Tête-à-tête mit dem Kaiser

Napoleon und die Franzosen im Rheinland (1)

von Konrad Beikircher

Tête-à-tête mit dem Kaiser (1)
 
Napoleon und die Franzosen im Rheinland

Einen wunderschönen Januarmorgen in dem soeben erst angeschnittenen Jahr 2016 wünsche ich Ihnen, bon jour oder so, ich begrüße Sie zu ein paar bescheidenen Gedanken über Napoleon im Rheinland, über den Franzosen als solchen damals und über die Auswirkungen und Resonanzen, die das alles hatte und das angesichts der kurzen Zeit, die er hier war, wo man doch meint, es müßten Jahrhunderte gewesen sein, die er und seine Franzosen hier waren. Nein, so war das nicht. Es war vielmehr so (und weil es nicht wirklich nicht nur ein paar Gedanken sind, werde ich Ihnen die in Fortsetzungen übermitteln), also:
 
Schon 1792 waren Mainz, Speyer, Worms und Aachen vorübergehend besetzt, aber erst nach der Schlacht von Fleurus am 26. Juni 1794 haben die Österreicher derart eins auf die Mütze bekommen, daß die Franzosen das Rheinland dauerhaft besetzen konnten und dat jing ziemlich flügg: die Sambre-Maas-Armee unter der Leitung von, Verzeihung, auch wenn die französischen Soldaten gerne gesungen haben, Orchester waren sie ja keines, also: die Armee unter General Marceau eroberte im August 1794 Trier, am 23. September Aachen, am 6. Oktober Köln, dann sind die Franzosen von da mit der 16 nach Bonn gefahren, das sie am 8. Oktober widerstandslos einnehmen konnten und waren schließlich am 23. Oktober in Koblenz. Ob sie da über Niederzissen oder über Bad Breisig hin sind, weiß ich nicht, es ewwer och ejal.
In Bonn hat der Bruder von Marie Antoinette, der Kurfürst Max Franz, als die Franzosen einrückten, von der Rathausstreppe aus schnell seinen Segen erteilt, dann is er über die damals noch vierspurige Kennedybröck erövver nach Beuel, von da nach Siegburg auf den Michaelsberg und schließlich nach Wien, wo er 1801 gestorben ist.
 
Ob ihn Beethoven da besucht hat um sich für das Stipendium zu bedanken - immerhin hat der Max Franz seine erste Reise nach Wien finanziert und ihn dann zum zweiten Mal und da gleich endgültig nach Wien geschickt – wir wissen es nicht, aber wie wir unseren Ludwig kennen, hat er es sicher versucht!
Beethoven hatte da allerdings auch alle Hände voll zu tun und andere Sorgen: 1801 schreibt er das erste Mal seinem Freund Wegeler von nachlassendem Gehör, das heißt: da ist er sicher von einem HNO-Arzt zum anderen gelaufen und als Kassenpatient, der er ja war, hat ihn das jedes Mal gut einen Tag gekostet, er komponiert die ersten beiden Klavierkonzerte, verknallt sich in die Gräfin Guicciardi und überlegt, ob er die erste Symphonie dem Kurfürsten Maximilian Franz widmen soll, weil der aber über dieser Absicht quasi verstarb hat er die Symphonie dem Baron van Swieten gewidmet – stand er sich auch besser bei. Was ich damit sagen wollte, ist, daß die Franzosen jetzt, also 1794, ins Rheinland kamen und zwar ins Linksrheinische, und 1814 nach der Völkerschlacht in Leipzig über Eupen wieder gegangen sind, also das waren grad mal 2o Jahre, wo sie zu Besuch waren und dennoch haben sie so nachhaltig das Rheinland verändert, daß man hier bei uns meint, Napoleon wäre hunderte von Jahren hier gewesen.
Wenn wir nun von Napoleon im Rheinland reden, dann müssen wir ganz streng das Linksrheinische vom Rechtsrheinischen trennen. Vielleicht ist hier sogar schon der erste Aspekt, auf den ganz deutlich hingewiesen werden muß, denn möglicherweise – zum Glück bin ich kein Historiker, kann also so was locker mal behaupten – geht der tiefe Riß zwischen Links- und Rechtsrheinischem auch auf Napoleon zurück wie so vieles, wenn man der rheinischen Geschichtsschreibung, nein eher: Geschichtenschreibung glauben darf, denn der zufolge geht, wie gesagt, fast alles, was hier bei uns schön ist, auf die grandiose, großartige, glorreiche, tolle Zeit zurück, in der dä Franzus he wor.
 
