Ein starkes Stück Kino

„Suffragette – Taten statt Worte“ von Sarah Gavron

von Renate Wagner

Suffragette – Taten statt Worte
(GB 2015) 

Regie: Sarah Gavron
Mit: Carey Mulligan, Helena Bonham Carter, Meryl Streep, Ben Whishaw, Brendan Gleeson u.a.
 
Das Problem ist bis heute nicht ausgestanden, man erinnere sich nur, mit wie viel Häme, Gehässigkeit und bösem Willen der Begriff „Emanze“ aufgeladen wird, wenn man an eine Persönlichkeit wie Alice Schwarzer denkt – die nichts tut, als für ihre Geschlechtsgenossinnen beharrlich Rechte einzufordern, die noch immer nicht gänzlich erkämpft sind. Aber heute sind Frauen auf einem guten, erfolgversprechenden Weg – die so verspotteten „Suffragetten“ von einst waren es nicht. Und doch ist es ihr Kampf, von dem die heutigen Frauen profitieren – ihre Leistungen und die damit verbundenen Leiden, die Regisseurin Sarah Gavron (unterstützt von Drehbuchautorin Abi Morgan, die schon den Thatcher-Film “Die eiserne Lady” schrieb) in den Mittelpunkt ihres Filmes stellt.
 
Denn einst waren Frauen, die sich gegen die bedingungslose Männerherrschaft auflehnten, eine echte Bedrohung der herrschenden Gesellschaft und wurden mit der entsprechenden Brutalität, die man „Staatsfeinden“ entgegenbringt, verfolgt. Und all das ist nur etwas mehr als hundert Jahre her – London um 1910 war eine Kampfzone.
Bekanntlich erzählen sich auch große historische Zusammenhänge immer am besten an Einzelschicksalen. Die Frauen, die hier vorgestellt werden, sind mit einer Ausnahme nicht historisch – einmal betritt die amerikanische Frauenrechtlerin Emmeline Pankhurst die Londoner Szene, ein kurzer Auftritt nur, aber Meryl Streep verleiht ihr das Gesicht und sichert ihr damit die ungeteilte Aufmerksamkeit. Wobei Mrs. Pankhurst wenig mehr tun konnte, als die Londoner Arbeiterinnen zu einem Kampf zu ermutigen, den diese nicht nur austragen, sondern auch in den grausamen Folgen ertragen mußten.
Die zentrale Figur ist Maud, die in einer riesigen Londoner Wäscherei von früh bis spät im Akkord für geringen Lohn bügelt und sich noch die verächtlichen Anzüglichkeiten ihres Arbeitgebers gefallen lassen muß – bis sie ihm einmal, ihr Gerechtigkeitsgefühl ist sehr ausgeprägt, das Bügeleisen auf die Hand fallen läßt. Um ihren Job geht es ihr ohnedies nicht mehr: Rund um die Ärztin Edith Ellyn schließt sie sich jenen Frauen der Arbeiterklasse an, die ihre gänzlich rechtlose Existenz nicht mehr akzeptieren wollen: Das betrifft nicht nur das fehlende Wahlrecht, sondern auch die Macht, die Ehemänner über sie und ihre Kinder ausüben, und die Rechtlosigkeit in der Arbeitswelt, wo die Brutalo-Ausbeutung eines gnadenlosen kapitalistischen Systems herrschte, an dem die Reichen und Mächtigen mit aller Selbstverständlichkeit festhielten.
 
Nach und nach wurde die Tonart härter, die Frauen griffen zu „Gewalt“, unter Ausklammerung menschlicher Schäden, aber sie konnten mit angezündeten Briefkästen oder Bomben gegen Villen die Behörden ausreichend provozieren, um im Gefängnis zu landen. Maud erlebt alles mit, nicht zuletzt, wie der eigene Gatte sich von ihr abwendet, weil sie Schande über ihn und seine Existenz bringt, und wie er ihr den Sohn vorenthält. Körperliche Gewalt, wenn Polizisten prügelnd auf Demonstrantinnen losgingen, auch (etwa mit Zwangernährung) im Gefängnis, und die fassungslose Wut der Männer, die das alles gar nicht fassen konnten und die diese nur scheinbar schwachen, aber grenzenlos entschlossenen Frauen nicht zu brechen vermochten, weil sie entschlossen waren, den Kampf durchzustehen.
Regisseurin Sarah Gavron stammt aus dem englischen Adel und nimmt mit aller Energie die Seite der kämpfenden Unterprivilegierten ein. Dennoch wird es ihr nicht leicht, nicht ins Genre des dann doch eine Spur triefenden, auf Mitleid ausgerichteten Frauenfilms zu geraten, aber die Dinge werden letztlich so hart angepackt, daß kein Platz für Geseufze bleibt, wenn auch die Mutter, die vom eigenen Mann hart abgewiesen wird, wenn sie den Sohn sehen möchte (und das arme Kind traurige Augen macht), manchmal an der Kippe balanciert.
Dennoch, es ist ein Film, der den Frauen und ihrem bitteren, aufopferungsvollen Kampf (an den man sich viel zu wenig erinnert!) gerecht wird. Nicht zuletzt dank der Darstellerinnen. Carey Mulliganhat die Süßlichkeit ihrer frühen Jahre abgelegt, jetzt ist sie eine Schauspielerin  mit hartem Kern und großer Ausstrahlung, was Helena Bonham Carter immer schon zu bieten hatte. Vom unübersehbaren Auftritt der Meryl Streep war schon die Rede, der interessanterweise dann durchaus auch die Routine reflektiert, mit der Menschen, die sich selbst als Ikone ausstellen, agieren.
Zwei der Männerfiguren ragen heraus: Ben Whishaw ist der verbissene, durch die Gattin um die eigene Reputation gebrachte und folglich entsprechend wütende Ehemann, und Brendan Gleeson (ältere bis alte Kinobesucher wird er an den unvergessenen James Robertson Justice erinnern) der Anwalt, der angesichts der Unbeirrbarkeit und Kompromißlosigkeit der Frauen eine (kopfschüttelnde) Bewunderung hegen muß, die er besser verbirgt.
 
Es ist ein starkes Stück Kino, und Frauen sollten über dieses Stück ihrer Geschichte, über Kämpfe, die für die Töchter und Enkelinnen ausgefochten wurden, nicht leichtfertig hinweggehen, sondern die gebührende Bewunderung zollen.
 
Renate Wagner