Morgen kommt Kalle

von Wolf Christian von Wedel Parlow
Morgen kommt Kalle
 
 Und wenn sie uns nun erwischen?“ Manu war über sich selbst erschrocken, als er sich so reden hörte. Warum hatte er sich überhaupt rumkriegen lassen? Aber wenn Heini etwas vorschlug, fehlte ihm immer der Mumm, ihm das auszureden oder einfach nur klarzustellen, er mache nicht mit. Bisher waren es immer nur Demos, bei denen er mitgegangen war und auch schon mal einen Stein geworfen hatte. Aber heute diesem Syrer die Hütte anzünden …
„Du machst dir noch in die Hosen, Mann. Die Sache ist bombensicher.“ Heini schnaufte. Wahrscheinlich gingen sie ihm zu schnell. Kommt vom Rauchen.
„Und warum ist Kalle nicht dabei?“
„Ja, warum wohl, du Idiot. Wer organisiert wohl das Ganze? Du mußt als Erstes herausfinden, wo sie diese Scheißsyrer unterbringen. Die werden ja jetzt mehr und mehr auf einzelne Wohnungen verteilt. Um sie zu integrieren. So eine Kacke.“ Heine spuckte einen Batzen Rotz aus.
„Nimm an, du hast festgestellt, da wohnt eine von diesen Scheißfamilien, dann mußt du gucken, wie du von dort wieder wegkommst, wenn du die Wohnung abfackelst. Das ist Arbeit, Mann. Den besten Fluchtweg erkunden. Uhrzeit, alles, Mann. Kalle ist den ganzen Tag unterwegs, um diese Sachen zu organisieren. Hat den ganzen Bezirk unter sich. Jede Nacht soll im Bezirk was hochgehen.“ Heini zog wieder den Rotz hoch aus den Tiefen seiner verschleimten Bronchien.
„Und warum müssen wir ausgerechnet heute Nacht losziehen?“ Manu wäre lieber zu Hause geblieben an diesem Abend.
Außer ihnen war kein Mensch unterwegs. War eigentlich zu erwarten an dem Abend.
„Hätt’st wohl lieber bei Deiner Alten gesessen, unterm Baum“, schaltete sich Frieder ein. Er sagte selten was. Eigentlich nur, wenn er wen verspotten konnte.
„Was singt ihr denn an so nem Abend? Doch sicher „Vom Himmel hoch da komm ich her.“ Es war zu dunkel, um Frieders hämisches Grinsen zu sehen.
„Laß den Manu in Frieden! Jeder darf hier so fromm sein, wie er will.“ Ja, Heini konnte fair sein. Deswegen ging Manu trotz allem immer wieder mit, wenn Heini ihn rief.
„Eigentlich, wenn man es recht bedenkt, würden die Syrer von selber wieder zurückgehn in ihr Land, wenn es dort wieder ruhig wird. Wir brauchen sie gar nicht rauszuekeln.“ Manu wollte der Sache endlich auf den Grund gehen.
„Da bist du komplett schief gewickelt, Mann“, schnaubte Heini. „Ich war mal drüben in Köln. Da gehst du durch die Straßen und denkst, wo bin ich hier eigentlich? Ist das noch Deutschland? Doch, da kommen dir noch ein paar Deutsche entgegen. Aber das ist die Minderheit. Der Rest sind Türken oder Leute, da weißt du nicht, ob das Deutschtürken sind oder sonst so eine Mischung, jedenfalls keine echten Deutschen. Und an jeder Ecke ne Moschee. Und wie hat es angefangen? Im Westen wollte man mal hoch hinaus. Wachstum hieß die Devise. Also hat man planlos Fabriken gebaut. Plötzlich hatte man nicht mehr genug Leute, um die neuen Arbeitsplätze zu besetzen. Da faßte dir annen Kopf. Bei uns im Osten wäre so was nie passiert. Wir hatten einen Plan, verstehste? Aber bei denen herrschte das reine Chaos.“ Ein Hustenanfall unterbrach den Redefluß.
„Bis man auf die Idee kam, Leute aus dem Ausland zu holen, Griechen, Italiener, Spanier, Türken noch und noch. Gastarbeiter, n tolles Wort. Gäste, das sind doch Leute, die wieder abhauen, wenn das Fest vorbei ist. Mit den Griechen, Italienern und Spaniern gab es kaum Probleme. Die meisten fuhren tatsächlich wieder nach Hause, als man sie nicht mehr brauchte. Bei denen ist es nämlich schön. Aber bei den Türken herrscht das nackte Elend, verstehste? Die wollten die nicht mehr zurück. Im Gegenteil, die holten ihre Familien nach. Nicht anders wird es mit den Syrern laufen, Manu, schärf dir das ein! Deshalb wollen wir die hier nicht im Osten, jedenfalls nicht in Sachsen. Ist dir jetzt klar, Manu, daß wir sie rausekeln müssen, diese Kanaken? Ihr liebt doch auch Deutschland, oder? Mann, mir wird ganz heiß vom Reden.“ Er spuckte aus.
