Rheinsberg

Auszug aus „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“

von Theodor Fontane


Rheinsberg
 
Wir kommen von dem drei Meilen entfernten Ruppin und lassen uns durch die Sandwüste nicht beirren, die, zunächst wenigstens, hüglig und dünenartig vor uns liegt. Fragt man nach dem Namen dieser Hügelzüge, so vernimmt man immer Wieder „die Kahlenberge“. Nur dann und wann wird ein Dorf sichtbar, dessen ärmliche Strohdächer von einem spitzen Schindelturm überragt werden. Mitunter fehlt auch dieser. Einzelne dieser Ortschaften (z. B. Braunsberg) sind von französischen Kolonisten bewohnt, die berufen waren, ihre Loire-Heimat an dieser Stelle zu vergessen. Harte Aufgabe. Als wir eben genanntes Braunsberg passierten, lugten wir aus dem Wagen heraus, um „französische Köpfe zu studieren“, auf die wir gerechnet. „Wie heißt der Schulze hier?“ fragten wir in halber Verlegenheit, Weil wir nicht recht wußten, in welcher Sprache wir sprechen sollten. „Borchardt.“ Und nun waren wir beruhigt.
Die Wege, die man passiert, sind im großen und ganzen so gut, wie Sandwege sein können. Nur an manchen Stellen, wo die Feldsteine wie eine Aussaat über den Weg gestreut liegen, schüttelt man bedenklich den Kopf in Erinnerung an eine bekannte Kabinettsorder, darin Friedrich der Große mit Rücksicht auf diesen Weg und im Ärger über 195 Tlr. 22 Gr. 8 Pfg. zu zahlende Reparaturkosten ablehnend schrieb: „Die Reparation war nicht nöthig. Ich kenne den Weg und muß mir die Kriegs-Camer vohr ein großes Beest halten, um mir mit solches ungereimtes Zeug bei der Nahse kriegen zu wollen.“ Der König hatte aber doch unrecht, „trotzdem er den Weg kannte“. Erst auf dem letzten Drittel wird es besser; im Trabe nähern wir uns einem hinter reichem Laubholz versteckten, immer noch rätselhaften Etwas und fahren endlich, zwischen Parkanlagen links und einer Sägemühle rechts, in die Stadt Rheinsberg hinein.
Die alte Glocke zu Rheinsberg schlägt eben vier und läßt uns die Vermutung aussprechen, daß selbst der Nachmittagsschlaf eines vierundachtzigjährigen Kastellans nunmehr zu Ende sein könne. Unser heiterer Freund antwortet mit einem ungläubigen „wer weiß“, ist aber nichtsdestoweniger bereit, die Führung bis ins Schloß zu übernehmen und uns seinem „Gevatter“ vorzustellen. Unterwegs warnt er uns in humoristischer Weise vor den Bildererklärungen und Namensunterstellungen des Alten. „Sehen Sie, meine Herren, er hat eine Liste, auf der die Namen sämtlicher Porträts verzeichnet stehen, aber er nimmt es nicht genau mit der Verteilung dieser Namen. Einige Porträts sind fortgenommen und in die Berliner Galerien gebracht worden, was unseren Gevatter aber wenig kümmert; er stellt Ihnen nach wie vor Personen vor, die sich gar nicht mehr im Schlosse zu Rheinsberg befinden. Prinzeß Amalie namentlich, die schon bei Lebzeiten so viel Schweres tragen mußte, muß auch im Tode noch allerlei Unbill über sich ergehen lassen, und jedes Frauenporträt, das der Wissenschaft der Kunstkenner und Antiquare bisher gespottet hat, ist sicher, als 'Schwester Friedrichs des Großen' genannt zu werden. Sie werden sie in Hofkostüm, in Phantasiekostüm und in Maskenkostüm kennenlernen; besonders mache ich Sie auf ein Kniestück aufmerksam, wo sie in Federhut und schwarzem Muff erscheint. Die Kehrseite des Bildes wäre Wohltat gewesen.“ Unter solchem Geplauder haben wir die der Stadt zu gelegene Rückseite des Schlosses erreicht, passieren den Schloßhof, steigen in ein bereitliegendes Boot und fahren bis mitten auf den See hinaus. Nun erst machen wir kehrt und haben ein Bild von nicht gewöhnlicher Schönheit vor uns. Erst der glatte Wasserspiegel, an seinem Ufer einen Kranz von Schilf und Nymphäen, dahinter ansteigend ein frischer Gartenrasen und endlich das Schloß selbst, die Fernsicht schließend. Nach links hin dehnt sich der See, wohin wir blicken, ein Reichtum von Wasser und Wald, die Bäume nur manchmal gelichtet, um uns irgendein Denkmal auf den stillen Grasplätzen des Parks oder eine Marmorfigur oder einen „Tempel“ zu zeigen.
Das Schloß war in alten Tagen ein gotischer Bau mit Turm und Giebeldach. Erst zu Anfang des vorigen Jahrhunderts trat ein Schloßbau in französischem Geschmack an die Stelle der alten Gotik und nahm dreißig Jahre später unter Knobelsdorffs Leitung im wesentlichen die Formen an, die er noch jetzt zeigt. Eine Beschreibung des Schlosses versuche ich nur in allgemeinsten Zügen. Es besteht aus einem Mittelstück (corps de logis) und zwei durch eine Kolonnade verbundenen Seitenflügeln. In Front der See. Mehr eine Eigentümlichkeit als eine Schönheit bilden ein paar abgestumpfte Rundtürme, die sich an die Giebel der Seitenflügel anlehnen.
Langsam nähern wir uns wieder dem Ufer, befestigen den Kahn am Wassersteg und schreiten nun plaudernd unsern Weg zurück. Unter der Kolonnade machen. wir halt und rekapitulieren die Geschichte des Orts. Es ist nötig, sie gegenwärtig zu haben.
 
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Auszug aus Theodor Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg