Gestern Planwirtschaft und Zensur – heute Kampf um Marktanteile

70 Jahre Aufbau Verlag und kein Ende

von Jürgen Koller

Foto © Margot Koller

Gestern Planwirtschaft und Zensur –
heute Kampf um Marktanteile
 
70 Jahre Aufbau Verlag und kein Ende
 
Wer wie ich in den späten 50er Jahren im Osten damit begonnen hatte, sich eine private Bibliothek aufzubauen, mußte auf in der DDR bekannte Belletristik-Verlage zurückgreifen, sei es Rütten & Loening, Volk und Welt, Mitteldeutscher Verlag, Gustav Kiepenheuer, Sammlung Dieterich, Hinstorff, Reclam Leipzig oder Henschel als Theaterverlag. Aber primus inter pares war der Aufbau-Verlag Berlin, der bereits am 16. August 1945 im Auftrag des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands mit materieller Unterstützung und solider Anschubfinanzierung seitens der sowjetischen Besatzungsmacht gegründet wurde. Zu den vier Gründungs-Gesellschaftern gehörte auch der spätere DDR-Kulturminister Klaus Gysi. Das Wort 'Aufbau' sollte den Willen zum Neubeginn und zugleich das Fernziel Sozialismus implizieren. Johannes R. Becher hatte als Präsident des Kulturbundes und als Initiator der Verlagsgründung die Vision, die Werke der von den Nazis ins Exil vertriebenen Autoren dem deutschen Volk nahe zu bringen. Der damalige Cheflektor Max Schröder beschaffte Manuskripte von Heinrich Mann, Anna Seghers, Egon Erwin Kisch oder Arnold Zweig. Zu einem ersten Bestseller und großen finanziellen Erfolg wurde aber der dokumentarische Roman „Stalingrad“ von Theodor Plievier. Der Autor ging wenig später in den Westen und wurde dort eine wichtige Stimme in Laskys West-Berliner Monat.
Natürlich durfte in keiner privaten Bibliothek dieser frühen 50er Jahre Anna Seghers Roman „Das siebte Kreuz“ fehlen. Der Roman war erstmalig 1942 von Walter Janka, dem späteren Verlagsleiter von Aufbau, im Exil-Verlag El libro libre in Mexiko herausgegeben worden.
 
70 Jahre Aufbau-Verlag waren ein guter Grund, für diese Würdigung, meine Bücherregale einmal zu durchforsten, welche Titel von Aufbau im Laufe der Jahrzehnte für ihn interessant gewesen sind. Die Fotos zeigen als Belegbeispiele eine Auswahl an belletristischen und dramatischen Werken, die aus dem Hause Aufbau stammen. Rückblickend ist auffällig, daß der Aufbau-Verlag schon frühzeitig sein Verlagsprogramm als „Bildungsauftrag“ verstand. Mit der „Bibliothek fortschrittlicher deutscher Schriftsteller“ ab 1951 wurde im Staatsauftrag der Versuch unternommen, in bester Buchqualität – Leinen und gutes Papier – den 'Werktätigen' und der Jugend große deutsche Literaten nahe zu bringen. Das Projekt scheiterte 1954, weil der ostdeutsche Buchhandel ausgeschaltet worden war und der Vertrieb nur über die Ost-Gewerkschaft und die Jugendorganisation FDJ erfolgte. Dagegen war das Projekt „Deutsche Volksbibliothek“ sehr erfolgreich. In 14 Jahren bis 1967 wurden 118 Titel mit 4 Millionen Exemplaren herausgebracht.


Foto © Margot Koller

Um dem ideologischen Druck der SED-Führung nach Reportagen über das sozialistische Arbeitsleben zu entgehen, orientierte sich die Verlagsleitung stärker in Richtung Klassik und internationale Literatur. Seit 1955 gaben die Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten Weimar, anfangs im Volksverlag Weimar, später im Aufbau-Verlag, die „Bibliothek deutscher Klassiker“ heraus. Wie keine andere Klassikerreihe prägte sie das Bild des Verlags. Jeder Band in feiner Ganzleinenausstattung mit goldgeprägtem Rücken und anspruchsvollem Papier zum Preis von 5 Ost-Mark war ein verlegerisches Glanzstück. Die Bibliothek erschloss die deutsche Nationalliteratur vom 16. bis zum 19. Jahrhundert mit 70 Titeln und 153 Bänden. Der AbSchluß der Reihe erfolgte 1973. „In allen germanistischen Seminaren der Bundesrepublik hat man sich der Weimarer Ausgaben bedient“, erinnerte Hans Mayer 1991 im „Börsenblatt des Deutschen Buchhandels“.
 
