Bericht aus einem verbotenen Land

Christian Eisert – „Kim & Struppi“

von Frank Becker

Bericht aus einem verbotenen Land
 
Wenn man im Sommer einen Tag faulenzt, hungert man im Winter zehn Tage lang.
Koreanisches Sprichwort
 
Selten habe ich 319 Buchseiten derart verschlungen wie die von Christian Eiserts „Kim & Struppi“. Kein Krimi, keine politische Abrechnung, kein knallhartes Sachbuch aber eine fesselnde und auf schreckliche Art faszinierende Mischung aus Reisebericht, Thriller und unglaublicher Familiensaga. Christian Eisert und eine Begleiterin sind 1.500 Kilometer durch die Demokratische Volksrepublik Korea, also den Norden der seit 1948 geteilten koreanischen Halbinsel gereist. Mit gefälschten Biographien – schließlich läßt Nordkorea Journalisten nicht einreisen, mit permanenter 1:1 Begleitung und ängstlicher Kontrolle durch „Reiseführer“ sowie unter ständiger Beobachtung der erdfarbenen Männer des Geheimdienstes – den „Struppis“. Das Ganze ist so absurd, daß man glatt lachen könnte, wenn es nicht so gruselig wäre.
Was als „Ferienreise“ gebucht worden war, entpuppte sich für die Reisenden als Propaganda-Tour de Force durch die heute vielleicht isolierteste düstere Diktatur der Erde, seit es das stalinistische Albanien unter Enver Hoxha nicht mehr gibt.
 
Was Christian Eisert beinahe mehr noch angetrieben hat als die journalistische Neugier auf ein abgeschottetes Land mit Steinzeitkommunismus ist ein Erlebnis seiner Kindheit als Schüler der „Schule der Freundschaft zwischen der DDR und der KDVR“. Damals nämlich, als noch Kim Il-sung an der Spitze Nordkoreas stand, sah der Junge ein Bild einer regenbogenfarbenen Wasserrutsche in einem Freizeitpark in Pjöngjang als Dokument für das Wohlergehen von Volk und Jugend. Die wollte er jetzt unbedingt im Original sehen. Also los in ein Land, das auf einem Entwicklungsstand ist wie vielleicht die VR China im Jahr 1965 und so anachronistisch wie kein anderes Land der Welt. Der Unterschied zu China unter Mao liegt darin, daß der jetzige absolute Despot Kim Jong-un Nordkorea bereits in dritter Kim-Generation beherrscht. Nach Kim Il-sung (dem Großen Führer) und Kim Jong-il (dem Geliebten Führer) ist nun ein noch titel- und gesíchtsloser Führer am Ruder, von dem man aber nicht recht weiß ob er wirklich das Sagen hat oder nur eine Marionette der Militärs ist.
 
Autobahnen ohne Autos, Hochhäuser ohne Fahrstuhl, Wasser- und Stromversorgung, Klöster ohne Mönche, Hotels ohne 5. Etage, Restaurants ohne Gäste, Verbot von Mobiltelefonen, keine freie Presse, dafür aber ausgemusterte Berliner U-Bahn-Wagen in den beiden Pjöngjanger U-Bahn-Linien, eine waffenstarrende Armee, hinter jedem Busch und Strauch ein staatlicher Beobachter, öffentliche Hinrichtungen von „Staatsfeinden“ (die südkoreanische TV-Soaps angeschaut haben) und ein Führerkult, wie ihn die Welt anderswo noch nicht gesehen hat – das sind einige der Haupteindrücke, die Christian Eisert aus Nordkorea mitgebracht hat. Die Beschreibung seiner Reise ohne jede Begegnung mit der Bevölkerung, dafür bei fast durchgehendem Regen ist beklemmend, wenn auch gelegentlich erheiternd. Mit historischen Fakten kompetent angereichert, öffnet das Buch ein Fenster zu einem verbotenen Land. Dafür unsere Auszeichnung, den Musenkuß.
 
Christian Eisert – „Kim & Struppi“
Ferien in Nordkorea
© 2014/2015 Ullstein Buchverlage, 319 Seiten, Broschur  -  ISBN-13 9783548376004
9,99 €
 
Weitere Informationen:  www.ullsteinbuchverlage.de/