Der Spott der kleinen Dinge

Die Wahrheit hinter der Maske

von Lars von der Gönna

© Heiko Sakurai
Die Wahrheit hinter der Maske
 
Neulich habe ich wieder erfolglos nach einem Karnevalskostüm gesucht. Karnevalskostüme sind ein Leitmotiv meines Lebens. Ich denke viel über Masken nach. Masken sind tragische Wahrheiten, Masken sind sprechende Ursehnsüchte, Masken sind vielleicht sogar Masken. Als Siebenjähriger habe ich einen Onkel gefragt, warum er als Cowboy gehe. Er hatte keine Antwort. Die 70er waren nicht die Zeit für solche Fragen. Man fragte Erwachsene auch nicht, was sie wählten. Wie konnte man dann fragen, warum sie Rosenmontag als Cowboy in der Hertener Musketier-Schänke saßen, um ein Lied von Ernst Neger zu singen?
     Meine erste Anlaufstelle, um ein Kostüm zu finden, war der Discounter. Wegen der Krise versuche ich neuerdings immer erst die Sparlösung und meide Fachgeschäfte. Ein Freund, der CDU wählt, wirft mir regelmäßig vor, auf diese Weise das Land vor die Hunde gehen zu lassen. Ich sage, da sei es schon, und wechsele das Thema. Im Supermarkt gab es nur Kinderkostüme. Hinter einem Restposten scharfer Grillsaucen lagen herrenlose Piraterie-Requisiten. Ich ging ins Kaufhaus.
     Eine müde Fachverkäuferin mit rotem Rollkragenpullover und einer Kette mit Lesebrille sagte, das Kostüm „Michael Jackson“ werde gern genommen. Ich überhörte sie. Ich habe den doppelten Umfang von Elvis im Juli ’77; eine Michael-Jackson-Verkleidung würde an mir aussehen wie das Kostüm Tony Marshall. Tony Marshall heißt eigentlich Herbert Anton Bloeth. Der Marshall ist quasi seine Maske, aber ich kann ihn verstehen.
     Im Kaufhaus erstand ich ein Horst-Schlämmer-Kostüm. Zähne, Haare, Brille, Kittel: 30 Euro. Schlämmer hat denselben Beruf wie ich; im Grunde muß ich mich weniger verstellen als Herbert Anton Bloeth.
     Auf dem Rückweg vom Kostümkauf lief im Autoradio die Nachricht, daß jemand im Horst-Schlämmer-Kostüm eine Duisburger Bank überfallen hatte. Ich versteckte das Kostüm unter dem Rücksitz. Ich spürte die Maske des Kapitalverbrechens leise fallen.
 


© Lars von der Gönna - Aus dem Buch „Der Spott der kleinen Dinge“
mit freundlicher Erlaubnis des Verlags Henselowsky Boschmann und der WAZ.