Ganz besondere Briefeschreíber

von Hanns Dieter Hüsch

© Jürgen Pankarz
Ganz besondere Briefeschreíber

Walter Hasenclever hat glaube ich mal
Zu Tucholsky gesagt oder an Tucholsky geschrieben
Reichsein heißt keine Briefe mehr
Öffnen müssen.

Nun ja
Wer kann sich das schon leisten
Aber kriegen Sie manchmal auch so Briefe
Die Sie wahrscheinlich gar nicht geöffnet
Wenn Sie sie vorher gelesen hätten
Wie zum Beispiel:

Sehr geehrter Herr Dinges
Bitte entschuldigen Sie vielmals
Wenn ich durch meinen Brief Ihre kostbare Zeit
In Anspruch nehme
Denn ich kann mir natürlich denken
Daß Sie sehr beschäftigt sind
Und daß Sie sicher einen Haufen solcher Briefe bekommen
Und daß Sie deshalb manchmal gar nicht mehr
Ein noch aus wissen
Was ich gut verstehen kann
Weil Sie ja für solche Korrespondenzen
Weiß Gott keine Zeit haben
Und deshalb Ihre andere Arbeit
Nicht einfach so liegenlassen können
Dann müßten Sie ja nur noch Ihre Post bearbeiten
Und das will ich auf keinen Fall
Dennoch gestatte ich mir diese Zeilen an Sie
In der Hoffnung daß Sie vielleicht doch noch irgendwann mal
Eine Gelegenheit zu einer kleinen Antwort finden werden
Zwischen Tür und Angel wie man so sagt
Wenngleich ich Ihnen hier nicht schreibe
Um Sie zu einer Antwort zu bewegen
Das liegt mir wahrhaftig fern
Weil Ihnen hier jemand schreibt
Der weiß wie beschäftigt Sie sind
Und daß Sie Ihre kostbare Zeit
Auch anderweitig benützen können
Als für solche Korrespondenzen
Die Ihnen ja gewiß haufenweise auf den Tisch flattern
Die Sie sicher schon gar nicht mehr übersehen können
Und jetzt kommt mein Brief auch noch dazu
So daß Sie sicher schon von Ihrem Schreibtisch
Zuerst an den Wohnzimmertisch und von da
An den sogenannten Frühstückstisch geflohen sind
Um in Ruhe arbeiten zu können
Und deshalb habe ich auch Verständnis dafür
Wenn Sie aus welchen Gründen auch immer
Es vorziehen diesen Brief nicht zu beantworten
Sondern ihn wenn nicht direkt in den Papierkorb werfen
Unter unerledigt abheften
Weil es ja unmöglich ist allen und jedem
Auf alle und jede Frage ausführlich und persönlich
Zu antworten
Auch wenn die Frage noch so interessant sein könnte
Für Sie das weiß ich ganz gewiß
Aber wie gesagt
Ich möchte auf keinen Fall daß Sie meinen
Ich möchte Sie durch ein Kompliment
Zu einer Antwort überreden
Oder gar ein schlechtes Gewissen in Ihnen auslösen
Dies gewiß nicht
Sondern nur wenn es bei Gelegenheit für Sie mal
Eine Möglichkeit gibt
Daß Sie mir ein paar Zeilen zukommen lassen
Übers Knie brechen gilt nicht (kleiner Scherz)
Ich weiß ja daß sowas bei Ihnen auf guten Boden fällt
Und da ich ja auch ab und zu in Unterhaltung mache
Möchte ich Ihnen heute
Ohne Ihre Zeit zu stehlen oder Ihre Muße zu zerstören
Oder Ihre Ruhe auszunutzen
Einmal schreiben
Wobei mir bewußt ist
Daß Sie sicher solche Briefe in rauhen Mengen bekommen
Wie ich ja eingangs schon schrieb
Und daß Sie sicher schon gar nicht mehr wissen
Wo Sie zuerst anfangen sollen
Bei den mit der Maschine geschriebenen
Oder bei den mit der Hand geschriebenen
Oder bei den Postkarten den Einschreibebriefen
Oder den Manuskriptpaketen
Nichts für ungut
Und nun will ich Sie nicht länger aufhalten
Nur eins noch:
Glauben Sie an Gott
Aber das führt hier sicher wohl zu weit
Mit freundlichen Grüßen
PS:
Ab 1. April habe ich übrigens eine neue Anschrift.
 

Hanns Dieter Hüsch
 
 
 

© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Zugabe" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnung stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.