fortzurasen und unser Schicksal anzunehmen, das uns direkt in unseren Stau führen kann, und das ohne Klagen und Murren. Seien wir für den Stillstand bereit. Alle Räder stehen still, wenn ein linker Fuß es will. Und im Grunde können wir das, was getan werden muß, überall tun.
 
 

 © Erwin Grosche