Er ist ja, wie wir wissen, hauptsächlich erstmal im Linksrheinischen geblieben und hat das Rechtsrheinische, also das Bergische und Oberbergische, eigentlich nur betreten, um schneller nach Preußen und noh Moskau kommen zu können, sonst hätte er den Umweg über die A3, Duisburg und den Ruhrschnellweg nehmen müssen.
Der Franzose wurde, wollen wir mal sagen, mehrheitlich nicht unfreundlich empfangen, ich meine: Paris war ja immer schon direkt hinter Meckenheim, der Rheinländer ist immer schon gerne mit Schäfers Reisen Siegburg zu Ostern da hin gefahren, bißchen Champs Elysées erop un erav jeloofe, Invalidendom geguckt (das muß man sich mal vorstellen: ein ganzer Dom nur für Invaliden!) und der Rheinländer hat sich auch immer schon mit einem gewissen savoir vivre geschmückt, um sich vom Sauerländer und dem Westfalen zu unterscheiden.
Die freiheitsliebenden Intellektuellen also und die benachteiligten unteren Klassen – heute würde man sagen: Studenten und soziale Brennpunkte – haben überall Freiheitsbäume aufgestellt, die sahen aus wie ein Maibaum mit Jakobinermütze oben drauf und Bändern in den Freiheitsfarben Grün-Rot-Weiß, was ja heute noch die Farben Nordrhein-Westfalens sind.
In Bonn war es ein Schreiner namens Fingerhut – ob der aus Dransdorf war, wissen wir nicht genau – der am Marktplatz auf den Obelisken geklettert ist und mit dem Ruf „Vive la république“ den Kurhut runtergeholt hat, der ja das Symbol der kurfürstlichen Zeit und Herrschaft war. Die Intellektuellen haben sich dann zwar ein bißchen schwer getan, der Bevölkerung zu erklären, daß das Freiheit sein soll, wenn bombardiert, gebrandschatzt und vergewaltigt wird, aber sie haben sich redlich darum bemüht. Ich meine: da kommt die Revolution ins Rheinland, alles atmet auf, keine Fürsten mehr, keine Willkür mehr, nur noch Freiheit, Glück und demokratische Selbstbestimmung der Völker und dann klauen dir die dreckelijen französischen Soldaten das Ersparte aus dem Strumpf unterm Plümmo eraus, ich bitte Sie!
 
Das muß ja wie 1945 nohm Krieg gewesen sein, wo in Bad Godesberg die Franzosen uns die Fahrräder geklaut haben, wie mir meine Zimmerwirtin, die Frau Münch, immer gerne erzählt hat, Verzeihung, ich schweife ab.
Ein typisches Beispiel für diese, manchmal schon leicht akrobatischen, Erklärungs- und Befriedungsversuche der republikfreundlichen Intellektuellen ist ein Flugblatt aus Köln vom 9.10.1794 bzw. vom:
„7. Vendemaire im 3ten Jahre der französischen, einigen, untheilbaren und demokratischen Republick“ das Gillet, „Volksvertreter bey der Armee der Sambre und Maaß“ verfaßt hat. Er schreibt u.a.:
„Die siegreiche Armee der Republick ist auf euren Boden gerückt, um ihre Feinde davon zu vertreiben. Verläumdung war uns in diese Gegenden vorher gegangen; unsere Feinde haben ihre eigenen Verbrechen uns zugeschrieben. Sie haben euch zu beunruhigen versucht; aber beruhigt euch vielmehr.
Die französische Republick betraft ihre Feinde, während sie die Freundin aller Völker ist, die im Frieden mit ihr leben wollen... Wenn seit dem Übergang über die Maaß einige Unordnungen vorgefallen sind, so mißbilligt sie die Armee. Solche sind das Werk von Räubern, die durch unsere Feinde besoldet sind und sich in das Gefolg der Armee eingeschlichen haben. Die Schuldige sollen bald gekannt und ohne Verzug gestraft werden.“