Die „Bibliothek der Antike“ im Zeichen der Eule – griechische Reihe - und der Wölfin - römische Reihe – wurde zu einer großartigen Studiensammlung. Auch die ausländischen Klassiker wurden in den 60er Jahren gepflegt – mit aufwändigen Ausgaben wurden Balzac, Alexander Puschkin, Iwan Turgenjew, Mark Twain, Martin Andersen Nexö bedacht. 1964 erschien eine Shakespeare-Ausgabe in vier Bänden in den Übertragungen von Schlegel, Tieck und Graf Baudissin.
Auch mit bürgerlich-realistischen Autoren setzte Aufbau wesentliche verlegerische Akzente, wie beispielsweise mit Thomas Mann, der bereits 1955 mit einer repräsentativen zwölfbändigen Ausgabe zu seinem 80. Geburtstag gewürdigt wurde. Dabei muß man beachten, daß sich dies alles nur in dem von der SED vorgegebenen Rahmen – der sich in den Fünzigern ständig verengte, abspielen konnte. Andererseits profitierte der Aufbau-Verlag von der systematischen Benachteiligung der privaten Verlagskonkurrenz, was sich beispielsweise bei der Autorenauswahl oder beim Papierkontingent zeigte.
 
Dieser Tage ist aus der Feder von Carsten Wurm unter dem Titel „Gestern.heute.Aufbau / 70 Jahre Aufbau Verlag 1945 - 2015“ eine Chronik des
Aufbau Verlags erschienen. (Neuerdings verzichtet der Verlag auf den Bindestrich.) Man spürt beim Lesen der 250 Seiten, daß der Autor die Geschichte des Verlags mit all seinen Verästelungen, seinen Verlagspersönlichkeiten, seinen Lektoren, seinen Buchkonzepten, seinen verlegerischen Erfolgen, aber auch seinen kritischen Situationen der Nach-Wende-Zeit bis ins Detail beherrscht. Kein Wunder, denn Wurm hat mit einer Dissertation zur Geschichte des Aufbau Verlages 1996 an der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert. An den einzelnen Chronikabschnitten wird ablesbar, wie seitens des SED-Regimes auf Perioden rücksichtslosen Eingreifens in die Belange der Verlage Zeiten einer umgänglicheren Haltung gegenüber Literaten und Lektoren folgten. Nach der ungarischen Revolution von 1956 wurde das DDR-Kulturleben restalinisiert. Die Verhaftung des Lektors Wolfgang Harich im November und die Festnahme von Walter Janka im Dezember 1956 hatten für den Aufbau-Verlag einschneidende Folgen. Harich wurde zu zehn Jahren und Janka zu fünf Jahren Zuchthaus wegen „Boykotthetze“ verurteilt. Während sich Harich schuldig bekannte, ließ sich Janka zu keinem Geständnis erpressen. Es wäre interessant für den Leser der Chronik, hätte Carsten Wurm auf das beschämende Verhalten der dem Prozeß beiwohnenden Anna Seghers und anderer Literaten, aber auch auf die feige Von-Nichts-Wissen - Haltung von Kulturminister Johannes R. Becher verwiesen. Bedauerlich auch, daß die Forderungen nach Freilassung der beiden Aufbau-Mitarbeiter durch weltweit bekannte Persönlichkeiten keine Erwähnung fanden. So intervenierte beispielsweise Erika Mann bei Becher, Katja Mann schrieb persönlich an Chruschtschow und Nobelpreisträger Halldor Laxness - Aufbau Autor – wandte sich an Präsident Wilhelm Pieck.
 
