Das Wunder des Überlebens

David Herlihy - "Der schwarze Tod und die Verwandlung Europas"

von Frank Becker
Die Pest als Auslöser für einen europäischen Umbruch

Der amerikanische Historiker David Herlihy (1930 - 1991), spezialisiert auf das europäische Mittelalter, veröffentlichte seine umfassenden Untersuchungen zu den europäischen Pest- Epidemien des 14. Jahrhunderts und ihren gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen  Folgen erstmals im Jahr 1985 in den USA. 1997 in England neu herausgegeben (1998 Deutsche Fassung bei Wagenbach) und von dem Mediävisten Samuel K. Cohn, jr. mit einem Anmerkungs-Apparat versehen, erscheint das Grundlagenwerk jetzt erneut in Wagenbachs wissenschaftlicher Taschenbuch-Reihe.

Die erschreckenden Zahlen von lokal bis zu 80 % Mortalitätsrate unter der europäischen Bevölkerung während der verheerenden Pest- Jahre 1348 und 1349 allein lassen erschauern. Erfährt man dann auch noch, welche Folgen für das gesellschaftliche Leben der Tod von durchschnittlich zwei Dritteln der Gesamtbevölkerung hatte, erscheint es wie ein Wunder, daß sich Europa überhaupt von der Katastrophe erholen konnte, die als "Der schwarze Tod" die Alte Welt an den Rand der Vernichtung gebracht hat. Denn nicht "nur" Bauern, Kleinbürger und arme Leute starben an der Pest - die Krankheit raffte unterschiedslos Landbevölkerung, Adel, Klerus, Handwerker, Künstler und Verwaltungsbeamte hin.

David Herlihy beschränkt sich in seiner schmalen, nichtsdestoweniger gehaltvollen Abhandlung nicht auf schiere Zahlen und Statistiken, wiewohl diese - sorgfältig in zeitgenössischen Aufzeichnungen wie Zunftbüchern etc. recherchiert - die Grundlage für seine Untersuchungen bilden. Er schafft ein Gesamtbild, das Erklärungen für Herkunft und Übertragung der Seuche anbietet, einen Begriff davon vermittelt, was es für das Gemeinwesen bedeutet hat, zwei von drei Menschen einer bestimmten Qualifikation zu verlieren. Wo z.B. Ärzte an der Pest starben, mußten Pflegekräfte - unstudiert - deren Aufgaben weiterführen. Zunftmeister wurden durch minder qualifizierte Handwerker ersetzt, Bürger unterer Schichten rückten in vakant gewordene Verwaltungspositionen auf, oft genug ohne die geringste Befähigung. Es galt: wer da war, übernahm.

Europa erlebte einen gewaltigen Umbruch, man kann sagen, einen Neuanfang unter schlechtesten Vorzeichen. Das Phänomen seiner Rekonstitution wird erstaunlicher, je tiefer man in die Materie eintaucht. David Herlihys Buch ist ein griffiger Einstieg, der dazu reizt, das Thema weiter zu verfolgen. Die beigegebenen historischen Illustrationen sind gut ausgewählt, der umständliche Anmerkungs-Apparat allerdings erschwert die Lektüre unnötig.

Lesetip: Barbara Tuchman "Der ferne Spiegel" - bei dtv, Claassen und in der "Spiegel"-Edition.

Beispielbild

David Herlihy
Der schwarze Tod und die Verwandlung Europas


© 2007 Wagenbach Verlag
WAT 391

142 Seiten, kart., mit sw-Illustrationen und Anmerkungs-Apparat
10,90 €

Weitere Informationen unter:
www.wagenbach.de