Maler, Literat, Sammler und provokativer Querdenker

Buchheims Expressionisten in der Kunsthalle Emden

von Jürgen Koller

Buchheim Museum der Phantasie, Bernried/Starnberger See - Foto © 2005 Aleander Z. - Quelle: Wikipedia

Maler, Literat, Sammler und provokativer Querdenker
 
Buchheims Expressionisten in der Kunsthalle Emden
 
Prolog
 
Im Jahre 1998 kreuzten sich erstmalig die Wege der beiden Sachsen, des Sammlers Lothar-Günther Buchheim (1918–2007) und des Malers Heinz Tetzner (1920–2007). Letzterer zeigte 1998 in New York am Broadway in der Galerie Montserrat expressive Holzschnitte, Lithographien sowie Aquarelle. In seinen Holzschnitten näherte sich Tetzner den Expressionisten, ohne deren oftmals brutale Härte in der Schwarz/Weiß-Fläche aufzunehmen. Eine Mitarbeiterin Buchheims sah in New York diese Blätter und der Sammler Buchheim zeigte sich interessiert. Er lud daraufhin den Altmeister des sächsischen expressiven Realismus im Jahre 2002 nach Bernried in das Museum der Phantasie ein, und Buchheim erwarb für seine Sammlung elf Holzschnitte und Lithos von Tetzner aus allen Schaffensperioden. Das ist deshalb erwähnenswert, weil zum einen Buchheim keine weiteren zeitgenössischen expressiven Maler aus der ehemaligen DDR in seine Sammlung aufgenommen hatte und zum anderen die beiden fast Gleichaltrigen durch die Expressionisten der Dresdner Künstlergruppe Brücke ihre Prägung erfuhren, natürlich erst nach dem Krieg (Karl Schmidt-Rottluff /Chemnitz, Erich Heckel/ Döbeln, Max Pechstein /Zwickau und Ernst Ludwig Kirchner, der zeitweise Bezug zu Chemnitz hatte). Ansonsten waren die Wege der beiden Hochbegabten höchst unterschiedlich – Buchheim, in Weimar geboren und in Chemnitz als Sohn einer freiberuflichen Malerin mit ständigem Kontakt zur musealen Bildkunst aufgewachsen, konnte nach dem Abitur in München Malerei studieren, während Tetzner, der aus Gersdorf bei Chemnitz stammte, als Bergarbeitersohn in einer Möbelstoffweberei Musterzeichner lernen mußte, da sein Vater ein Studium nicht finanzieren konnte. Die Aufnahme von Tetzner-Arbeiten in seine Expressionisten-Sammlung belegt, daß der Querdenker Buchheim stets für eine Überraschung gut war, souverän entschied und zugleich ein sicheres Gespür für Qualität hatte.


Karl Schmidt-Rottluff, Norwegische Landschaft, 1911, © Buchheim Museum der Phantasie
 
Ein Fest fürs Auge
 
Der Name Lothar-Günther Buchheim steht für einen Maler, hier den Expressionisten ähnlich, der sich „in panischer Besessenheit und vulkanischer Eruptivität“ mit einem künstlerischen Motiv oder Gegenstand beschäftigen konnte, seien es die Küstenlandschaft der Bretagne im Krieg oder später die Moorgebiete, Seen und Wälder in der Umgebung von Feldafing am Starnberger See. Der Sammler Buchheim hörte sich „nicht gern 'Sammler' nennen“, sei er „doch eher ein Zusammenträger und Wiederausbreiter...“. Und seine Sammelleidenschaft war extensiv. Neben dem Hauptfeld, den Expressionisten und Künstlern paralleler Strömungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, faszinierte ihn Volkskunst und Kunst-Handwerk der Völkerschaften Afrikas und der Südsee, fand er, sammelwütig wie er war, Gefallen an Spielzeug aus aller Herren Länder, an Kinder-Karussels, Plakaten, Glaskugeln und, und, und – eben an allem, was die Phantasie anregte. Buchheim führte im Jahre 2001 dieses ganze riesige Sammelgut in seinem „Museum der Phantasie“ in Bernried am Starnberger See zusammen.
Bekannt geworden war er in Kunstkreisen aber auch als Buch-Verleger zur Dresdner Brücke und zum Münchner Blauen Reiter und natürlich als Autor des Weltbestsellers „Das Boot“ und später mit der Fortsetzung „Die Festung“. Seine Sichtweise ist in diesen Büchern registrierend, „das Geschriebene ist Zeitdokument. Buchheim betreibt keine Ursachenforschung, er legt Zeugnis ab“. Hier legte sich Querdenker Buchheim mit der offiziellen Lesart der Geschichtsforschung an, die den U-Boot-Krieg nur als einen verbrecherischen Teil von Hitlers menschenverachtender Kriegsstrategie sah.
 

Ernst Ludwig Kirchner, Akt auf blauem Grund, 1911
© Buchheim Museum der Phantasie
Jetzt ist in der Kunsthalle Emden für vier Monate die Expressionisten-Sammlung Buchheims zu sehen, die erstmalig das „Museum der Phantasie“ verlassen hat. ( „...eine ganz neue Perspektive! Man kriegt ja ordentlich Luft!“- Karl Schmidt-Rottluff, Brief an Max Kaus, 1973, über die Expressionisten Buchheims). Henri Nannen (1913-1996), der Gründer, Chefredakteur und Herausgeber des Stern, der 1986 zusammen mit seiner Ehefrau Eske die Kunsthalle Emden begründete, und Lothar-Günther Buchheim, der Maler und Buchautor, hatten ähnliche Lebenswege - beide studierten in München Kunstgeschichte bzw. Kunst, beide waren in den Kriegsjahren Kriegsberichterstatter, der eine bei der Luftwaffe, der andere bei der Marine auf und unter Wasser, beide wurden passionierte Sammler, die ihre „künstlerische Sozialisation größtenteils in der Kunst des Expressionismus (erfuhren)“. Der Unterschied bestand nur darin, daß sich Nannen auch der abstrakten und informellen zeitgenössischen Moderne zuwandte, während es Buchheims Anliegen war, dem gegenständlichen Expressionismus dem ihm gebührenden Platz in der Kunstgesellschaft der jungen Bundesrepublik einzuräumen, da diese Kunstrichtung in jenen Jahren eine erneute Ablehnung erfuhr, weil „abstrakt“ das Nonplusultra der Kunst geworden war.
 
In wunderbarer Weise belegt die Sammlung Buchheims und damit die Emdener Ausstellung, die als Ein Fest fürs Auge titelt, daß das Schaffen der jungen Brücke-Künstler nach 1905 in Dresden gemäß ihres Programms „unmittelbar und unverfälscht“ empfunden und als Gegenentwurf „zur blutleeren Atelierkunst“ der offiziellen Salons verstanden werden sollte. Die Ausstellung mit ihren 200 Exponaten – ergänzt um markante Werke der Sammlung Nannen, die mit den Stücken aus Buchheims Sammlung korrespondieren - dokumentiert eine Dichte und Qualität von Werken der Brücke und paralleler Strömungen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die wohl in keiner anderen Privatsammlung nachzuweisen sind. Es sind in der Emdener Schau nicht nur Werke der Brücke-Künstler Kirchner, Heckel, Schmidt-Rottluff, Pechstein, Nolde oder Mueller zu finden, sondern, und das macht den Reiz der Ausstellung im Besonderen aus, auch Stücke des späten Corinth, Werke von Beckmann, Feininger, Dix, Jawlensky, Hofer oder Kaus. Neben Malerei sind Zeichnungen, Aquarelle und Druckgrafik in reichem Maße präsent. Gleich am Entree der Bilderschau findet sich Corinths „Der tanzende Derwisch“ von 1904. Dieses Gemälde in kraftvoller Primamalerei hatte Buchheim als Knabe in der Chemnitzer Kunsthütte gesehen, es hatte sich ihm tief eingeprägt. Jahrzehnte später hat er dann diesen Corinth ersteigern können. Die in der Ausstellung gezeigten Gemälde „Akt auf blauem Grund“ von Ernst Ludwig Kirchner (1911), „Schlafender Pechstein“ von Erich Heckel (1910) und „Norwegische Landschaft – Skrygedal“ von Karl Schmidt-Rottluff (1911) „zählen heute zu den Hauptwerken der Kunst des deutschen Expressionismus“. Um das Bild „Schlafender Pechstein“ rankt sich eine hübsche Anekdote: Buchheim hatte Heckels künstlerisch belangloses Bild „Frau und Kinder“ (Badende am Strand) von 1920/21 ersteigert und nur ihm war die Bemerkung im Versteigerungskatalog aufgefallen, daß sich auf der Rückseite unter einer weißen Farbschicht das Bild eines schlafenden Mannes befinden würde. Und das war eben der „Schlafender Pechstein“ - das Bild galt schon längst als verloren. Der Auktionator ging weit unter das gesetzte Limit, aber niemand zeigte Interesse. So kam Buchheim zu diesem frühen Hauptwerk Erich Heckels.
 

Erich Heckel, Der schlafende Pechstein, 1910, © Nachlaß Erich Heckel,
Hemmenhofen, Buchheim Museum der Phantasie
Abschließend kann konstatiert werden, daß die Ausstellung Ein Fest fürs Auge in der Emdener Kunsthalle in beeindruckender Weise der Forderung Lothar-Günther Buchheims „nach Seherlebnissen und der Entdeckung von Sinnzusammenhängen“ gerecht wird.
 
Die Ausstellung
Ein Fest fürs Auge / Buchheims Expressionisten
in der Kunsthalle Emden ist noch bis 24. Januar 2016 zu sehen.
Kunsthalle Emden - 26721 Emden - Hinter dem Rahmen 13
Tel. 04921 - 97 50 50
Öffnungszeiten:
Di. bis Fr. 10 bis 17.00 Uhr, Sa./So./Feiertage 11 bis 17. 00 Uhr,
jeder 1. Dienstag im Monat 10 bis 21.00 Uhr (Kunstabend)
 
Eintritt: Erwachsene 8 €, ermäßigt 6 € - am Kunstabend (1. Dienstag im Monat) 4 €
Katalog „Ein Fest fürs Auge. Buchheims Expressionisten“ 16,80 €
Parken PKW: Vier Stunden kostenlos parken im „Parkhaus am Wasserturm“ - 5 Minuten Fußweg, Parkticket an der Museumskasse entwerten lassen
 

Weiterführende Literatur:
Expressionisten/ Sammlung Buchheim, 1998 Buchheim Verlag, Feldafing - ISBN 3-7659-1046-5
Info-Tel. 04921-9750-0