„Vater und Sohn” seit 70 Jahren beim Südverlag!

Reminiszenzen

von Joachim Klinger

© Südverlag
„Vater und Sohn”
seit 70 Jahren beim Südverlag!
 
Natürlich habe ich die broschierten Bildbände mit den „Streichen und Abenteuern” von Vater und Sohn, die in den 30er/40er Jahren des 20. Jahrhunderts erschienen, besessen. Kinderlose Tanten des weitläufigen Familienverbandes hatten sie mir, dem einzigen Nachwuchs und „Stammhalter”, geschenkt. Aber wie sahen sie nach Jahren intensiven Gebrauchs aus?! Zerfleddert durch und durch! Dabei war ich, der stolze Besitzer, durchaus sorgsam mit ihnen verfahren. Aber im Kreis meiner Freunde waren sie von Hand zu Hand gegangen; mancheiner mag ungeduldig daran gezerrt haben, während sich ein anderer noch in die Bildergeschichten vertiefte.
Dabei darf ich anmerken, daß ich meine Kindheit im „Ruhrpott”, und zwar im Dortmunder Süden, verbracht habe. Meine Spielkameraden stammten fast ausnahmslos aus Arbeiterkreisen oder waren die Kinder von Kleinbauern. Bücher gab es daheim nicht. Wir dagegen hatten jede Menge Bücher zu Hause – Vater und Großvater waren Lehrer -, und ich verlieh großzügig.
 
Als wir nach dem Krieg wieder daran denken konnten, uns nach der Ergänzung unserer Habseligkeiten umzusehen, entdeckte ich in einer Buchhandlung einen Vater und Sohn-Bildband. Er hatte ein anderes, etwas kleineres Format. Auf leuchtend rotem Hintergrund jagten Vater und Sohn auf einem flotten Pferd dahin. Erster Band! Erschienen war der Bildband im Südverlag, Jahreszahl: „1949”, Auflage: 106.-109. Tausend „der neuen Ausgabe”. Es gab ein „Nachwort” – ohne Namensnennung -, das klug und einfühlsam auf die Vater-Sohn-Beziehung einging, die Kunst des Zeichners beschrieb und sich sogar mit Einwänden von strengen Erziehern und anderen Bedenkenträgern auseinandersetzte. Über den Künstler Erich Ohser sagte das Nachwort nur verhalten: „Er schied in den Jahren des großen Krieges und der Schrecken auf eine sehr traurige Weise aus dem Leben.”
Eine Aussage, die schnell unterging, denn wir hatten ja alle die Schrecknisse des Krieges erlebt.
Was für mich aufregend war, das lag in einer verheißungsvollen Ankündigung der letzten Buchseite: „Es gibt noch zwei andere Bände mit Bildergeschichten von Vater und Sohn, sie sind blau und gelb eingebunden.”
Muß ich erwähnen, daß ich beide erwarb? Eine Selbstverständlichkeit! Und mein unwiderstehliches Interesse wurde belohnt! Ich stieß auf für mich ganz Neues: Vater und Sohn im Reichtum („Himmel, wir erben ein Schloß!”) und Vater und Sohn auf der einsamen Insel (als Schiffbrüchige bzw. ausgebüxte Passagiere).


Was für eine schöne Überraschung! Im Vorwort – diesmal mit Namensnennung Hans Ohl – wurden die beiden neuen Lebensabschnitte erläutert und der rührende Abgang der beiden Protagonisten sinnreich gedeutet. Vater und Sohn am Sternenhimmel!
 „Da schweben sie nun und leuchten und lächeln auf uns herab. Wir lächeln zurück, zufrieden darüber, daß wir sie nicht aus den Augen verlieren.”
 
