Bestsellerfressen

„Die Christian-Anders-Biographie“ von Liselotte Millauer

von Wolfgang Nitschke

Wolfgang Nitschke - © Manfred Linke / laif
Es fährt ein Zug ins Irrenhaus
 
„Die Christian-Anders-Biographie“
von Liselotte Millauer
 
Meine Damen und Herren!
Die meisten von Ihnen werden ihn kennen aus seiner erfolgreichen Zeit, in der er sich zum Schlageraffen machte. Später ging Anders ne zeitlang mal als Nerv-Guru in Pumphose. Und manche erinnern sich noch an das erschütternde Photo, das ihn als angeketteter Nackedei vor einem Knast zeigte, in dem sein nicht minderbegabter Bruder wegen Falschgeld einge­locht war. Seine Lieblingsnummer aber ist zur Zeit diese hier:
„Ich hab mein’ Jesus, mein’ Jesus so lieb.
Er ist Gottes Sohn, der sein Leben mir gibt.
Durch seinen Tod bin ich neu geboren.
Ohne mein’ Jesus, da wär’ ich verloren.“


Yo! Das ist Christian Anders!
Zugabe?
Okay. Sie haben’s nicht anders gewollt:
„Die Welt ist böse, die Menschen sind schlecht.
Der Arme muß leiden, der Reiche kriegt Recht.
So hab’ ich gedacht, bis Jesus ich fand.
Er hat mich gerettet, nahm mich bei der Hand.
Und darum hab ich mein’ Jesus so lieb.“


Er singt auch schon mal frei von der lädierten Leber weg alt-buddhisti­schen Firlefanz – wie z.B.: „Om om mani padme hum hum hum“.
Und zwischendurch kreiert er so luzide Bücher wie „Das Buch des Lichts“, „Der wahre Bankenschwindel“ und „Der Mann, der Aids erschuf“ - alles keine Romane, sondern Sachbücher! Oder auch
„Der Sinn des Lebens, Teil I“ & „Der Sinn des Lebens, Teil II“, übrigens sein Opus magnissimum, von dem er behauptet, daß es „dem­nächst alle anderen Bücher dieser Welt überflüssig machen wird.“
Der Mann is gut, ne?

„Die Mama ist tot, der Papa ist weg.
Manchmal, da fühl’ ich mich wie der letzte Dreck.
Ich bin ein Versager, in Sünde geboren.
Ohne mein’ Jesus, da wär’ ich verloren.
Danke, Jesus, danke.“

Ja, danke schön.

Liebe Gemeinde!
Ich geh mal davon aus, daß Sie Dieter Bohlen nicht mögen. Aber wenn es um Leute aus dem Reich der Verwesung geht, ist der Dieter bekanntlich ein wertvoller Zeuge. In Bohlens „Nichts als die Wahrheit“ finden wir unter der Überschrift „Es fährt ein Zug ins Irrenhaus“ folgende Passage über Christian Anders:
„Schon damals, vor über 20 Jahren, war er bereits ein bißchen gaga. Zusammen mit seinem Produzenten Peter Wagner lud ich ihn in das feinste Restaurant von Berlin ein, um ihm einen Titel zu verkaufen. Hätte ich vielleicht nicht tun sollen. Denn während wir noch redeten, begann sich Christian gelangweilt übers Kinn zu streichen und meinte dann plötzlich zum Kellner: ‚Hey, mach da mal den Spiegel von der Wand!’
Da er immerhin mal der große Anders gewesen war, hängten sie wie gewünscht den Spie­gel ab und pflanzten ihn direkt vor seine Nase. Daraufhin nahm Christian beide Zeigefinger und drückte sich mit einem lauten Plopp einen Pickel aus, der mit anschließen­dem Platsch auf dem Spiegel landete, während die Leute um ihn herumsaßen und aßen.“

„Manchmal bin ich traurig, fühl mich so allein.
Ich frag mich, warum muß denn das so sein.
Ich hör eine Stimme von oben herab.
Weißt du denn nicht, wie lieb ich dich hab?“

