Vertrauen

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Vertrauen
 
Vertrauen ist radikal und voraussetzungslos. Das richtige Vertrauen ist etwas, das ich leiste, ohne nach Beweisen zu fragen und ist damit das höchste Risiko, das ich eingehen kann. Das macht Angst. Angst macht kleinlich, mißtrauisch, aggressiv. Aber Angst ist nur eine Warnlampe, die mir sagt: „Vorsicht, jetzt wird es riskant“, mehr nicht. Wenn ich tue, wovor ich Angst habe, ist sie plötzlich weg. Jeder von uns kennt das.
Vertrauen, ich meine das wirkliche, radikale, ist wie die Geschichte von Roland Topor. Ein polnischer Schriftsteller und Zeichner, der in Paris lebte. Sein Vater floh 1942 vor den Nazis nach Bordeaux. Dort wurde er im Sommer 1943 von der SS aufgegriffen und zusammen mit seinem zwei- oder dreijährigen Sohn in den üblichen Viehtransportzug nach Theresienstadt gesteckt. Natürlich wußte jeder der Juden, die in diesem Zug zusammengepfercht waren, wohin die Reise geht. Der Zug fährt los und irgendwo mitten in Frankreich hält er auf offener Strecke an. Ein französischer Personenzug kommt ihnen entgegen und hält ebenfalls auf dem gegenüberliegenden Gleis. Durch den Türschlitz sieht der Vater im anderen Zug einen Mann, der ihn anschaut. Er winkt ihm, der öffnet das Fenster, und der Vater wirft den kleinen Roland diesem ihm wildfremden Menschen durch die Luft einfach zu.
Wer dieses Vertrauen hat, bringt keine Juden um und hat keinen Ausländerhaß. Wer dieses Vertrauen hat, kann verzeihen und sich versöhnen. Wer dieses Vertrauen hat, ist Mensch und kann sich dann auch - aber erst dann - frei dafür entscheiden, Vertrauen zu Gott zu haben. Und ist es dann noch wichtig, ob einer katholisch, evangelisch, Buddhist oder Mohammedaner ist? Ich glaube nicht.
 

Konrad Beikircher