Es ist so viel Gutes, Schönes und Richtiges über die Bildergeschichten von Vater und Sohn sowie den Künstler Erich Ohser, der sich im Dritten Reich e.o. plauen nennen mußte, geschrieben worden, daß es schwer wird, noch etwas Positives hinzuzufügen. Vielleicht hilft da ein Blick in meine Kindheit zwischen 1932 und 1945. Im Nachhinein muß ich mich wundern, daß Vater und Sohn als Typen problemlos angenommen wurden. Sie entsprachen in ihrem Äußeren so gar nicht den Leitbildern, die uns im Nationalsozialismus nachdrücklich vorgestellt wurden. Der deutsche Junge hatte sein Haar in Streichholzlänge zu tragen und seinen Körper sportlich zu üben. „Sohn” hatte einen Struwwelpeter-Haarschopf (nicht mal einen Scheitel!), und seine mickerige Gestalt entzog sich der sportlichen Ertüchtigung. Und erst einmal der „Vater”! Kahlköpfig und rundlich, struppige Augenbrauen und einen ungepflegten Nietzsche-Schnurrbart – wahrhaftig kein Deutscher nordisch-germanischer Prägung! Zeigte sich da ein slawischer Einschlag?
Uns Kindern machte das überhaupt nichts aus. Wir liebten Vater und Sohn, weil wir sie als herrliche Kumpel empfanden. Wir wollten nicht aussehen wie „Bilderbuch-Kameraden”, und unsere Väter entsprachen kaum den Recken des deutschen Sagenschatzes. Die im Unterricht verkündete Rassenlehre blieb blaß und wirkungslos. Wir musterten uns gegenseitig und grinsten …
 
Wenn ich heute an die Deutschen mit dem sogenannten Migrationshintergrund denke, dann könnten sie vielleicht in Vater und Sohn Landsleute erkennen, z.B. vom Balkan oder aus Portugal oder gar aus der Türkei. Eine aktuelle Beziehung neuer Freunde von Vater und Sohn ist vorstellbar. Natürlich bedürfen einige Bildergeschichten der Erläuterung, weil sie von früheren Verhältnissen und Zeiten geprägt sind und erst vor dem Hintergrund vergangener Denk- und Verhaltensweisen ganz verständlich werden. Die Frische und Lebendigkeit vieler Streiche und Abenteuer wird aber manifest, wenn man die Freude der Enkel-Generation, in Deutschland und im Ausland, miterlebt.
Und noch etwas Anderers kommt mir in den Sinn. Vater und Sohn sind uns auch deshalb so nahe, weil sie uns ähnlich sind, ähnlich in unserer Haltung und in unserem Tun. Sie sind Kleinbürger wie wir, die sich an Kleinigkeiten erfreuen können und das „Kleine Glück” suchen. Die friedliche Harmlosigkeit schließt nicht aus, daß uns hin und wieder der Kragen platzt. Aber zu Gewalttätigkeiten neigen wir nicht.
 
Die aktuelle Bilderwelt ist voller Horror- und Panikszenen. Da wäre es vielleicht gut, mit freundlicher Sanftmut dagegegenzuhalten. Es gibt immer noch eine Normalität, die einen Kern von Güte und Anstand bewahrt.
Zeichnerisch ist das nicht selten zum Ausdruck gebracht worden. Ich denke etwa an „Dackel Willi und Familie Kaiser” von Hans Kossatz oder an den liebenswürdigen Junggesellen „Fäustchen”, den Horst von Möllendorff in die Welt geschickt hat. Nostalgische Illusion, antiquierter Rückgriff? Keineswegs! Jean Jacques Sempé erfreut uns seit Jahrzehnten mit köstlichen Zeichnungen, die den „kleinen Mann” ins Zentrum der Beobachtung stellen. Dieser petit bonhomme Monsieur Dupont oder Martin ist durchaus interessant in seiner unscheinbaren und zugleich hintergründigen Art. Er kann uns überraschend vor Augen
führen, was mit uns los ist – bei aller Durchschnittlichkeit.
Es wäre eine schöne Aufgabe für einen Verlag, Bildergeschichten der sanften, menschenfreundlichen Art in einem Großband zu versammeln. Eine längst fällige Würdigung der hervorragenden Zeichner, die uns manche erbauliche Stunde beschert haben! Ich nenne nur Horst von Möllendorff, Hans Kossatz, Hans-Jürgen Press und Gerhard Brinkmann.
 
Und so sind durch sie durch die von Südverlag in einer prachtvollen Gesamtausgabe sowie in schwarz/weißen und kolorierten Einzelbänden und jetzt auch Adress- und Notizbüchern, einem Kalender und  einer kolorierten Jubiläumsausgabe weiter präsent.
 

Weitere Informationen:
www.suedverlag.de  -  und:  www.musenblaetter.de
 

Redaktion: Frank Becker