Se sehen: et es immer datselbe!
Jot: jetzt waren sie erstmal da, die Franzosen und wurden natürlich genau beäugt, z.B. fiel den Rheinländern auf, daß sie Papiergeld dabei hatten, das kannte man so noch nicht und das galt als ziemlich ärmlich, zumal es nie das wert war, was drauf stand. Auf einen Assignat von 1794 schrieb z.B. der Stadtschreiber von Bad Kreuznach folgendes:
„Dieses Stück von 15 Sou sollte den Wert eigentlich von 20 Kreuzern deutsches Geld haben, ward aber kaum mit vier Kreuzern bezahlt“.
Und die Kölschen haben sich – wie sie das immer schon taten, weil sie ein musikalisches Volk sind – über die Franzosen lustig gemacht, z.B. in einem sogenannten „Revolutionsleedche“ von 1789, das der Kölner Autor B. Gravelott in seiner Sammlung hat und in dem es u.a. heißt:
 
„Kumm mr op de Jilljotin
bruche´mr nie mieh Brilljantin
Hoppsassa, Fraternité
Sujet nennt mr liberté.
Mir es dat ejalité.
Ich mag bloß Kamillentee.“
 
Ist doch der Hammer, oder. Über das Papiergeld, die sogenannten Assiganten, mit denen die Franzosen die Inflation aufzuhalten versuchten, machten sich die Kölschen in einem Lied über die 1794 einrückenden Franzosen lustig, da heißt es:
 
„Vier un nünzig wor et Johr, widewidewitt fom fom
Do nohme se Kölle en fürwohr, widewidewitt fom-fom
Kaum wore se drei Woche he, widewidewitt fom fom fom fom
Hatte sie Geld us Papier widewidewitt fom fom
 
Do han mer auch der Dag erlävv
Dat Geld met Papp jekläv
De janz Armee, de log em Feld
Un hatt nix als papeere Geld
 
Scharschant, Major un Kapitein
Die kohmen en Kölle ohn Schohn erein
Dä Offizier un General
Hatten kei Geld dazumal
 
Karmangole stief vun Nester, (= Schlafstatt)
allerhand Westen vun Manchester
Fraulücksröck zu Bozzen jemaat
Röck ohne Mauen wohr ehr Draag (ohne Ärmel, Tracht)
 
Kohmen och mit Freiheitskappen
De woren gezeet met allerhand Lappen
Große Höt un kooz dä Zopp
Drogen se op ehrem Kopp
 
Dä eine grön, dä andre gries, (grau)
dä dritte gähl, dä veete wieß
dä fünfte bloh, dä sechste ruth
o Gott, helf uns in disser Nuth!
 
Dä Kähls de hatte kein Maneere
Sugar och nit beim Exerzeere
Do wohr dä Volksrepräsentant
Dä log ohm Nüümaat op dr Bank
 
Des Ovends om Paradeplatz
Trof jede Karmangol si Schatz
Dä Mädcher hatte keinen Hang
Papeere Geld hätt keine Klang.
 
 
Karmangole – so nannten die Rheinländer die einrückenden Franzosen, weil die ein sangesfreudiges Volk waren und neben dem Ca ira und anderen Revolutionsliedchen eben auch die Carmagnole sangen. Die Carmagnole ist ein Rundgesang und Tanz der Republikaner. Der Text verspottet den zur Zeit der Entstehung des Liedes faktisch bereits entmachteten französischen König Ludwig XVI. und dessen Frau Marie Antoinette. Der Titel spielt auf den Ort Carmagnola in Piemont an, der Anfang 1792 von den Franzosen eingenommen worden war. Wie aber der Zusammenhang ist, das weiß heute keiner mehr.

Ich würde mich freuen, wenn Sie am kommenden Dienstag wieder reinschauen, um zu erfahren, welche weiteren Spottlieder die Kölschen  gesungen haben, was es mit 4711 wirklich auf sich hat und was die Prinzengarde damit zu tun hat.

In diesem Sinne
Ihr
Konrad Beikircher


Redaktion: Frank Becker