Ganz „normale“ Leute

„Legend“ von Brian Helgeland

von Renate Wagner

Legend
 
Drehbuch und Regie: Brian Helgeland
Mit: Tom Hardy, Emily Browning, David Thewlis, Chazz Palminteri u.a.
 
Schon in der Schule sind die Schlimmen interessanter als die Braven. Später werden die Braven eine Gesellschaft bilden und möglichst aufrecht erhalten, damit die Schlimmen darin eine Spielwiese vorfinden. Wie viele Filme gibt es schon über „Gute“ im Vergleich zu den sehr, sehr Schlechten? Man möchte da nicht zu zählen beginnen. Man will sich im Kino schließlich unterhalten. Und offenbar tun wir das auch bei all den Grausamkeiten, die uns aufgetischt werden. Noch besser, wenn man sich sagen kann, daß das ja einmal wahr war: Die Kray Brothers haben in den Swining Sixties und danach die Londoner Unterwelt mit eiserner Hand regiert. Welch ein Kino-Thema – immer wieder!
 
Und jetzt erst recht, wenn ein Schauspieler mit aller vordergründiger Lust an Verwandlung die beiden spielt: Tom Hardy, in den letzten Jahren zu einem der führenden britischen Filmgesichter aufgestiegen (allerdings nur, wenn die Harten verlangt sind) ist Reginald und Ronaly Kray, geboren 1933, an sich eineiige Zwillinge, aber verschieden genug, um darstellerische Brillanz zu evozieren. Da ist der zwar nüchtern-brutale, aber gewissermaßen noch berechenbare, in sozialen Strukturen einigermaßen verträgliche „Reggie“, der ein Gangster-Imperium mit den dort üblichen (!) Umgangsformen führt. Dagegen ist der bebrillte Ronnie, stets mit leicht offenem Mund und der erkennbaren Physiognomie der Borderline-Persönlichkeit, ein Psychopath schlimmsten Zuschnitts. Beide brave Söhne, die ihre Mutter bis zu deren Tod stets besuchen und lieben und ehren. Sie halten als Familie unerschütterlich zusammen, auch wenn sie einmal (vermutlich mehr als einmal…) blutig auf einander los gehen – und daß Reggie den an sich wirklich unbrauchbaren Ronnie fallen ließe, käme nicht in Frage…
 
Um diese Kray-Brüder, die sich im London der sechziger Jahre ein effektives Gangster-Imperium aufbauten (wozu gehörte, daß sie terrorbereit keine Gewalttat scheuten), ranken sich jede Menge von Legenden. Aber an dem Film, den Brian Helgeland über sie dreht, ist nichts Verklärendes. Er bleibt geradezu bemerkenswert am Boden, wozu die Sorgfalt beiträgt, mit der die Epoche rein optisch beschworen wird – wer damals jung war, erinnert sich an alles, die Mode, die Frisuren, die Autos, die Verhaltensweisen.
In dieser Welt erobern die Krays die Verbrecherszene – vor allem Reggie, denn Ronnie „sitzt“ längere Zeit in der Psychiatrie und kann nur durch das gnadenlos erpreßte Urteil eines gekauften Psychiaters entlassen werden, um sich dann in seinen Wohnwagen zurückzuziehen und vor allem seinen homosexuellen Neigungen nachzugehen. Wenn Reggie dann „sitzt“, muß er damit rechnen, daß der Wahnsinnige alles Erreichte kaputt macht. Es sind immer beide Brüder, von denen man spricht, wenn sie sich vom East End ins „West End“ begeben, wozu auch das elegante Nachtclubgeschäft gehört. Als allerdings ein Abgesandter aus den USA erscheint (Chazz Palminteri merkt mit saurer Miene, daß nicht alles so glatt geht, wie sich das die Mafia in ihren Expansionsbestrebungen ausdenkt) und sie zu Dienstnehmern degradieren will, kann Reggie Kray durchaus seine Position halten, weiß aber auch, wo man verhandeln muß…
 
Keine Gloriole flimmert über den Krays. Man erlebt, wie sich Reggie wie ein ganz normaler Mann um ein ganz normales Mädchen bemüht (übrigens die Erzählerin der Geschichte aus dem Off), man sieht mit an, wie diese Frances Shea (von schier unglaublicher englischer Durchschnittlichkeit: Emily Browning) den Kopf in den Sand steckt und ihn heiratet – und wie schlecht es ihr bekommt (bis zum letalen Ende). Eine ganz normale Geschichte. Ebenso wie am Beispiel des Wirtschaftsanwalts Leslie Payne (David Thewlis) gezeigt wird, wie „normale“ Leute für die Verbrecher arbeiten, die sie verachten – aber auch entsprechend fürchten… Regisseur Helgeland, bisher eher als Drehbuchautor erfolgreich, kann als Regisseur hier seinen ersten „Hit“ liefern, verschränkt Privates und Berufliches wie im richtigen Leben, nur daß das Berufliche hier extrem düster ist, aber doch nicht ohne Humor.
 
Aber brenzlig ist natürlich die Konfrontation beider Brüder, wobei man nie im Zweifel ist, Who is Who, denn Tom Hardy differenziert sie nicht nur in Äußerlichkeiten aus: Jeder ist unverwechselbar er selbst. (Und die Szenen mit beiden gleichzeitig sind natürlich logistische Kunststücke des Filmemachens und des Schnitts.) Daß das Imperium der Krays an Ronnies unberechenbarem Wahn gescheitert ist und von Reggie nicht gehalten werden konnte – man wird es nicht bedauern, daß beide im Gefängnis gestorben sind. Helden waren seine keine, und Helgeland will kein Scorsese sein. Die große Gangster-Gloriole wäre auch für diese Geschichte, die so tief in der Welt kleinbürgerlicher englischer Verhältnisse verankert ist, kaum überzeugend gewesen. Aber der Psychotrip, den man mit den beiden Brüdern unternimmt, hat es so gewaltig in sich wie jeder „Casino“-Glanz.
 
 
Renate Wagner