Bestsellerfressen

„Die Neckermanns“ von Thomas Veszelits

von Wolfgang Nitschke

Wolfgang Nitschke - © Manfred Linke / laif
Du bist Neckermann!
 
„Die Neckermanns“
von Thomas Veszelits
 
„Zum ersten Mal habe ich den Namen Neckermann im Alter von 15 Jahren gehört. Damals lebten wir noch hinter dem Eisernen Vorhang. Ich kann mich noch gut an das Gesicht meiner Mutter erinnern, als sie eines Tages mit einem dicken, bunten Heft nach Hause kam. Es war die Neckermann-Illustrierte.“
So beginnt die abenteuerliche Neckermann-Geschichte vom gelernten Ossi Thomas Veszelits. Weiter schreibt er, daß er dann als Student 1968 wegen Neckermann rübergemacht hat und am selben Tage noch in München bei Karstadt Plakatemaler wurde. Dem logistischen Gang der Dinge als freier Journalist für die „Münchner Abendzei­tung, Bunte, Welt am Sonntag, Quick, Playboy und GQ“ stand somit nichts mehr im Wege.
„Später, als ich Journalist für die Münchner Abend­zeitung war, hatte ich Gelegenheit, Josef Neckermann persönlich kennen zu lernen. Ich hatte ihn schon öfter bei Sportfesten, Vernissagen und sogar bei einer Playboy-Party in München gesehen. Auf dem ‚Ball des Sports’ in der Rheingoldhalle in Mainz 1981 sprach ich ihn spontan an. Die ganze bundes­deutsche Promi­nenz aus Industrie und Unterhaltung war da, man hät­te das ‚Who’s who der Millionäre’ erstellen können. Neckermann kannte jeden persönlich. Wenn er rief, kamen sie alle.“ Und mittenmang unser abgehauener Stiel­augen-Zoni und enfant perdu Thommy Veszelits! „Man mußte auch nicht lange fragen, wo ist Herr Neckermann? Aus dem Trubel ragte ein asketi­scher Kopf wie ein Leuchtturm hervor. Er flirtete gern, ver­strahlte Charme in Überdosis und schwang das Bein als Dauertänzer, wenn Orgelvirtuose Franz Lambert den Takt vorgab. Von Walzer bis Rumba beherrschte er alles. Sein Hüftschwung erinnerte beinahe an Elvis Presley.“ Ein Satz noch: „So wie es damals üblich war, wollte er als Unterneh­mer Gutes tun.“

Liebe Leser!

Auch wenn Sie es für Flunkerei, leichten Schwindel oder maßlose Über­treibung halten – so ’ne klassische Scheiße lese ich für mein Leben gern. Beruflich, natürlich. Krankheit quasi als Betriebsbedingung. Egal und wie auch immer: Allein schon vom „Prolog“ bereits verschärft adrenalisiert, wühlte ich mich guter Dinge durch die neckische Necker­mann-Kladde und freute mich nun auf weitere volle 436 Seiten prallsten Unterhaltungs­industriedreck vom Feinsten.
Zunächst ging’s auch hurtig los mit Hüftschwung und guten Unternehmer­taten im harten Trab entlang der Zeitenläufte, also Bismarck, Kaiser, WK I und Weimar (schon der Papa, der erzkatholische Kohlengroßhansel und Pferdefritze Neckermann senior war ein Hansdampf in allen Gräben) – bis dann Seite 68 der Adi an die Türe pochte und die Welt ver­dunkelte, aber im Deutschen Reich eine Lichtgestalt erschien mit Namen „Necko“, „Josef ‚Necko’ Neckermann“.
Nun ist man ja von Verdunklungs-Biographien über diese einschlägigen Vögel aus Politik, Wirtschaft und Kultur so einiges an Verdunklung ge­wohnt. Oftmals heißt’s da nur: Ab ’33 wurde es dunkel, später noch dunkler, dann stock­dunkel; dann kam auch schon der Krieg & allgemei­ner Verdunklungszwang, und wer nicht verdunkelte, wurde erschos­sen, und ab Mai ’45 ... wurd’s dann allmählich wieder hell.
In „Die Neckermanns – Licht und Schatten einer deutschen Unternehmerfamilie“ ist’s ein wenig anders. Nicht, daß der Bunte-Journalist Thomas Veszelits dem Necko und seinem nazideutschen Neckermannvolk eine rein­semmeln will! Das kommt mehr unfreiwillig, ungewollt, so en passant, z. B. so:
„Er begann keinen Tag ohne Zeitungslektüre. Die In­forma­tionen aus den Massenblättern, zu dieser Zeit der Völkischer Beobachter, später Bild, betrachtete er als eine Art Marketing­studium. Hier konnte er so den Puls der Zeit herausspüren und die Interessen der brei­ten Schichten erahnen.“
Über 160 Seiten ist allein die Nazi-Nummer lang. Und von Satz zu Satz wird man baffer und baffer. Drei Beispiele:
Weil er sich im elterlichen Kohlenhandel seine feinglie­drigen Pferdepfoten nicht schmutzig machen wollte, riß er sich als erster Würzburger Groß­arisierer das Kaufhaus Ruschkewitz untern Nagel. „Wir waren nicht antisemi­tisch. Immerhin waren unser früherer Hausarzt und der Anwalt der Familie jüdischer Herkunft.“ Ja, nee, is klar. Aber warum mußte ausgerechnet der Necko so dolle arisieren? „Es war ein guter Fischzug. Es kann eben nur einer Sieger sein. Und ich war schneller. Und Künstlerpech für die anderen.“ Und von dem Künstlerpech der Arisierten woll'n wir erst gar nich … is ja auch egal.
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Künstlerpech nicht nur für die andern Arisierer. Später auch für all die arischen Soldaten, denn der Necko war uk, und zwar in diesem Fall tatsächlich unabkömmlich! Weil er nämlich „die Nummer Eins im Reich war“ für die Bestückung der Wehrmacht, SA, SS etc. mit ganz feinen Mörderklamotten, mit schicken Stöffchen, die von Necker­manns zarten Zwangsarbeiterinnenhändchen im Ghetto Bialystok bis zur Ver­gasung zusammengefädelt wurden.
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Necko war überall. Bei den Speers ging Necko ein und aus. Selbst in der Wolfs­schanze. Schon damals kamen alle Teufel, wenn er rief. Er kannte jeden. Nur in ihre Herzen zu schauen, war ihm nicht vergönnt. Als sein Freund und langjähriger Förderer Otto Ohlendorf, SS-Einsatzgruppen­führer & Sonderbehandler von 90 000 Juden, in Landsberg ’51 aufgehängt wurde, so schreibt Thomas Veszelits, „seufzte Neckermann nur: ‚Man kann keinem Menschen ins Herz sehen.’“
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Liebe Leser, ich will Sie nicht mit ollen Kamellen nerven. Aber eine muß noch:
In Nürnberg gab’s bis 1938 noch das Kaufhaus von Herrn Joel. Nach ’45 wollte der dann wenigstens die lächerliche ‚Abfindungssumme’ ausge­zahlt bekommen, um die ihn der Necko damals auch noch beschissen hatte. Und oh Wunder von 1959! Nach 13 Prozeßjahren mußte „der Ankleider der Nation“ dann doch dem gierigen Juden die paar Möp­se zurückgeben. Necko, ein typisches Opfer jüdischer Weltverschwörung! Und in seinen „Erinnerungen“ aus dem Jahre 1990 sinniert der gute Mensch von Würzburg: „... und bitte mitzulesen, daß sich diese Angelegenheit über einen Zeitraum von mehreren Jahren hinzog und daß sie meine Familie, die Neckermann-Versand KG und mich persönlich in einer Weise belastete und be­drängte, die näher zu schildern ich mir ersparen möchte.“
Was er sich jedoch nicht ersparen konnte, war ein weite­rer unangeneh­mer Kontakt mit der deutschen Dunkelzeit; diesmal mit seinem Geistes­genossen und nur etwas höher­karätigen Kriegsverbrecher Friedrich Flick (drei Jahre Landsberg), der ihm seiner antiquierten Familienklitsche als findiger Finanzjongleur langsam den Hahn abdrehte, so daß ihm am Ende nur noch die Pferdequälerei blieb.

