Kindesmißbrauch durch katholische Priester - und die Vertuschung durch Kirchenobere

„Spotlight“ von Thomas McCarthy

von Renate Wagner

Spotlight
(USA 2015)

Drehbuch und Regie: Thomas McCarthy
Mit: Michael Keaton, Rachel McAdams, Mark Ruffalo, Liev Schreiber, Stanley Tucci u.a.
 
Das amerikanische Kino bespiegelt im Moment gerne die Nation, um ihr zu bestätigen, wie gut sie letztendlich ist. Schließlich durfte Will Smith als Dr. Bennet Omalu die unerwünschte, aber erschütternde Wahrheit” sagen, daß Football-Spieler Gefahr laufen, dement zu enden, und damit eine Millionen-Industrie ins Wanken bringen. Nicht minder dramatisch ein anderer Fall, der nun auf der Leinwand gelandet ist: Zu Anfang des Jahrtausends hat die Crew des „Boston Globe“ gegen alle nur möglichen Widerstände den Mißbrauch vieler Kinder durch katholische Priester aufgedeckt, nachdem diese Dinge jahrzehntelang unter den Teppich gekehrt worden waren. Man erinnert sich an die erdrutschartigen Folgen dieser Erkenntnisse, die der katholischen Kirche schweren Schaden zugefügt haben – womit der derzeitige Papst allerdings mit einer bisher ungewohnten Offenheit und Strenge umgeht.

Boston, wo man sehr katholisch ist: Als der neue Chef des „Boston Globe“, Marty Baron (Liev Schreiber), meint, ein Hinweis auf Mißbrauch durch einen katholischen Priester sei einer Recherche wert, stößt er auf einigen Widerstand (nicht nur in den eigenen Reihen angesichts der vielen katholischen Abonnenten…) – und hinter seinem Rücken wird festgehalten, daß er schließlich Jude sei, offenbar negative persönliche Interessen hätte. Diskriminierung ist eine immer hervorgeholte Keule im Kampf der Interessen.
 
Aber das „Spotlight“-Team des „Globe“, investigative Journalisten, die nicht von Tag zu Tag, sondern auf längere Sicht arbeiten dürfen, ist nicht mehr zu halten, sobald man grünes Licht hat (denn, wie sich herausstellt, hat man in der Redaktion früheren Hinweisen auf das Thema kaum Aufmerksamkeit geschenkt!): Michael Keaton, Rachel McAdams, Mark Ruffalo und Brian D’Arcy James bilden ein (darstellerisch wahrlich hochrangiges) Team, das nun konsequent einen Schritt nach dem anderen tut. Was nicht einfach ist angesichts der Mauer des Schweigens, die sich zuerst auftut. Aber nach und nach bröckeln die starren Fronten…
Stanley Tucci gibt einen (armenischen!) Anwalt, der viele Fälle kennt, aber nur schwer zur Mitarbeit zu gewinnen ist. Dann reden einzelne, und das sind die erschütterndsten Szenen. Erwachsene, die sich an ihre Jugenderlebnisse erinnern, was es bedeutete, vom Priester „auserwählt“ worden zu sein. Es ist so peinlich wie beklemmend, sich detailliert anzuhören, was damals geschah – und grotesk, wenn ein alter Priester in aller schlichten Dummheit sein einstiges Vergnügen an diesen Praktiken kundtut.
 
Dabei geht es letztendlich nicht nur um den vielfachen Kindesmißbrauch, sondern auch um die nach und nach unleugbare Tatsache, daß die Kirchenoberen stets von diesen Dingen wußten (knapp 100 Schuldige in Boston allein!!!) und nie an Aufdeckung, immer nur an Vertuschung beteiligt waren (und das, wie auch wir wissen, nicht nur in den USA). So stoppelt sich ein Film zusammen, in dem Drehbuchautor / Regisseur Thomas McCarthy mit seinen brillanten Darstellern (die alle auch etwas von persönlicher Beteiligung ihrer Figuren am Thema einbringen) nichts anderes erzählt als die Geschichte einer groß angelegten Zeitungsrecherche, die vor allem auf Gesprächen beruht – und spannender ist als mancher vordergründige Thriller.
 
Nichts ist aufregender als die Wirklichkeit? Der „Boston Globe“ bekam 2003 für seine Aufdeckung den Pulitzer-Preis. Und die katholische Kirche mußte in aller Welt sexuelle Verfehlungen eingestehen.
Am Ende macht der Film klar, daß wir im digitalen Zeitalter Gefahr laufen, etwas für die Demokratie unendlich Wichtiges zu verlieren: den aufrechten Zeitungsjournalismus, dem es ausnahmsweise um die Wahrheit geht und nichts als die Wahrheit, ohne Angst vor Druck, ohne Rücksicht auf Mächtige, ohne die so weit verbreitete Bestechlichkeit.
 
 
Renate Wagner