Outgesourcte Gehirne

von Fritz Eckenga

Foto © Frank Becker
Outgesourcte Gehirne
 
Outgesourcte Gehirne gab es schon vor 150 Millionen Jahren, im Erdmittelalter. Der Stegosaurus hatte sowas. Der Stego war ein neun Meter langer Saurier mit einem ganz kleinen Kopf, in dem sein Ersthirn aufgebahrt war. Es hatte mal gerade die Größe einer Walnuß. Die reichte nicht fürs ganze Tier. Nur für vorne. Hintenrum war der Dino mental minderbemittelt. Deswegen hat die Evolution ihm noch ein zweites Aggregat zur Verfügung gestellt. Und zwar weit ab von der Primär-Nuß, im hinteren Drittel des Rückenmarks, in einer Körperregion, die das Tier vorher gar nicht kannte, von der es noch nicht einmal etwas ahnte. Womit auch? Ein Territorium also, das das Tier gedanklich selbst nie betreten hatte. So entfernt, daß man von einer externen, einer outgesourcten Einheit sprechen kann. Zumindest dann, wenn man beim Networking im zweistelligen Pilsbereich angekommen ist.
  
Der Stegosaurus ist aus Gründen, die er selbst nicht zu verantworten hatte, vor langer Zeit ausgestorben. Die Evolutionsidee des Zweithirns hat sich aber bis heute gehalten und hier und da als segensreich erwiesen. Ein Bundesliga-Fußballtrainer hat mir über einen seiner Spieler gesagt: „Der Soundso ist nicht besonders helle im Kopp, aber das macht nix. Mit dem muß er nur wissen, wie er zum Friseur kommt. Der ist aber ein hochbegabter Fußballer. Der hat sein Gehirn im Knie.“
Auf anderen gesellschaftlich relevanten Spielfeldern ist die Sache nicht so erfolgreich gelaufen. Im modernen Kommunikationssektor muß man sogar deutlich von einer Fehlentwicklung sprechen. Ich bin davon überzeugt, daß viele schriftliche Mitteilungen, die mich über moderne Datenübertragungssysteme erreichen, von Absendern stammen, die ihre Texte von ausgelagerten hirnähnlichen Strukturen schreiben lassen. Vieles liest sich so, als käme es direkt aus dem Bauch, aus dem inneren Organbereich, daher, wo auch verdaut wird. Wahrscheinlich gibt es bereits Kommunikatoren, die über ein rudimentär schreibfähiges Vormagensystem verfügen, in dem vorverdauter Sprachbrei hochgewürgt und unmittelbar per sms oder mail versendet werden kann.
Viele Kulturpessimisten beklagen diese Entwicklung. Speziell die Smartphon-Technik befördere die Rasanz des Sprachverfalls. In diesem Chor will ich nicht mitheulen. Ich versuche immer, auch im Schlechten etwas Gutes zu entdecken. Und so finde ich es zum Beispiel ganz gut, daß ich das, was mich auf elektronischem Weg gelegentlich ankotzt, nur lesen, und nicht auch noch riechen muß. Seitdem die Menschen direkt aus dem Pansen posten, mailen und simsen, bin ich dankbar für jedes luftdicht versiegelte Display, das den Ausbruch der Buchstaben unmöglich macht.
 
Beispiel gefällig? Diese sms erreichte mich kurz bevor ich mich heute und hier an sie wende. Sie kam von einem Zuschauer, der  neulich meinem Programm nicht zuschauen konnte, weil er was anderes anschauen mußte. Er geht wohl davon aus, daß viele ihn kennen, deswegen ist es eine sms an alle:
 
hab jetzt suppabillig flätträt
kann jetzt sprechen ganzen tach
hab auch völlig flätten breitschirm
fast zwei meter total flach
 
is echt günstig kann ich sprechen
und kann kucken total breit
is total und suppabillig
ganz egal um welche Zeit
 
is total egal was kuck ich
und wieso und was ich sach
is schön breit und alles weißt du
weil is alles total flach
 
lg euern sven
 

Der Himmel steh uns bei!
 
Ihr
Fritz Eckenga
 
 
© Fritz Eckenga
Redaktion: Frank Becker