Necko war keiner von den richtig großen bösen Onkels. Er war nur so’n kleiner. Ein kleiner unter Hunderttausenden. Einer von den ganz normalen kleinen widerlichen Groß­kotzbrocken. Nur interessiert das heute keine Sau mehr. Und deshalb hatte unser nette Bunte-Journalist Thomas Ves­zelits auch wohl mit der Wahrheit kein Problem.
Und ich, liebe Leser, auch keines damit, aus dem letzten Kapitel „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“ noch ’ne schöne kulturindustrielle Passage hinterher zu zitieren:
„Es gab fast unentwegt etwas zu feiern. ‚Mit 75 Jah­ren, da fängt das Leben an’ – sang 1987 die Elite der deutschen Olympiasportler auf der ‚Schallplatte für Necko’. Der so be­rühmte Hit von Udo Jürgens wurde von Franz Lambert zum Geburtstagsständchen umarran­giert. Der stürmische Orgel­spieler gehörte inzwischen längst zu den musikalischen Standardbegleitern der Neckermanns. Get up and boogie. Wenn der flotte Tas­tenfranz sich heute an die vielen Sport­bälle erinnert, bei denen er immer im Foyer zur Begrüßung der Gäste aufspielte, bekommt er glänzende Augen: ‚Josef Neckermann brachte mir alle zur Orgel. Die Präsidenten Lübke, Heinemann, Carstens, Scheel, von Weizsäcker und die Bundeskanzler Brandt, Schmidt und Kohl ...’ Eine derart hoch­karätige Gästeliste hat es nach ‚Ne­ckos’ Ära in der deutschen Benefizgeschichte nie mehr gegeben.“
Get up and boogie! Und tanz den Josef Necko!
Und gute Nacht.

Nachtrag:
An dieser Stelle möchte ich auch einmal „Danke“ sagen. Danke, Herr Veszelits, danke, danke!
Ich kannte den Necko ja nur aus diesem Katalog. Und früher aus dem Fernsehen, wenn er mir sonntags vor „Bonanza“ als gelackter Pferde-Pinkel mit seiner Arschdressur so was von auf die Nüsse ging ... und damals konnt’ man das ja noch nich’ wegzappen ... hab’ ich immer gedacht: Hoffentlich kommen gleich Little Joe, Hoss und Adam vorbei und reiten den untern Rasen. Oder in die Ewigen Jagdgründe. Hey! Ich wußte ja gar nicht, welch feinsinniger, großgermanischer, bigotter Drecksack da die Pferde verhunzte!
Ha! Und dabei wollten Sie nur Ihre Hüftschwung-Anek­doten und Franz Lambert-Geschichten los werden, ne? Oder ... oder wollten Sie mit dem Franz Lambert nur die Leser locken, um denen subtil die Nazi-Necko-Nummer ...
Bei Manitu! Sie sind mir aber auch ein Schlingel!

Jan. 2006