Die Stasi war seit der Verhaftung von Harich und Janka dauerhaft im Verlag aktiv. Nachfolger Jankas wurde Klaus Gysi, der sich in einer Plauderei selbst als Informeller Mitarbeiter der Stasi dekonspirierte. Gysi stoppte das Verlagsprogramm, weil es von bürgerlicher Dekadenz geprägt sei - G.B.Show, Hemingway, Sartre, Nekrassow, Moravia u. andere – es folgte eine Zeit der Stagnation. Wegweisend war allerdings der Start des Taschenbuchprogramms „bb“ (steht für 'billige Bücher') im Jahre 1958. Anfänglich folgte die bb-Reihe den Tendenzen des Programms des Verlags, später mit Öffnung des Verlagsprogramms folgten Autoren und Richtungen der bürgerlichen deutschen und ausländischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Der Einheitspreis betrug über all die Jahre 1,85 Ost-Mark, der Doppelband kostete 2,95 Mark. Bis 1991 wurden 622 Titel mit einer Gesamtauflage von ca. 39,5 Millionen unter das Lesevolk gebracht. In den 60er Jahren verfolgte Aufbau eine Verlagspolitik des vorsichtigen Öffnens Richtung Westen. Zum einen begann der Verlag in Lizenz von Suhrkamp mit der Herausgabe der 14 Bände der Stücke von Bertolt Brecht (– der listige B.B. hatte die Rechte an Suhrkamp gegeben, zugleich aber ausgehandelt, daß der Aufbau-Verlag für die DDR die Lizenz erhalten sollte.) Zum anderen konnten Bühnenstücke von Jean-Paul Sartre oder Tennessee Williams erscheinen. Die internationale Literatur hielt verstärkt Einzug in das Verlagsprogramm. Mit dem Ende des Prager Frühlings im August 1968 setzten erneut politische Restriktionen ein, wieder mußten Bücher mit kritischem Inhalt auf Drängen der SED makuliert werden. Großen Erfolg hatte die „Bibliothek der Weltliteratur“ mit 65 Titeln bis 1991. Mit der Reihe „Edition Neue Texte“ (seit 1971) erhielt die neue deutsche und ausländische Literatur ein Forum. Auch die „Taschenbibliothek der Weltliteratur“ wurde zum verlegerischen Erfolg – bis 1990 erscheinen 101 Titel in 11 Millionen Exemplaren. Ab 1972 übernahm der Verlag das Werk von Christa Wolf. In der Folge der Zwangsausbürgerung von Wolf Biermann 1976 verließen Kurt Bartsch, Sarah Kirsch, Günter Kuhnert, Joachim Seyppel und andere Hausautoren des Verlags die DDR. Ein aktuelles Thema war noch immer die Zensur – nach langwierigen Auseinandersetzungen konnte 1980 Erwin Strittmatters 3. Band des „Wundertäters“ erscheinen.


Foto © Margot Koller

In der Chronik von Carsten Wurm wird noch ein formaler Akt erwähnt – in einer Vereinbarung vom 19. April 1984 zwischen dem Ministerium für Kultur und dem ZK der SED wurde der Aufbau-Verlag als parteieigener Verlag benannt. Über den Eigentümerwechsel vom Kulturbund zur SED gibt es keinerlei Dokumente, das sollte nach der Vereinigung Deutschlands noch ein fatales Nachspiel haben. Bis zur Wirtschafts- und Währungsreform am 1. Juli 1990 hatte der Aufbau-Verlag rund 1400 Erstauflagen in 125 Millionen Exemplaren produziert. Aber die Jahre, wo sich der Aufbau-Verlag als „Suhrkamp des Ostens“ verstand, waren vorbei. Der Verlag wurde eine GmbH i.A. der Treuhandanstalt, zuvor hatte der PDS- Vorstand beschlossen, den Verlag aus Parteieigentum in Volkseigentum zu überführen. Mit der deutschen Einheit brach der Umsatz ein. Buchinteressenten in den neuen Bundesländern – wenn sie überhaupt Bücher kauften - orientierten sich an den besser ausgestatteten Publikationen der West-Verlage. Der Frankfurter Investor Bernd F. Lunkewitz erwarb am 1. Oktober 1991 den Aufbau-Verlag und Rütten & Löning von der Treuhandanstalt. Auch der Kulturbund e.V. wurde aktiv, er klagte vor Gericht seine Eigentumsansprüche an Aufbau ein. Lunkewitz verklagte daraufhin die Nachfolgerin der Treuhand, die „Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben“; zugleich erwarb er die Anteile des Kulturbunds am Aufbau-Verlag. In dieser Zeit untersuchte die Staatsanwaltschaft die Praktiken der sogenannten Plusauflagen. Es kam zu Durchsuchungen der Verlagsräume und von Privatwohnungen der drei Geschäftsführer. Das DDR-Kulturministerium hatte einst verfügt, daß über die Lizenzvereinbarung mit West-Verlagen hinaus größere Auflagen, zum Teil doppelt, manchmal bis zum Zehnfachen, gedruckt wurden. Diese illegalen Gewinne mußten an die Staatskasse abgeführt werden, selbige wurden dann an die SED weitergeleitet. Das waren eindeutig kriminelle Handlungen – es war Betrug an den Lizenzgebern und deren Autoren. Nach sechsjährigen Untersuchungen der Staatsanwaltschaft kam es zu einem Vergleich. Da es sich um Staatskriminalität handelte und sich weder die Verlage - auch Aufbau war involviert gewesen – noch die Geschäftsführer bereichert hatten, wurden die Ermittlungen eingestellt, und die Treuhand zahlte an die geschädigten West-Verlage einen Ausgleich. Gern hätte der Leser der Chronik erfahren, bei welchen Lizenzdrucken des Aufbau-Verlags Plusauflagen gedruckt worden waren – aber da schweigt sich Chronik-Autor Wurm aus.
 