„Wow, wußte gar nicht, daß du so n Volksredner bist. Und ganz aus dem Stegreif. Man könnte dich glatt hinters Pult stellen bei der nächsten Demo.“ Typisch Frieder. Er hatte noch nie was ernst genommen.
„Die nächste geh’n wir rechts rein. Ihr kennt den Weg. Nach getaner Arbeit nichts wie weg durch den Park. Morgen kommt Kalle. Er will von mir wissen, wie die Aktion gelaufen ist.“
„Müssen wir ausgerechnet so brutal sein, mit nem Brandsatz und so? „Ausländer raus“ rufen oder so was, hätte doch auch ne Wirkung.“ Typisch Manu.
„Nix da! Es muß brennen! Nur dann merken die Leute, es tut sich was. Nur wenn sie merken, wir reden nicht nur, sondern tun auch was für Deutschland, werden sie uns wählen. Was denkt ihr, wie die Partei dastehen wird nach den Bränden in den Syrer-Nestern. Wie eine Rakete wird sie in den Himmel schießen.“
„Und du gleich mit.“ Frieders dreckige Lache.
„Du hältst besser dein Maul. Ich kann auch pampig. So, hier nach rechts. Phantastisch ruhig jetzt nach Mitternacht. Kein Mensch zu sehen. Kalle hat das super ausbaldowert. Jetzt erst mal am Park lang.“
Alle drei bekamen langsam Muffensausen. Keiner sagte mehr was.
Das Ende des Parks kam in Sicht. Da würden sie links abbiegen in die Parkstraße.
„So jetzt die Sturmhauben überziehn! Für alle Fälle. Obwohl wir die eigentlich gar nicht bräuchten. Ist ja niemand unterwegs. Geschafft? Prima. Sauzeug, man kriegt kaum Luft darunter. Und spucken geht auch nicht. Und jetzt das Dingens präpariern! Manu, gib mal die Flasche! Zieh den Korken ab! Frieder, du hast den Lumpen. Dreh das Ende ein bißchen zusammen. Ja, wunderbar. Jetzt hinein damit in die Flasche. Tiefer. Nimm den Kugelschreiber zur Hilfe. Würg das Zeug rein. Gut so. Reicht. Jetzt die Flasche schütteln, den Hals nach unten. Der Lumpen muß ganz naß sein von dem Zeug. Bestens. Frieder, du hast den Stein. Okay. Ordentliches Kaliber. Ablauf wie besprochen. Vier, fünf Meter vor dem Haus zünde ich den Lumpen an. Sobald der brennt, wirft Frieder das Fenster ein. Manu hält die brennende Flasche wie eine Lanze, mit dem Boden nach vorn, und schleudert sie hinterher. Noch Fragen? Du zitterst ja, Manu. Kneif die Arschbacken zusammen, Mann!“
„Scheiße! Da ist noch Licht.“ Heini klang plötzlich sehr kleinlaut. Sie waren links abgebogen. Im Erdgeschoß zweites Haus rechts war ein Fenster hell erleuchtet. Dort wohnten die Syrer.
„Und irgendwer steht dort vor dem Haus und hat einen Glimmstengel in der Hand“, flüsterte Frieder.
„So eine Kacke. Ach was, wir probiern es einfach.“ Todesmutig marschierten sie weiter.
Der Mann mit der Zigarette kam auf sie zu. „So spät noch unterwegs sein. Vielleicht uns besuchen kommen. Wir Ihnen herzlich einladen. Frau gerade Mädchen geboren. Das müssen feiern. Ich Tee machen. Gut gegen Kälte. Bitte, uns besuchen.“
Die drei blieben stehen. Schockstarre.
„Was da haben? Ach, sicher Schnaps. Tee gesünder.“ Der Syrer nahm Manu die Flasche aus der Hand. Der ließ es geschehen, willenlos. Er zitterte am ganzen Körper.
„Bitte kommen. Frau freuen. Aber schwarze Mützen besser aus. Sehen aus wie Burka. Frau erschrecken.“
In Heinis Kopf ratterte es. Umkehren? Den Mann stehen lassen und weitergehen? Wenn der die Bullen ruft?
Endlich löste sich die Spannung. „Auf, laßt uns gute Miene machen zu dem Spiel“, entschied Heini.
„Danke, sehr freundlich“, sagte Heini, als er und seine beiden Freunde dem Syrer in die Wohnung folgten.
 
 
© 2015 Wolf Christian von Wedel Parlow