Empathisch, aber kein Rührstück

Dorothea Müller – „TOM - Eine Knastgeschichte“

von Jürgen Kasten

Cover: Frank Müller
TOM – Eine Knastgeschichte
von Dorothea Müller
 
Kein Rührstück; aber eine empathische Geschichte, mit Sach- und Fachkunde geschrieben, die Realität klar und deutlich an- und ausgesprochen. Dazu immer den richtigen Ton treffend, die Worte den Protagonisten angepaßt.
Dorothea Müller hat mit diesem Roman das Hoffen und Bangen, die Trostlosigkeit und Einsamkeit, Aggressivität und Abhängigkeiten, sogar die Kriminalität innerhalb der Mauern eines Gefängnisses aufgezeichnet. Dabei erfaßt sie Stimmungslagen und Seelenzustände von Insassen und Personal gleichermaßen.
Das ist keine Dokumentation, keine Aufzählung von Ereignissen im Knast, sondern eine spannend erzählte Geschichte, in deren Mittelpunkt Tom steht. Tom ist ein junger Erwachsener. Weder sein Alter wird erwähnt, noch warum er schon mehrere Jahre im Gefängnis sitzt. Und das ist gut so, denn es läßt dem Leser Raum, sich dem Gefangenen ohne Vorurteile zu nähern.
 
Ganz am Anfang sieht Tom sich einen sonnenüberfluteten Weg am Fluß entlang gehen, kurvt dann mit seinem schicken Wagen bis vor die Hotellobby, wirft dem Boy den Wagenschlüssel zu und sieht seiner Freundin Kim entgegen, die mit wiegenden Hüften auf ihn zu kommt. Nur eine ganz kurze Sequenz dessen, was war oder sein könnte, dann holt ihn eine bellende Lautsprecherstimme in die Tristesse des Knastalltags zurück.
Der Leser erlebt mit Tom dessen letztes Jahr im Gefängnis. Seiner Resozialisation hatte er bisher ablehnend gegenüber gestanden. Langsam geht ihm aber auf, daß er sich damit keinen Gefallen tut. Ausgerechnet die Mitgefangenen Kemal und Pino, die voll integriert scheinen, überzeugen ihn und weisen ihm den richtigen Weg. Ihnen kann er auch eingestehen, daß er keinerlei Schulabschluß hat, weder Lesen noch Schreiben kann. Und als dann noch eines Tages Schulte im Besucherraum auf ihn wartet und sich ihm als Betreuer vorstellt, der ihm helfen will, sich auf die Freiheit vorzubereiten, zeigt sich für Tom eine neue Lebensperspektive. Ist er dem gewachsen? Ist er dazu bereit? Ist er lernfähig?
Nicht die Gitter vor seinem Fenster sind Toms Problem, sondern die Gitter in ihm. Die Gitter, die ihn in seinem Denken und Handeln gefangen halten. Sie gilt es zu durchbrechen. Eindrucksvoll mit minimalistischen Tuschezeichnungen dargestellt, die Frank Müller zum Buch seiner Mutter beisteuerte.

Dorothea Müller war lange Jahre Vorsitzende des Schriftstellerverbandes Bergisch Land. Sie lebt und arbeitet als Schriftstellerin in Wuppertal, hat zahlreiche Geschichten in Anthologien und auch Romane veröffentlicht. Zur Zeit erarbeitet sie zusammen mit Schülern ein Romanprojekt. In der Arbeit mit Schülern, in der Sozialarbeit und vor allem mit den Belangen eines Knastes ist sie bewandert, denn Dorothea Müller hat auch lange Jahre als ehrenamtliche Betreuerin im Gefängnis gearbeitet. Deshalb ist „Tom“ auch eine authentische Geschichte, die nichts beschönigt, nichts überhöht; aber auch nicht grundsätzlich verteufelt.
„Tom“, ein informativer Roman, gut und spannend geschrieben und daher absolut lesenswert. Der ehemalige Gefängnispfarrer Erhard Ufermann hat dazu ein Geleitwort geschrieben und Dorothea Müller ein kleines „Knacki-Wörterbuch“ angehängt, denn ihre Protagonisten benutzen „Knastsprache“. Und für alle, die wissen wollen, warum es im Knast so abläuft wie es eben abläuft, ist auch noch ein Auszug des Strafvollzugsgesetzes beigefügt.
 
Dorothea Müller – „TOM - Eine Knastgeschichte“
mit Zeichnungen von Frank Müller (myllerfilm.de)
© 2015 Verlag 3.0 Zsolt Majsai 166 Seiten, Softcover - ISBN 978-3-95667-203-3
9,50 €
auch als E-Book erhältlich
 
Weitere Informationen: https://buch-ist-mehr.de