Der Spott der kleinen Dinge

Etikettenschwindel

von Lars von der Gönna

© Heiko Sakurai
Etikettenschwindel
 
Neulich habe ich an dieser Stelle berichtet, daß ich im Freizeitpark meiner Kindheit war. Daraufhin hat es Beschwerden von Lesern gegeben.
    Die Leser haben sich sinngemäß über den regelmäßigen Etikettenschwindel in meinen Kolumnen beklagt. Mustergültig habe man diesen beim letzten Mal nachgewiesen gesehen. Dort nämlich habe der erste Satz gelautet, daß ich im Freizeitpark meiner Kindheit war. Der Text habe aber hauptsächlich erst vom WC und später von Bodo Hauser gehandelt und so gut wie gar nicht vom Freizeitpark oder meiner Kindheit. Ein pensionierter Amtsrichter aus Dortmund-Marten nannte mein Vorgehen unseriös. Juristische Schritte schloß er aber aus.
    Tatsächlich haben diese Leser enthüllungsjournalistisch ein Meisterstück geleistet. Sie – und nicht etwa das halbe Dutzend Headhunter, das mich Ende des letzten Jahrhunderts in meinen Spitzenjob katapultiert hat – haben erkannt, wie fahrlässig ich arbeite. Wie selten ich Versprechen einlöse. Wie kaltblütig ich Nachrichten für meine hedonistischen Zwecke ausbeute. Wie hemmungslos ich mich einem selbstgedrechselten Thesen-Journalismus hingebe, um in den letzten vier Zeilen mit einer hemdsärmeligen „So what?!“-Konklusion die Brocken hinzuwerfen. – Ich danke allen für die Post.
    Vor diesem Hintergrund wäre es nur recht und billig, die Freizeitpark-Erlebnisse schnellstens möglichst vollständig aufzuschreiben. Es ist nicht möglich. Ich habe meinen Block verloren. Ohne Block bin ich nichts. Seine Macht ist total. Wenn ich etwas in den Block schreibe, weiß ich, daß ich es mir nicht merken muß. Im Freizeitpark meiner Kindheit habe ich praktisch unentwegt geschrieben. Vermutlich war es so etwas Innovatives wie eine Abrechnung mit der Spaßgesellschaft. Ich weiß es nicht mehr.
    Meine Frau, die gut darin ist, mich an Sachen zu erinnern, die ich verdrängt habe (Walking-Stöcke zum Sperrmüll bringen etc.), hat versucht, die ins Unterbewußtsein gerutschten Freizeitpark-Erlebnisse zu aktivieren. Sie hat, als ich Blockloser ihr von den enttäuschten Lesern erzählte, eine Duftkerze angemacht, mir ein Heizkissen gebracht und gesagt, ich solle mich entspannen. Ich fiel in einen traumlosen Schlaf. Meine Frau will dabei das Wort „Marienkäferachterbahn“ gehört haben.
 
 

© Lars von der Gönna - Aus dem Buch „Der Spott der kleinen Dinge“
mit freundlicher Erlaubnis des Verlags Henselowsky Boschmann und der WAZ.