Packendes Seefahrer-Epos

„In the Heart of the Sea“ von Ron Howard

von Renate Wagner

In the Heart of the Sea
(USA 2015) 

Regie:
Ron Howard
Mit: Chris Hemsworth, Ben Whishaw, Brendan Gleeson,
Cillian Murphy, Benjamin Walker u.a.
 
Moby Dick“, das ist Weltliteratur aus der Feder von Herman Melville, das ist auch unsterbliches Weltkino aus dem Jahr 1956, mit Gregory Peck als Captain Ahab in der Regie von John Huston. Im Zentrum: Der Mensch gegen die Allmacht der Natur, symbolisiert durch Moby Dick, den unbesiegbaren weißen Wal… An diesem Klassiker rührt man besser nicht, und „Im Herzen der See“ tut es auch nicht. Vielmehr wird (scheinbar) die wahre Geschichte erzählt, aus der Melville seinen unsterblichen Roman machte.
Verfilmt wurde hier wieder ein Buch, ein fingierter Tatsachenbericht: „In the Heart of the Sea: The Tragedy of the Whaleship Essex“ von Nathaniel Philbrick. Darin läßt sich der Schriftsteller Herman Melville (in dem Ehrgeiz, einmal ein Buch von der Größe seines Vorbilds Nathaniel Hawthorne zu schreiben) 1850 von dem alten Thomas Nickerson die Geschichte der „Essex“ erzählen, die 1819 aus Nantucket, Massachusetts aufbrach, um im Pazifik Wale zu jagen, ihre Fässer mit dem kostbaren Öl zu füllen und eine blühende Handelsindustrie noch reicher zu machen.
Man engagierte den routinierten Owen Chase als Ersten Offizier, weil man die Kapitänswürde einem Protektionskind, George Pollard, geben mußte, der mächtige Verwandte hatte. Im Ende waren auch seine Fehlentscheidungen am kommenden Debakel schuld, aber wahrscheinlich hätte niemand den Kampf gegen den Weißen Wal gewinnen können, der das Schiff 1820 zerstörte. Ein kleiner Teil der Mannschaft überlebte, darunter der Kapitän, Owen und Thomas Nickerson, damals noch Schiffsjunge, der die Qualen, die man damals ausstand, nie verarbeitet hat (u.a. in einer Szene, die nur geschildert und dankenswerterweise nicht gezeigt wird – daß sie auf hoher See in ihren Booten hilflos dahin treibend, einen toten Kameraden gegessen haben, um selbst nicht zu sterben).
Der Film läuft auf zwei Ebenen: Da ist der ehrgeizige junge Schriftsteller (Ben Whishaw, eindrucksvoll als Herman Melville, der für diese Geschichte, in der er Besonderes wittert, auch zahlt) und der alte Nickerson (wieder eine Meisterleistung von Brendan Gleeson), der sich die Katastrophe endlich von der Seele erzählt…
Und in den Rückblenden sieht man dann das Geschehen, das im Grunde ist wie viele Seefahrer-Epen, die man schon gesehen hat, wobei die Parallelen zu „Moby Dick“ nicht bedeutend sind: Melville sagt am Ende selbst, daß er etwas anderes schreiben wird. Der blasse Kapitän (Benjamin Walker als der unsichere George Pollard) bleibt im Hintergrund, Owen Chase (Chris Hemsworthglaubt man Kompetenz und auch Stärke) leitet das Unternehmen, die einzelnen Matrosen (mit Ausnahme von Cillian Murphy als Matthew Joy) werden als Persönlichkeiten nicht wirklich ausgefeilt. Natürlich bis auf den Schiffsjungen (Tom Holland), den man ja später als „Zeugen“ braucht.
Es ist ein Stimmungsbild vom harten Leben auf See, wobei die üblichen Spannungen nie in besondere Brutalität ausarten, von der Gefährlichkeit und Grausamkeit der Waljagd – und schließlich die ewige Geschichte der Ausgesetzten auf kleinen Booten im ewigen Meer, wo das Überleben kaum Chancen hat. Tatsächlich landeten sie erst auf einer einsamen Insel, wo einige zurückblieben, während der Rest weiterfuhr, in Chile landete und auf Umwegen heim gelangte.
Dort legte man Owen Chase nahe, im Prozeß über das verlorene Schiff zu behaupten, man sei im Sturm gescheitert, weil man sich das Geschäft durch keine mystischen Wale stören lassen wollte, doch er sagte die Wahrheit – und Pollard, der Schwächling, auch. Und Herman Melville nimmt seine Notizen, in der Absicht, aus einer tragischen Alltagsgeschichte „mit Wal“ das große Epos zu schreiben, das ihm auch gelungen ist…
Regisseur Ron Howard (unvergessen sein bester Film „A beautiful Mind“ mit Russell Crowe) ist eigentlich eher der Mann subtiler Seelenzeichnung als großer Action, wenngleich es auch diese gibt: Dramatische Szenen auf See wirken durch sich selbst (auch wenn sie großteils aus der Trickkiste stammen – man merkt es nicht, und mit 3 D-Brillen ist das weitgehend aufregend genug, wenn die Wale toben). Man darf sich gruseln, wenn der Schiffsjunge Nickerson (als der Jüngste und Kleinste, der sich nicht wehren kann) von den anderen Matrosen direkt ins Innere eines erlegten Wals katapultiert wird, und man leidet mit den Schiffbrüchigen auf ihren kleinen Booten.
 
Aber „kintopp“-artig überdreht wird all das nie. Ein seriöser Regisseur macht keinen Reißer, wo er einfach ein Thema hat.
 
Renate Wagner