Er war ein böser Bube, dieser Pier Paolo Pasolini...

„Pasolini“ von Abel Ferrara

von Renate Wagner

Pasolini
(Italien / 2014)

Regie: Abel Ferrara
Mit: Willem Dafoe, Maria de Medeiros, Adriana Asti u.a.
 
Er war ein böser Bube, dieser Pier Paolo Pasolini, und vielleicht erinnert sich mancher Kinobesucher auch an den Brechreiz, den er verursachte, wenn einem klar wurde, daß er seinen Figuren in den „120 Tagen von Sodom“ Scheiße auf Silberplatten servierte. Aber er war auch ein großer Künstler, ganz ohne Zweifel, und es ist faszinierend zu beobachten, wie er seine antibürgerlichen Attacken in einer extrem bürgerlichen Welt zu Papier (und Schreibmaschine) brachte.
 
Pasolini, geboren 1922 in Bologna, wurde in der Nacht des 2. November 1975 in Ostia ermordet. Um diesen Tod wurde viel gerätselt (natürlich, weil er nie aufgeklärt wurde), und mit einfachen Lösungen wollte man sich nie zufrieden geben. Pasolini, das Multitalent (außer Filmregisseur noch Autor belletristischer und theoretischer Werke und bildender Künstler), hat als Sozialkritiker dem Italien seiner Epoche viel Unangenehmes gesagt, weshalb auch die Vermutung möglich war, er sei von Rechtsradikalen ermordet worden. Oder sonst irgendwelchen Mächtigen nahe gekommen, die ihre Probleme von Killern lösen lassen.
Doch Regisseur Abel Ferrara, dem man durchaus eine Art innerer Nähe zu Pasolini zubilligen kann, wählte die einfachste und vermutlich auch wahrscheinlichste Lösung: daß der homosexuelle Pasolini an jenem Abend mit einem Strichjungen an den Strand fuhr und es dann zu einer Szene der Gewalttätigkeit mit irgendwelchen aggressiven, homophoben Jugendlichen kam. Die schreckliche Brutalität, daß sie ihn nicht nur zusammengeschlagen haben, sondern auch noch mit seinem Alfa Romeo überfuhren, ist der schrillste Effekt des Films, der sich auf Pasolinis letzten Tag konzentriert – und diesen so ruhig und unspektakulär darstellt wie nur möglich. Bloß Rosinas Arie aus dem „Barbier“ wird am Ende mit geradezu quälender Kunstfertigkeit eingesetzt … nicht das erste Mal, daß Opernmusik zu perfekter Filmmusik wird.
 
Man hätte Pasolini als Held eines Filmes schildern können, wie er selbst sie gedreht hat. Abel Ferrara war in seinem auf Italienisch und stellenweise Englisch gedrehten Film offenbar auf der Suche nach dem „echten Menschen“. Man erlebt Pasolini also „daheim“ in Rom, das heißt, bei Mutter (Adriana Asti) und Cousine (Giada Colagrande, die Ehefrau von Regisseur Ferrara) in einer geradezu stickig altmodischen Bürgerwohnung, höflich zu den ihn umgebenden Frauen, die ihn umschwärmen und bedienen wie einen Pascha, während er zum Morgenkaffee die Zeitung liest, mit einem Manuskript beschäftigt ist (und dieser imaginäre Film, den er mit Eduardo De Filippo und Ninetto Davoli machen wollte, sich in die realen Szenen dieses Tages mischt), ein Interview gibt, Freunde empfängt (darunter die exzentrische Schauspielerin Laura Betti, Auftritt: Maria de Medeiros). Und doch läuft dieses „Künstlerleben“ bestrickend nüchtern ab.
Und es wird auch weder hektisch noch schrill noch dramatisch, wenn sich abends der 53jährige einen besonders miesen, unlustigen Jungen (Damiano Tamili) vom Schwulen-Strich am Bahnhof Termini holt (man hat den 17jährigen Gelegenheits-Prostituierten identifiziert) – das, wie es heißt, für ihn das übliche Ende eines geistig anstrengenden Tages. Er geht mit ihm noch in die Osteria und kauft ihm etwas zu essen, und dann kommt es im Wagen zu dem, was der ältere Mann will und der junge Mann für Geld duldet… und dann geht es letal schief.

Die Faszination dieses geradezu gewollt unspektakulär wirkenden Films geht von Willem Dafoe aus, der wenig spricht, aber als Erscheinung (mit der berühmten Sonnenbrille) sowohl frappant dem Original entspricht (so wie man ihn von Fotos kennt) wie auch die Aura eines introvertierten, mit sich selbst im Streit liegenden Künstlers grandios vermittelt. Daß Abel Ferrara ausführlichste Recherchen angestellt hat, um das reale Umfeld des realen Pasolini so exakt wie möglich zu vermitteln, lohnt sich: Man kommt dem Mann und seinem tragischen Sterben beklemmend nahe – oder bildet es sich zumindest ein…
 
Renate Wagner