Familienfest
(Deutschland 2015)
Regie: Lars Kraume
Mit: Günther Maria Halmer, Hannelore Elsner, Michaela May, Lars Eidinger, Barnaby Metschurat, Marc Hosemann, Jördis Triebel, Nele Mueller-Stöfen u.a.
Man weiß es ja, teilweise auch aus eigener Erfahrung. Familienfeste können sehr nett sein (wenn die Beteiligten liebe Menschen sind und man Glück hat), aber sie können natürlich auch sehr schief gehen. Für das Kino eignet sich ein Zwangfest zum 70er eines „Patriarchen“ natürlich zur Horrorstory. Und so überzeugend Regisseur Lars Kraume (der nach vielen „Tatorten“ mit „Der Staat gegen Fritz Bauer“ zuletzt ein starkes Kinothema gefunden hat) auch die absolut im Leben üblichen Friktionen und Verhaltensweisen bei Familientreffen aufwirbelt, so stecken doch in dem Drehbuch mehr Klischees, als man gerne sieht – bis zum triefend sentimentalen Ende.
Denn Papa Patriarch, ein offenbar weltberühmter Pianist, ist ein rücksichtsloser Egomane („zu alt und zu reich“, um sich gut zu benehmen oder Rücksicht zu nehmen, wie er selbst sagt), die zweite Frau einer jener rührenden Gutmenschen, die sich alles gefallen lassen und auf keinerlei Schläge reagieren, sondern immer erneut um Harmonie bemüht sind. Die erste Frau ist Säuferin mit ihrerseits gnadenlos spitzer Zunge, der älteste Sohn aufsässig und todkrank, der mittlere Sohne ein Loser, der alles in den Sand setzt und dauernd nur Schulden macht und alle Welt um Geld anschnorrt, der jüngste Sohn ein Homosexueller, der seinen Freund mitbringt, aber nicht den wahren Mut hat, gegen dessen Verächtlichmachung durch den Vater auf den Tisch hauen. Ein wahrer Zoo der klischierten Typen…
Kurz, alles da, was man eigentlich in billigen Romanen findet, und so kommen sie zusammen in der Luxusvilla (im Grunewald?), wo Papa, umwieselt von zweiter Gattin, sonst alleine haust, aber Platz genug ist für alle. Im Garten wachsen drei Bäumchen, jeder einst für einen Sohn gesetzt (man darf sie sich auch später auf rührenden Fotos ansehen), und wenn ein Baum als Zeichen der Wut umgesägt wird – na, je nach Temperament zeigt sich, wie die Betreffenden reagieren. Daß man irgendwann Papas berühmte Sammlung großartiger Musiker-Autographen zerstört… das fiele wohl in die Kategorie „Unverzeihlichkeit“, aber darüber geht das Drehbuch seltsam locker hinweg.
Klar wird jedermanns Egoismus. Papa (Günther Maria Halmer mit seinem vertrockneten Gesicht und der starken, schroffen Ausstrahlung) freut sich gar nicht auf das Fest und auf die Söhne (und irgendwie kann man es ihm nachfühlen). Schließlich bringt es außerdem die lästige erste Gattin (in einem Nebensatz erfährt man, daß sie wohl erfolgreiche Kitschromane schreibt – war sie an diesem Drehbuch beteiligt?), die permanent ohne ein Glas Wein oder auch Schärferes nicht durchs Leben kommt (Hannelore Elsner dreht gewaltig auf). Dagegen ist Anne (Michaela May, glaubhaft bis in die Fingerspitzen) einer jener lieben Menschen, die man halb umarmen möchte, halb nicht aushält, weil so gut darf man ja wohl nicht sein.
Die Gefährten der Söhne, die Papa durch die Bank enttäuscht haben (obwohl er sie immerhin zwingen kann, mit ihm Kammermusik zu machen… ein bißchen mit Musik gequält hat er sie schon), bieten für den Musiker auch nicht viel. Und das, was am ersten Abend als Luxusmahl gepriesen wird – entschuldigen schon, dem kulinarisch etwas verwöhnteren Kinobesucher kommt das eher mickrig vor…
Man lernt die drei Söhne kennen, zuerst den Ältesten, Journalist, wie man später erfährt, krank, ja todkrank (und mit dem rührenden Wunsch, zuhause zu sterben), der im Krankenhaus eine Krankenschwester abschleppt: Daß sich diese Jenny (Jördis Triebel) wirklich darauf einläßt, mit einem völlig Unbekannten zu dessen Familienfest zu eilen und dort seine Freundin zu spielen – so ganz glaubhaft wird es nicht, aber als Handlungsstrang funktioniert es. Dieser Max (der immer schillernde, nie ganz sympathisch wirkende Lars Eidinger) zählt zu jenen anstrengenden Menschen, die aller Welt Vorwürfe machen.
Mit der Selbsterkenntnis haben es die Söhne überhaupt nicht: Gregor (Marc Hosemann) kapiert auch nicht, daß es absolut selbst verschuldet ist, wenn er jede seiner Unternehmungen in den Sand setzt – nicht lernfähig, und Freundin Charlie (Nele Mueller-Stöfen), von der man auch nicht recht begreift, warum sie bei der Stange bleibt, kann ihn zu keiner Einsicht bringen.
Ja und Frederik, der brave Softie (herrlich echt als einer dieser „neuen Männer“, die nichts mit den alten gemeinsam haben: Barnaby Metschurat)? Der ist mit seinem ähnlich gestrickten Vincent (Daniel Krauss, bezaubernd schüchtern als der Mann, der nie anecken und provozieren will) sehr glücklich, möchte sogar ein Kind adoptieren – was Papas Unverständnis über die neue Zeit auf die Spitze treibt.
Vieles davon wird in psychologischer und verbaler Schärfe auch ausgespielt, aber das Drehbuch (Andrea Stoll / Martin Rauhaus) kommt nicht umhin, gegen Ende zu mehr und mehr der billigen Fernseh-Dramaturgie zu entsprechen: Die Todeskrankheit des ältesten Sohnes bricht aus, wie heute üblich wird er von der Familie begleitet, und die tränenreichen Erkenntnisse folgen zwanghaft. Am Ende soll man nur noch weinen.
Und der Film an sich hat nicht mehr gebracht als wieder einmal die an sich so erfreuliche Erkenntnis. daß Deutschland Schauspieler hat, die international mit allen europäischen und amerikanischen in der höchsten Liga mitspielen – das zeigt sich auch hier.
Renate Wagner 30.12.15
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