Geständnis

von Hanns Dieter Hüsch

© Jürgen Pankarz

Geständnis

Ich muß Ihnen was gestehn
Es fällt mir gar nicht leicht
Das würde Ihnen nie passieren
Ich will es auch nicht wieder tun:
Ich habe „Bild“ gelesen
Ich hab schon ein paarmal „Bild“ gelesen
Jetzt ist es raus
Jetzt bin ich erleichtert
Ich habe aber immer gleich danach den „Spiegel“ gelesen
Oder, beim letztenmal habe ich den „Spiegel“ vorher gelesen
Und dann erst habe ich „Bild“ gelesen
Ich lasse „Bild“ immer im Zug liegen
Ich lege „Bild“ immer heimlich weg
Wenn ein Herr mir gegenübersitzt und die „Zeit“ liest
Dann hole ich den „Spiegel“ heraus
Dann gehöre ich auch dazu
Wer die Zeit liest, liest auch den Spiegel
Wer den Spiegel liest, liest auch Pardon
Wer Pardon liest, liest auch Titanic
Wer Titanic liest, liest auch konkret
Und wer konkret liest, liest auch die Zeit
Und so wieder von vorne
Morgen wird mir jemand sagen: Man kann ja nur noch die
„Süddeutsche“ lesen
Gestern hat mir jemand gesagt: man kann ja nur noch die
„Frankfurter“ lesen
Heute wird man zu mir sagen: Was lesen Sie denn da?
Und ich muß verschämt antworten: Einen Krimi von Ed McBain
Aber ich habe auch das Kursbuch von Enzensberger in der
Tasche und den „Kürbiskern“
Da können Sie mal sehen, was für ein schwacher Mensch ich
Doch bin
Das würde Ihnen nie passieren
Wo Sie doch so einen festen ideologischen Überbau haben
Ich will es, wie gesagt, auch nie mehr wieder tun
Aber wie sagt man so schön,
Wenn ein Christ Karl Marx liest
Oder ein Linksintellektueller „Bild“:
Man muß sich ja schließlich orientieren.


Hanns Dieter Hüsch


© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Zugabe" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnung stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung