Kennen Sie Carl Loewe? (2)

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Kennen Sie eigentlich
Carl Loewe? (2)
 
Liebe Freunde der Musik,

wo waren wir letzte Woche stehengeblieben - richtig: bei Carl Loewe und der Politik. Hieronymus nämlich, wie ihn die Deutschen verächtlich nannten, also Jerôme Bonaparte, der jüngste Bruder Napoleons, war von 1807 bis 1813 König von Westphalen mit Sitz in Kassel - also da muß man auch mal sagen, daß der Napoleon offenbar richtig gehässig sein konnte! – und sehr musikbegeistert. Er hatte ja auch schon Beethoven umworben, nach Kassel zu kommen, was dazu führte, daß uns Ludwig so geschickt mit diesem Angebot zockte, daß die Fürsten Kinsky und Lobkowitz ihn mit einer Leibrente von 4.000 Gulden jährlich in Wien behielten. Dieser Jerôme nun war vom Tenor des jungen Loewe so begeistert, daß er ihm eine Jahresrente von 300 Talern gewährte und ihm in Aussicht stellte, Hofkapellmeister in Kassel werden zu können – wenn es schon unser Ludwig nicht werden wollte. Dummerweise platzte dieser kleine Wohlstand dann 1813 und der 17jährige mußte gucken, wo er blieb.

Er blieb zunächst in Halle als Organist an der Markuskirche, fing an Theologie zu studieren und bekam 1821 einen Ruf als Kantor nach Stettin, wo er bis 1866 blieb. In dieser Stadt bestimmte und prägte er das musikalische Leben und das war sicher nicht vom Schlechtesten. Er war nun aber offensichtlich alles andere als eine Beamten-Natur. Zwar war er politisch extrem konservativ, er war kein Demokrat wie die meisten Künstlerkollegen, nein, er war ein strammer Royalist, und zwar obendrein ein „reaktionärer“, wie die Zeitgenossen mäkelten, einer, der Demokratie für illegitim hielt, weil sie dem Gottesgnadentum des Königs widerspricht – nun gut: kreativ zu sein bedeutet noch lange nicht, daß man auch über politische Intelligenz verfügt – und das gilt nicht nur für damals! Er war keine Beamten-Natur in dem Sinne, als es ihm ja hätte reichen können, einen guten Job zu haben und fertig. Nein, er komponierte viel. Unmengen von Liedern, Instrumentalmusik, Opern und Oratorien. Daneben machte er Reisen, Konzertreisen und sang seine Lieder. Dies offensichtlich mit wirklich großem Erfolg, was auch an seiner Begabung fürs Dramatische gelegen haben muß: er muß seine Balladen mit hinreißender Dramatik interpretiert haben, was kongenial zur Musik ist. Auf seiner Konzertreise nach Wien im Jahre 1844 war er so erfolgreich, daß er den Beinamen „Der norddeutsche Schubert“ bekam, was den Wienern sicher nicht leicht gefallen sein wird. Die Kritiken stellten ihn in die Reihe der besten Sänger, sie stellten ihn als Liedkomponisten sogar über Schubert. 1847 kam er dann nach London, wo man etwas zurückhaltender urteilte, auch Jenny Lind, die schwedische Nachtigall, der Superstar, DIE Operndiva, traf ihn, schien aber nicht nachhaltig beeindruckt gewesen zu sein. Wie auch immer: in Skandinavien und schließlich 1857 in Frankreich, feierte man ihn wieder als feinen Komponisten und kongenialen Sänger. Er ist übrigens den Menschen, die Briefe sammeln bzw sich überhaupt für diese Form der Literatur interessieren, bestens bekannt als ein brillanter Schreiber. Die Briefe an seine Frau Auguste aus Wien, London und überhaupt von seinen Reisen, „make a delightful reading“ merkt der britische New Grove an. Er hatte Sinn für Details und für das Alltagsleben und einen sensiblen Stil. Heute noch als Literatur geschätzt, wie gesagt. Die Krönung seines Lebens besteht natürlich darin, daß seine Witwe kurz nach seinem Tod nach Unkel am Rhein zog, wo sie – unweit vom Haus Willy Brandts – bis zu ihrem Tod mit ihren vier Töchtern lebte. Die Stadt Unkel ehrt das Andenken an den Komponisten seit elf Jahren mit den Karl – Loewe – Musiktagen und das ist lobenswert und schön.
 
Neben den 450 Liedern hat Carl Loewe auch – und das wissen nicht viele – andere Werke geschrieben. Ich habe es ja anfangs schon angeschnitten. Er hat vier große Opern (eine davon, „Die drei Wünsche“, ist in Berlin mit enormem Erfolg aufgeführt worden) und zwei Singspiele geschrieben, drei große Szenen für Alt, Chor und Orchester und er hat Oratorien geschrieben:
„Die Festzeiten“   
„Die Zerstörung Jerusalems“
„Die eherne Schlange“
„Die sieben Schläfer“
„Die Apostel von Philippi“
„Gutenberg“
„Palestrina“
„Johan Hus“
„Der Meister von Avis“
„Das Sühneopfer des neuen Bundes“
„Hiob“
„Das Hohe Lied Salomonis“
„Polus von Atella“
„Die Heilung des Blindgeborenen“
„Johannes der Täufer“
„Der Segen von Assisi“
„Die Auferweckung des Lazarus“
 
Nun haben wir heute nicht mehr unbedingt die Zeit der Oratorien, aber schade ist es schon, daß nicht zumindest die beiden Oratorien, die damals zu seinen besten zählten, nämlich „Die Festzeiten“ oder „Der Meister von Avis“ ab und zu aufgeführt werden. Die Musikkenner, die seine Opern und seine Oratorien kennen, sind einer Meinung darüber, daß Loewe an beide Genres: Oper und Oratorium, gleich heranging. Sein Hang zu großen dramatischen Bögen, der in der Oper ja sein zu Hause hat, hat ihn auch die Oratorien unter solchen Gesichtspunkten komponieren lassen. Ich meine: in einer Zeit, wo wir gewohnt sind, ein derart überzogenes Maß an Dramatik in der Filmmusik zu hören – ich sage nur „Der Herr der Ringe“ – müßte eigentlich Loewes Sinn für Dramatik wieder in sein. Besser als Andrew Lloyd-Webber ist, finde ich, seine Musik allemal. Und auch besser als so manche Filmkomposition!
 
 
In diesem Sinne
Ihr
Konrad Beikircher

Redaktion: Frank Becker