Bücher wurden in diesen Jahren des Umbruchs natürlich auch herausgebracht – so erschien Strittmatters Alterswerk „Der Laden, dritter Teil“ 1992, das zumindest im Osten ein großer Verkaufserfolg wurde. Der neugegründete Aufbau Taschenbuch Verlag hatte einen guten Start und stellte zur Leipziger Buchmesse 1991 sein Programm vor. Mitte der neunziger Jahre stießen Victor Klemperers Tagebücher 1933 bis 1945 „Ich will
 
Zeugnis ablegen bis zum letzten“ auf außerordentliche Resonanz im In- und Ausland. Ähnlich große Anerkennung fand die 1997 erschienene Feuilleton-Sammlung von Alfred Kerr „Wo liegt Berlin? Briefe aus der Reichshauptstadt 1895 -1900“. Die Wiederentdeckung der jung verstorbenen Brigitte Reimann ist eines der großen Verdienste von Aufbau in den Neunzigern. “Ich bedaure nichts“, 1997, und „Alles schmeckt nach Abschied“, 1998, „sind einzigartige Zeugnisse eines ruhelosen, leidenschaftlichen, kreativen Lebens und zugleich Zeitdokumente...“, heißt es bei Carsten Wurm. Groß-Kritiker Marcel Reich-Ranicki hob im „Literarischen Quartett“ diese Edition des Aufbau-Verlags hervor. Der Verlag verlor nach der Wende auch bedeutende Autoren. Christa Wolf wandte sich ab, ebenso Christoph Hein – über die Gründe erfährt man nichts. Daß mit aufwändigen Editionen von Klassikern kaum noch Geld zu verdienen ist, belegte 2005 die kommentierte Berliner Schiller Ausgabe zum 200. Todestag des großen Weimarer Klassikers. Nur 100 Exemplare wurden vom Buchhandel geortert. Lunkewitz hatte schon früher das Spektrum seiner Verlagsgruppe um sog. 'Strandkorb-Literatur' erweitert. Bei Rütten & Loening wurde „Die Päpstin“ von Donna W. Cross zum größten Bucherfolg der Verlagsgruppe. Nach 14 Jahre währenden Prozessen stellte der Bundesgerichtshof in Karlsruhe 2008 letztinstanzlich fest, daß der Kulturbund ununterbrochen Eigentümer des Aufbau - Verlags bis zum Verkauf an Bernd F. Lunkewitz war. Im gleichen Jahr verweigerte Lunkewitz der Verlagsgruppe weitere Finanzmittel – Aufbau mußte in die Insolvenz gehen. Im Oktober 2008 erwarb Immobilieninvestor Matthias Koch die Verlagsgruppe. Ein großer editorischer Erfolg wurde für den neuen Eigentümer des Aufbau-Verlags Hans Falladas erstmals in ungekürzter Originalfassung publizierter Roman „Jeder stirbt für sich allein“. Fallada wurde für Deutschland neu entdeckt, nachdem das Werk im Ausland so große Resonanz gefunden hatte. Die Aufbau Verlagsgruppe zog 2011 in das Aufbau Haus am Moritzplatz in Berlin, das von Matthias Koch als Kreativzentrum errichtet wurde.
Das mittelständige Verlags-Unternehmen sieht sich auf einem guten Weg, wenngleich für das Überleben als eigenständige Verlagsgruppe unabdingbar ist, daß neue, zugkräftige, eben relevante Gegenwartsautoren gefunden und an den Kernverlag gebunden werden müssen.
 
Carsten Wurm – „70 Jahre Aufbau Verlag“
Gestern. Heute. Aufbau.
© 2015 Aufbau Verlag, 255 Seiten, Klappenbroschur - ISBN 978-3-351-03608-9
12,00 € / 17,90 Sfr
 
Informationen auch unter: www.aufbau-verlag.de/