Beziehungsweise, wie gesagt:
„Om om mani padne hum hum hum.“

Meine Damen und Herren!
In den 70er Jahren hatte er an Abermillionen deutschen Schlageridioten, also an armen Menschen, die es auch nicht anders wollten, Millionen verdient, Millionen, die er dann direkt am Finanzamt vorbei in den Zug nach Nirgendwo setzte. Oder, wie es seine charmante Biographin, die ihm hörige WELT AM SONNTAG-Schriftstellerin Liselotte Millauer mit einem doch eher krittelndem Unterton formuliert, „versoff, verzockte und vervögelte“.
Irgendwann war die schöne Asche also weg. Was war nun zu tun? In Amerika, so hatte ihm sein kleiner Mann im Ohr wohl mal geflüstert, könnte man sich locker durch die Gegend schmarotzen. So machte er flugs, da seine Eisenbahn hier eh längst abgefahren war, den eiligen Flattermann, ließ sich nieder in LA, ging ab da auch nicht mehr zum Friseur und gab einmal pro Monat im lokalen Pay-TV den erlauchten Bettelbuddha mit Bongo und Klampfe: Supersprüche aus dem Buche Hanebüchen zur Gitarre gegen kleine Spenden. Die Amis waren größ­tenteils leicht irritiert bis konsterniert. Aber weil die Stadt Los Angeles heißt und in jedem Land Bekloppte leben, kriegte er so zumin­dest die Miete für seine Gartenhütte zusammen.
„Die Mama ist tot, der Papa ist weg.
Manchmal, da fühl ich mich wie der letzte Dreck.
Ich bin ein Versager, in Sünde geboren.
Ohne mein Jesus, da wär ich verloren.“

Beziehungsweise:
„Om om mani padne hum hum hum“.

In den 90ern hatte er dann das starke Gefühl, daß Deutschland wieder auf ihn warten würde, und wandelte mit Jesus, Om und Humtata übern großen Teich zurück – und mit im Gepäck seine neueste wissenschaft­liche Abhandlung „Darwin irrt“.
In „Darwin irrt“ bekundet er nicht nur, daß Mr. Darwin auf dem falschen Dampfer gewesen sei, sondern auch, „daß der Affe vom Menschen abstammt und nicht umgekehrt.“ In Kurzform: Äh, den Menschen hätt’s schon immer gegeben! Den Affen aber erst später und zwar nur deshalb, weil sich irgendwann irgendwelche abwegigen Leute mit irgend­welchen Tieren eingelassen hätten.
Für Dieter Thomas Heck, Peter Orloff und die anderen Schlagerprimaten war das alles zunächst kein Problem. Man tourte wie üblich mit irrem Gefolge, Tamtam und der „Deutschen Hitparade“ durch sämtliche Mammutscheunen des Landes, das Volk schunkelte, sang und sprang auch programmgemäß und wie immer willig auf den Zug nach Nirgendwo. Und privat, zu Hause, hätte dieses Volk auch alle seine Affentheorien in toto unterschrieben: z.B. daß er „die Wiedergeburt von Wolfgang Amadeus Mozart“ sei, daß Jesus nicht in Jerusalem gestorben sei, „sondern als Auserwählter bei einer Einweihungs­zeremonie in der Cheops-Pyramide“, ferner „daß das jüdische Groß­ka­pital die Welt beherrsche“, „die Amis das World Trade Center selbst bombardiert“ hätten, „die Mond­landung in Hollywood gedreht“ worden sei & „der Mossad seine Finger ..“ undundund. Und natürlich seine tolle Affennummer.
Eine dieser Theorien zwischen seinen Songs mal von der Bühne runter wär’ ja okay gewesen! Aber nicht jeden Abend die komplette Litanei! Während seiner Auftritte wurde das Volk also von om zu om ungehalte­ner, begann zu mosern und zu murren, um am Ende dann zu meutern. Meine Damen und Herren! Nach ’45 ist man halt auch in der Schlager­community der Meinung, daß man nicht immer so dolle übertreiben sollte. Zumal das Volk, wenn es schunkeln möchte, eben auch nur schunkeln möchte. So mußte denn selbst seine liebe Biographin, die Liselotte Millauer betrübt einsehen:
„Christian erkannte in seiner Realitätsferne nicht, daß er seinen Ruf nicht nur bei intelligenten Leuten schädigte, sondern auch bei seinen Fans.“
Oder wie es die alte Schlager­haubitze Uwe Hübner ausdrückt:
„Wir wußten ja, daß er einige dunkle Stellen hat. Aber nicht, wie tief das Loch wirklich war.“

So wird es wohl bei Bierzelten und Möbelcentern bleiben. Was mich nur wundert, ist, daß er nicht beim Kölner Weltjugendtag aufgekreuzt ist. Ich finde: Wenn sich da einer an der Gitarre hätte vergreifen sollen, dann wär das ja wohl der Christian gewesen, der Anders, der etwas andere Christ. Aber möglicherweise läßt sich der nächste Evangelische Kirchentag ja erweichen und von ihm foltern. Die sind da manchmal offener.
„Ich hab mein’ Jesus, mein’ Jesus so lieb.
Er ist Gottes Sohn, der sein Leben mir gibt.
Durch seinen Tod bin ich neu geboren.
Ohne mein’ Jesus, da wär’ ich verloren.“

Beziehungsweise:
„Om om mani padne hum hum hum.“

Aug. 2005