Eine Mörderballade

Grandios finstere „Lulu“ in Oberhausen

von Andreas Rehnolt

Foto © Birgit Hupfeld

Grandios finstere „Lulu“ als Mörderballade in Oberhausen
 
Minutenlanger begeisterter Applaus bei der deutschen Erstaufführung
des Stücks mit düsterer Musik der Tiger Lillies
 
Oberhausen - Im Theater Oberhausen hat am 15. Januar eine grandios finstere „Lulu“ als Mörderballade ihre deutsche Erstaufführung erlebt. Die gut 90 Minuten Musiktheater mit einer sechsköpfigen Begleitband waren harter Tobak. Aber eine grandiose Inszenierung in der Regie des Belgiers Stef Lernous zu den auf englisch gesungenen Texten der Tiger Lillies. Die hatten das Stück als Auftragswerk für Opera North Projects in Leeds fertiggestellt, wo es im Januar 2014 uraufgeführt wurde. Alle Songs wurden von Martyn Jacques geschrieben und bereits 2003 veröffentlicht. 
 
Die „Lulu“ als Musiktheaterstück in Oberhausen spielt vor einer abgehalfterten, dreckigen Fleischerei, hinter deren blutverschmierten Fensterscheiben ein Liebhaber oder Freier des triebhaften Straßenmädchens von Jack the Ripper mit dem Hackebeil ins Jenseits befördert wird. Das Bühnenbild stammt von Sven van Kuuk. Die Männer (drei von insgesamt sechs werden von Frauen gespielt) sind grell geschminkt, alles dreht sich um dunkle Triebe, Gewalt und Sexualität. Lulu (fantastisch und beängstigend zugleich: Laura Angelina Palacios) ist dabei bis auf wenige Minuten, in denen ihr einer ihrer zahlreichen Liebschaften einen Mantel umhängt, nackt. Umringt ist sie von gierigen, geifernden Männern, die sich wie Hunde um sie scharen, bösartig bellend und auf ihre Beute lauernd.
 
Frank Wedekind nannte seine 1894 vollendete Urfassung der „Lulu“ selbst eine „Monstre-Trägödie“. Schon bei ihrer Uraufführung 1904 sorgte die weltberühmte Erotik-Tragödie für Skandale. Und auch die Oberhausener Variante, die auch offen lässt, wer das Monster ist, das Mädchen selbst oder ihre zahllosen Männer-Bekanntschaften, ist hart an der Grenze, wenn sie am Ende die von Dreck und Blut besudelte Leiche von Lulu in der Pose von Christus an den an einen erigierten Penis erinnernden Ast eines Baumes hängt. Doch Buhrufe gab es keine beim Premierenpublikum.
Die wummernde, aggressive Musik der Live-Band von Otto Beatus neben der Bühne verstärkt die düstere Handlung. Die Texte werden auf einer Tafel ins Deutsche übersetzt. „Tochter, verkauf Deinen Körper“, singt der zuhälterische Stiefvater Shig (Susanne Burkhard). Der Zeitungsredakteur Schöning, der die Minderjährige von der Straße holt und zu seiner Geliebten macht, verkuppelt sie mit dem alten Medizinalrat Goll, der sie Ellie nennt und vom Kunstmaler Schwarz porträtieren läßt. Das Porträt zeigt den nackten Unterleib des Mädchens mit gespreizten Beinen. Schwarz heiratet Lulu, nennt sie Eva und bringt sich um, nachdem er erfährt, daß sie immer noch Geliebte von Schöning ist, der sie auch heiratet und ihr den Namen Mignon gibt.
 
Egal, welchen Namen sie trägt, Lulu sucht die Männer, läßt sich erniedrigen, schleicht, stampft, tanzt und kriecht über die immer dreckiger werdende Gossen-Bühne, raucht Kette, säuft wie ein Loch und schweigt. Manchmal scheint es, als ob wäre sie eine Sex-Maschine, mal wirkt es so, als ob sie all die sexuelle Gewalt, die ihr angetan wird, selbst noch genießen würde. In einem der Songs wird sie „Vogel im Käfig“ genannt, in einem anderen ist sie für die geilen Männer der „Spiegel der Begierden“.
Slapstickhaft, wie der Killer Jack in der wie die Hölle flackernden Fleischerei seine Opfer zerhackt und ihre Köpfe auf der Fensterbank aufreiht, wo sie den Horror um und an Lulu mit Blicken verfolgen und manchmal in einen de Songs einfallen. Der Eingang zur Fleischerei ist wie „die Pforte der Hölle“, heißt es in einem Lied. Und wenn dann fast am Ende die toten Männer und Frauen aus Lulus Beziehungskiste aus ebendieser Hölle als untote Zombies zurück kommen und sich saufend einer nach dem/der anderen über sie hermachen, dann ist das grauslich und sorgt beim Rezensenten für eine Gänsehaut.


Foto © Birgit Hupfeld
 
Lulus letzter Freier ist schließlich Jack the Ripper, der sie oder den sie in der Londoner Gosse findet. Der tötet sie am Ende, Regisseur Lernous läßt ihn einen Topf mit blutroter Farbe auf ihr ausleeren. Während Jack die Straße vom Blut säubert, verendet Lulu dort, wo sie herkam: In der Gosse. Ein bißchen Goldstaub aus ihrer „guten“ Zeit, viel Dreck, viel Blut und ein paar Federn eines gerupften Vogels kleben an ihr. Ganz am Schluß, wenn sie vom Penis-Kreuz herabsteigt, macht sie erstmals den Mund auf. Und sie singt den Song von Marilyn Monroe, „My heart belongs to daddy“. Und sie singt es wie eine Anklageschrift.
 
Nächste Vorstellungen: heute, 20. Januar, 22. Januar, 5./13. Februar.
 
Weitere Informationen: www.theater-oberhausen.de
 
Redaktion: Sabine Kaufmann